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	dieselbe in outrirten Stellungen etc. zu zeigen, wodurch Ма-
nier entsteht und das Naive und Wahre aus den Werken der
Kunst verdringt wird. ,,Deshalb“ — sagt er — ,,muss das
Studium des Einzelnen immer, durch eine Idee gehalten, mit
anderen Einzelnen vollkommen verschmelzen und dadurch alles
leere Bestreben, das Einzelne an sich geltend zu machen, уег-
tilgt werden. Junge Gemiither werden durch die Masse miih-
sam einzeln erworbenen Materials gequalt, weil sie es nicht
zu bandhaben wissen. Ist ihnen aber innerlich aufgeschlossen,
wofiir sie wirksam sein sollen, so fiihlen sie sehr bald, dass
dazu vielerlei Material gehért und werden sich dasselbe miih-
sam und streng genug herbei zu schaffen wissen“. Sehr schon
gjussert Schinkel sich noch tiber das Studium des Nackten und
dessen Unentbehrlichkeit in der Kunst. ,,Man sollte glauben“
— bemerkt er — ,,dass es eine hdhere Bildung andeutete,
wenn ein schon bis zu einem gewissen Grade gebildetes Volk
sich nach und nach auch im Leben an den Anblick des Nackten
wieder gewohnle, so wie es bei den Alten war“. Die Schwimm-
anstalten béten dazu die erste Gelegenheit, aber es frage sich,
ob nicht auch das Turnwesen durch das Nacktsein an Vollkom-

menheit gewinnen wiirde.
Il. Ferner glaubt Schinkel, dass das Verhdltniss einer Aka-

demie der Kiinste zum Staate anders festgestellt werden misse,
als bisher.

Eine Akademie soll auf’s Allgemeine wirksam sein, sie soll
Geschmacklosigkeit verdrangen, wahren Sinn fir Kunst auf-
schliessen, Urtheil entstehen lassen, kurz die Veredlung des
Volks herbeifiihren. Eine Kunstakademie soll gewissermaassen
als eine grosse Staatswerkslatt betrachtet werden, welche dazu
eingerichtet ist, die Bediirfnisse, die Zwecke, die Handlungen
des Staats zu schmiicken und zu veredien. Kurz es soll eine
lebendige Wechselwirkung zwischen Staat und Akademie statt-
finden, welche Schinkel noch specieller entwickelt, die aber
ausfiihrlicher hier mitzutheilen uns der naichste Zweck unserer
Schrift verbietet.

Gegen diese Schinkel’schen Ansichten spricht sich Hirt in
einem Votum dartiber aus. Er nimmt den griindlichen, aka-
demischen, klassenweisen Elementaranterricht in Schutz und
zieht ihn dem in einer Werkstatt vor, sollte deren Meister auch
ein Apell oder Lysipp sein. Erst nach der Begranzung dieser
Stufen soll der Schiler vor die Natur, soll er vor die schénen
antiken Musterbilder gefiihrt werden diirfen. Indessen wenn er
den akademischen Unterricht auch fiir den einzig wahren halt,
will er doch den Mitunterricht in den Werkstalten trefflicher
Kistler nicht ausschliessen, halt vielmehr den akademischen
Unterricht erst dann fiir vollstandig, wenn derjenige in den
Werkstatten hinzutritt und halt diese Verbindung nicht fiir
schwierig.

Die Plane zu einer neuen und zweckmassigen Organisation
der Bau~Akademie, welche sich hieran anschlossen, kdénnen
wir, als unsere Aufgabe nicht unmittelbar beriihrend, ibergehen.

Indess mussten die gewiinschten Berathungen tber die vor-
zunehmende Neugestaltung des Kunstwesens wegen ganzlichen
Mangels an Fonds bis zum August 1819 ausgesetzt bleiben. Es
war des Ministers Altenstein oft ausgesprochene Ansicht, dass
die Entwerfung eines Plans fiir die Bau- Akademie im Grossen,
der das Wissenschaftliche und Technische zugleich umfasst, nur
in Verbindung mit dem Plane zur Organisation des gesammten
Kunstwesens auf eine befriedigende und des preussischen Staates
wie des hochwichtigen Gegenstandes wiirdige Art bewerkstel-
ligt werden kénne. Als Material zu den Berathungen wurde
also fir die ernannte Commission noch ein Entwurf von Hirt
und die Verfassung der polytechnischen Schule in Wien in Cir-
	culation gesetzt,
	diesen Conferenzen eingingen, ist ein Aufsatz von Schinkel]
enthalten, der diesen edlen Kiinstlergeist in seiner ganzen Schén-
heit abspiegelt. Wir kénnen uns nicht enthalten, ihn im Aus-
zuge mitzutheilen:

Fiir eine zweckmassige Reform halt Sch. fir nolhwendig:

1. Eine vollkommene Umwandlung des ganzen, auf Aka-
demieen iiblichen Lehrwesens, sowohl seiner éusseren als auch
seiner inneren Form nach.

