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	denn doch wohl so manche Individualilat dieses Opfers auch
im Entferntesten nicht werth. Theilweis mag die Schuld des
Misslingens dieser Portraitauffassung auch an einer schwache-
ren technischen Begabung des Kiinstlers liegen, denn dic Be-
handlung des ganzen Bildes zeigt von einer gewissen Dirftig-
keit in Handhabung der technischen Mittel, obschon Fleiss und
tiichtiges Studium nicht zu verkennen sind. Ist der Kinstler
noch jung, so steht ihm jedenfalls noch eine Zukunft offen,
denn unverkennbar ist tichtiger Wille und eine gewissc Warme
des Gefihls,

Ein blos fir den Salon asthetischer Feinschmecker berech-
netes Bild: ,,dem Dante, Virgil und Stalias, auf den Stufen des
Eingangs zum Paradiese ruhend (siehe Dante’s Fegefeuer, 27ster
Gesang), erscheint Lea und Rahel, als das beschauliche und
thatige Leben*, gemalt von Professor Erhardt, das sowohl
in Farbe als Zeichnung viel Schénes und Anerkennungswerthes
hat, giebt in Salons, wo Dante’s gittliche Comiédie — verstan-
den oder nicht — mit zum Unvermeidlichen gehért, gewiss
Anlass zu sehr geistreichen Bemerkungen tiber den Inhalt des
Gedichts, gegeniiber dem Inhalt des Gemaldes, kann aber aus-
serdem ein besonderes Interesse nicht in Anspruch nehmen.
Es herrscht eine sonderbare Meinung bei manchen Kinstlern
liber den Geburtsadel’ ihrer Werke; sie schcinen zu meinen,
der Geist der Quelle lasse sich auch mitschépfen; Wasser bleibt
aber Wasser, es sei aus einer beriihmten oder unberihmten
Quelle, der Geist des Kiinstlers muss es wieder neu beleben.

Wir kinnen hier gleich zu dem Portrait ibergehen, da
gerade von Prof. Erhardt in diesem Fach das Ausgezeich-
netste nicht nur der diesjahrigen Ausstellung, sondern auf die-
sem Gebiete seit langer Zeit hier tiberhaupt geleistet worden
ist. Wir gestehen, Prof. Erhardt fiir dies Fach vorzugsweise
befahigt halten zu miissen, und thun das um so mehr, als er
es bisher zu seinem cigentlichen Berufsfelde nicht erwahlt hatte.
Dies Bildniss ist zudem ein dankbares Geschenk an die Nach-
welt, auch in Bezug auf die Persénlichkeit des Dargestellten,
‘indem es unsern aus den Illustrationen der Volksgedichte und
sonst als Kiinstler rihmlichst bekannten Ludwig Richter in
eben so wiirdiger als treuer Auffassung wiedergiebt. — Aus-
ser diesem Portrait finden wir in diesem Fache zur Zeit noch
in keinerlei der nur gedachten Bezichungen etwas Bemerkens-
werthes, und um so glanzender erscheint dies Portrait als eine
Perle der Ausstellung.

Auch in landschaftlichen Darstellungen hat die dies-
jahrige Ausstellung bereits schr Bedeutendes aufzuweisen und
ist vor Allem eine ganze Reihe von vier grésseren und sieben
kleineren Gemadlden von Robert Kummer, Resultate seiner
letzten Reise nach Scholtland, eine Zierde der Ausstellung.
Kummer hat uns in diesen Bildern in Wahrheit eine physiogno-
mische Schilderung der schottischen Natur geliefert, nicht aber
blos in geographischem Interesse, wie ihm einmal Schuld ge-

- geben worden, sondern in poetischem Erfassen des Naturlebens
_ und des Geistes, der, gleich wie durch die Thaler des Landes,
die Sagen und Dichtungen des Volkes durchweht.
Vorzugsweise eignet sich Kummer fiir Darstellung dieser
Galltung, indem sein besonderes Talent allen feineren Niancen
der atmospharischen Erscheinung, die namentlich den nordi-
schen Gegenden ‘so mannigfache Gestallung und Beleuchtung
geben, mil dem Pinsel zu folgen, eine hierzu vorzugsweise
geeignete Technik sich erschaffen hat. So sind auch diese Bil-
der ausgezeichnet durch die verschiedenartigsten Effekte nor-
discher Luft- und Lichtwirkungen auf dem wilden Terrain, das
von mannigfachen, schon staltgefundenen Einwirkungen des nor-
	dischen Klimas Zeugniss giebt.
Das erste dieser Bilder fihrt uns in ein wildromantisches
	Thal am Loch „Коги!5се, auf der Insel Skyer“, das, in finste-
ren Wolkenschalten des bis zur Erde darniederhingenden бе-
wolkes, ein Gefiihl in uns erweckt, wie es die diisterste Ein-
samkeit und Abgeschiedenheit von der Welt in uns hervorrufen
wirde.

