245 denn doch wohl so manche Individualilat dieses Opfers auch im Entferntesten nicht werth. Theilweis mag die Schuld des Misslingens dieser Portraitauffassung auch an einer schwache- ren technischen Begabung des Kiinstlers liegen, denn dic Be- handlung des ganzen Bildes zeigt von einer gewissen Dirftig- keit in Handhabung der technischen Mittel, obschon Fleiss und tiichtiges Studium nicht zu verkennen sind. Ist der Kinstler noch jung, so steht ihm jedenfalls noch eine Zukunft offen, denn unverkennbar ist tichtiger Wille und eine gewissc Warme des Gefihls, Ein blos fir den Salon asthetischer Feinschmecker berech- netes Bild: ,,dem Dante, Virgil und Stalias, auf den Stufen des Eingangs zum Paradiese ruhend (siehe Dante’s Fegefeuer, 27ster Gesang), erscheint Lea und Rahel, als das beschauliche und thatige Leben*, gemalt von Professor Erhardt, das sowohl in Farbe als Zeichnung viel Schénes und Anerkennungswerthes hat, giebt in Salons, wo Dante’s gittliche Comiédie — verstan- den oder nicht — mit zum Unvermeidlichen gehért, gewiss Anlass zu sehr geistreichen Bemerkungen tiber den Inhalt des Gedichts, gegeniiber dem Inhalt des Gemaldes, kann aber aus- serdem ein besonderes Interesse nicht in Anspruch nehmen. Es herrscht eine sonderbare Meinung bei manchen Kinstlern liber den Geburtsadel’ ihrer Werke; sie schcinen zu meinen, der Geist der Quelle lasse sich auch mitschépfen; Wasser bleibt aber Wasser, es sei aus einer beriihmten oder unberihmten Quelle, der Geist des Kiinstlers muss es wieder neu beleben. Wir kinnen hier gleich zu dem Portrait ibergehen, da gerade von Prof. Erhardt in diesem Fach das Ausgezeich- netste nicht nur der diesjahrigen Ausstellung, sondern auf die- sem Gebiete seit langer Zeit hier tiberhaupt geleistet worden ist. Wir gestehen, Prof. Erhardt fiir dies Fach vorzugsweise befahigt halten zu miissen, und thun das um so mehr, als er es bisher zu seinem cigentlichen Berufsfelde nicht erwahlt hatte. Dies Bildniss ist zudem ein dankbares Geschenk an die Nach- welt, auch in Bezug auf die Persénlichkeit des Dargestellten, ‘indem es unsern aus den Illustrationen der Volksgedichte und sonst als Kiinstler rihmlichst bekannten Ludwig Richter in eben so wiirdiger als treuer Auffassung wiedergiebt. — Aus- ser diesem Portrait finden wir in diesem Fache zur Zeit noch in keinerlei der nur gedachten Bezichungen etwas Bemerkens- werthes, und um so glanzender erscheint dies Portrait als eine Perle der Ausstellung. Auch in landschaftlichen Darstellungen hat die dies- jahrige Ausstellung bereits schr Bedeutendes aufzuweisen und ist vor Allem eine ganze Reihe von vier grésseren und sieben kleineren Gemadlden von Robert Kummer, Resultate seiner letzten Reise nach Scholtland, eine Zierde der Ausstellung. Kummer hat uns in diesen Bildern in Wahrheit eine physiogno- mische Schilderung der schottischen Natur geliefert, nicht aber blos in geographischem Interesse, wie ihm einmal Schuld ge- - geben worden, sondern in poetischem Erfassen des Naturlebens _ und des Geistes, der, gleich wie durch die Thaler des Landes, die Sagen und Dichtungen des Volkes durchweht. Vorzugsweise eignet sich Kummer fiir Darstellung dieser Galltung, indem sein besonderes Talent allen feineren Niancen der atmospharischen Erscheinung, die namentlich den nordi- schen Gegenden ‘so mannigfache Gestallung und Beleuchtung geben, mil dem Pinsel zu folgen, eine hierzu vorzugsweise geeignete