In Bezug auf die dussere Form verwirft Schinkel die Ab-
theilungen in Klassen mit abgeschlossenen Materien, so wie die
damit zusammenhingenden Examina wegen Classenversetzung.
Dagegen wiinscht er fiir Architekten, Maler und Bildhauer grosse
Raume zu Werkstitten eingerichtet. Dort sammelt jeder der
zwei fiir jedes Fach gewonnenen ausgezeichneten Manner dic
Schiller um sich. Sie studiren und arbeiten in seiner Werk-
statt, wo er selbst bestindig seine grossen Werke unter ihren
Augen schafft und sich nach und nach aus ihnen Geliilfen er-
zieht. — Fortwahrend sind Concursarbeiten im Gange. Ocf-
fentliche Ausstellungen, bei denen Preiskrénungen stattfinden,
bringen sie zur Kenntniss. Es ringen mit einander und sondern
sich die verschiedenen Werkstaltgemeinden, das Publikum nimmt
Partei, denn die grossen Preisaufgaben ergreifen Gegenstande,
die ihm gewissermaassen angehéren, Gegensténde des allge-
meinen Interesses aus dem Leben. Die Theorie der schénen
Kunst wird von geistvollen Lehrern in den grossen, dazu ет-
gerichteten und geordneten Museen gelehrt. Ein grosser Theil
der Erholungsstunden wird daselbst in Unterhaltung mit den
Lehrern zugebracht.

’ Bei der inneren Form des Lehrwesens tadelt Schinkel die
Methode, welche von den Einzelheiten zum Ganzen aufsteigen
lasst, von der anatomischen Zerstiickelung zur zusammenhan-
genden, physisch und geistig belebten Schédpfung. Alle An-
weisung soll vielmehr dahin gehen, die Gegenstinde in ihrer
Ganzheit zu erfassen. Zwei Materien legt Sch. dazu als
Grundlage des Unterrichts hin: den menschlichen Kérper
und die griechische Baukunst. Ап jenen schliesst sich
spdter das Studium der Thiere, Pflanzen etc., an diese das der
Baukunst anderer Zeiten und Volker.

Beim Studium will nun Schinkel, dass gewissermaassen der
geschichtliche Entwickelungsgang der Kunst von den Einzelnen
durchgemacht werde. Vom Zierlichen sollen sie zum Einfachen,
Erhabenen und Edlen hinaufsteigen. So sollen sie mit der
Nachbildung antiker Vasengemalde und alter Basreliefs begin-
nen. Bei wachsender Geschicklichkeit soll eine andere Anlei-
tung zur geistigen Ausbildung mit diesen Uebungen gleichen
Schritt gehen. Es sollen naimlich alle Gelegenheiten benutzt
werden, den Sinn der Schiller auf die Conception wahrhafter
Kunstideen zu richten, es soll Anleitung gegeben werden, 2u
bemerken, wie in grossen Kunstwerken, die vor Augen stehen,
das gegebene oder erfasste Thema sich zur Kunstidee gestei-
gert hat. Aus diesem fortwahrenden Suchen nach dem Kunst-
gedanken in den vor Augen stehenden grossen Kunstwerken in
den Museen wird der Impuls genommen zu eigenen Versuchen,
etwas Gegebenes, ein Ereigniss aus der Vorzeit oder Gegen-
wart ete. etc. zu concipiren; wo dann die Lust der Darstellung
eines eigenen, gefundenen, schénen Gedankens das Studium
aller einzelnen Theile nach sich ziehen wirde.

Neben diesen Studien und der Darstellung eigener Kunst-
ideen wlirde praktischer Unterricht in der Perspective, wobei
die griechischen Bauwerke als erste Gegenstinde zu Grunde
gelegi werden kénnten, alle Studirenden in den Werkstalten
der Architekten versammeln.

Schinkel schliesst diesen Passus mit der Bemerkung, wie
leicht Virtuositat im Anatomischen zu der Eilelkeit verleitet,