Anders erscheint uns das Land in einer , Morgenlandschaft
am Loch Etive*, anders in einer , Abendlandschaft an der Kiiste
von Arisaig “ und verschieden wiedcrum in einer , Landschaft aus
den schotischen Hochlanden*. Sammtliche vier grésseren Bilder
jedoch gehéren mehr dem ernsten grossartigen Charakter der
dortigen Natur an, wahrend der kleineren mehrere wie heitere
Zwischenspiele eine andere Seite des Naturlebens in Luft~ und
Lichtwirkungen vor unseren Augen enthiillen. So z. B. in dem
kleinen lieblichen, die , Ruinen von Kéllkurn Castle am Loch
Aw bei Dallmatly in Schottland* darstelenden Bildchens, oder
dem der ,Ruinen von Dunstaffnage Castle bei Oban“, oder des
Fischerdorfes Kylle Hakyn Ferry auf der Insel Skyer in der

Abenddammerung *, —
	Anderer ebenfalls vorztiglicher Landschaften von Alb. Zim-
mermann, Beckmann, Max Zimmermann, Heitmeyer
in Miinchen werden wir spéter Erwahnung thun; lassen Sie uns
jetzt vor allen zweier Blumensticke nicht zu erwihnen ver-
gessen, die unbedingt zu dem Ausgezeichnetsten gehdren, was
die neuere Kunst in diesem Fache geleistet haben dirfte. Sie
sind von der Hand unserer bereits zwar schon rtihmlichst be-
kannten, mit solcher Virtuositét, mit solcher technischen Mei-
sterschaft bisher aber doch noch nicht aufgetretenen Landsman-
nin Fraulein Elise Wagner. Ein zerrissener, wahrscheinlich
Erntekranz oder dergleichen hangt tiber einem abgewelkten
Blatterzweig zur Erde herab und schiittet, wie ein Fiillhorn, in
dem reizendsten Farbenspiel die verschiedenartigsten Blumen
vor unser Auge; es ist eine so sinnige Anordnung, ein so fei-
ner Geschmack in Wahl und Ausfiihrung dieser, so wie der
anderen, mehr der Zufalligkeit der Natur entnommenen Zusam-
menstellung von Blumengruppen, dabei ein so mannlich siche-
rer, ja kecker Vortrag, bei aller Zartheit und Schmelz der Farbe
und Zeichnung, dass wir gern unsern bisher gehegten Zweifel
an solche Vollkommenheit der Technik bei einer Dame strei-
chen, allein auch glauben, dass solche Erscheinung nicht so
leicht ein zweites Mal zum Vorschein kommen dirfte. Die Kinst-
lerin lebt, so viel uns bekannt, zur Zeit in einem kleineren
Orte Frankreichs; mége sie ihren deutschen Landsleuten noch
	recht viel solche Kranze winden. (Fortsetzung folgt.)
	Gemalde der altniederlandischen Schule in England.
	Уоп @. К. Waagen.
(Зе аз.)
	Hans Memling. ,,Die Enthauptung des Johannes“. In
dem halb von dem Kopf, welchen ihr der Henker darreicht,
abgewendeten Gesicht der Tochter der Herodias, spricht sich
in edler Weise eine weibliche Scheu aus. Dieses 2 Fuss 5 Zoll
hohe, 4 Fuss 6 Zoll breite, auf Holz gemalte Bild gehort zu
einer Folge von dreien, von denen die beiden anderen, die
Geburt des Johannes und die Taufe Christi, im Jahre 1816 von
einer der englischen Gesandtschaft zu Madrid attachirten Per-
son aus Spanien nach England gebracht ), spater in die Samm-
lung des verstorbenen Kénigs der Niederlande kamen, aus wel-
cher sie neuerdings in die Galerie des kénigl Museums 2u
Berlin tibergegangen sind. In meinen im Cotta’schen Kunstblatt
	1) So berichtet C. J. Niewwenhuys in seinem 1843 herausgegebenen,
vortreiflichen Catalog der Sammlung des Kénigs der Niederlande S. 46 u. a. 0.