Technik sich erschaffen hat. So sind auch diese Bil- der ausgezeichnet durch die verschiedenartigsten Effekte nor- discher Luft- und Lichtwirkungen auf dem wilden Terrain, das von mannigfachen, schon staltgefundenen Einwirkungen des nor- dischen Klimas Zeugniss giebt. Das erste dieser Bilder fihrt uns in ein wildromantisches Thal am Loch „Коги!5се, auf der Insel Skyer“, das, in finste- ren Wolkenschalten des bis zur Erde darniederhingenden бе- wolkes, ein Gefiihl in uns erweckt, wie es die diisterste Ein- samkeit und Abgeschiedenheit von der Welt in uns hervorrufen wirde. Anders erscheint uns das Land in einer , Morgenlandschaft am Loch Etive*, anders in einer , Abendlandschaft an der Kiiste von Arisaig “ und verschieden wiedcrum in einer , Landschaft aus den schotischen Hochlanden*. Sammtliche vier grésseren Bilder jedoch gehéren mehr dem ernsten grossartigen Charakter der dortigen Natur an, wahrend der kleineren mehrere wie heitere Zwischenspiele eine andere Seite des Naturlebens in Luft~ und Lichtwirkungen vor unseren Augen enthiillen. So z. B. in dem kleinen lieblichen, die , Ruinen von Kéllkurn Castle am Loch Aw bei Dallmatly in Schottland* darstelenden Bildchens, oder dem der ,Ruinen von Dunstaffnage Castle bei Oban“, oder des Fischerdorfes Kylle Hakyn Ferry auf der Insel Skyer in der Abenddammerung *, — Anderer ebenfalls vorztiglicher Landschaften von Alb. Zim- mermann, Beckmann, Max Zimmermann, Heitmeyer in Miinchen werden wir spéter Erwahnung thun; lassen Sie uns jetzt vor allen zweier Blumensticke nicht zu erwihnen ver- gessen, die unbedingt zu dem Ausgezeichnetsten gehdren, was die neuere Kunst in diesem Fache geleistet haben dirfte. Sie sind von der Hand unserer bereits zwar schon rtihmlichst be- kannten, mit solcher Virtuositét, mit solcher technischen Mei- sterschaft bisher aber doch noch nicht aufgetretenen Landsman- nin Fraulein Elise Wagner. Ein zerrissener, wahrscheinlich Erntekranz oder dergleichen hangt tiber einem abgewelkten Blatterzweig zur Erde herab und schiittet, wie ein Fiillhorn, in dem reizendsten Farbenspiel die verschiedenartigsten Blumen vor unser Auge; es ist eine so sinnige Anordnung, ein so fei- ner Geschmack in Wahl und Ausfiihrung dieser, so wie der anderen, mehr der Zufalligkeit der Natur entnommenen Zusam- menstellung von Blumengruppen, dabei ein so mannlich siche- rer, ja kecker Vortrag, bei aller Zartheit und Schmelz der Farbe und Zeichnung, dass wir gern unsern bisher gehegten Zweifel an solche Vollkommenheit der Technik bei einer Dame strei- chen, allein auch glauben, dass solche Erscheinung nicht so leicht ein zweites Mal zum Vorschein kommen dirfte. Die Kinst- lerin lebt, so viel uns bekannt, zur Zeit in einem kleineren Orte Frankreichs; mége sie ihren deutschen Landsleuten noch recht viel solche Kranze winden. (Fortsetzung folgt.) Gemalde der altniederlandischen Schule in England. Уоп @. К. Waagen. (Зе аз.) Hans Memling. ,,Die Enthauptung des Johannes“. In dem halb von dem Kopf, welchen ihr der Henker darreicht, abgewendeten Gesicht der Tochter der Herodias, spricht sich in edler Weise eine weibliche Scheu aus. Dieses 2 Fuss 5 Zoll hohe, 4 Fuss 6 Zoll breite, auf Holz gemalte Bild gehort zu einer Folge von dreien, von denen die beiden anderen, die Geburt des Johannes und die Taufe Christi, im Jahre 1816 von einer der englischen Gesandtschaft zu Madrid attachirten Per- son aus Spanien nach England gebracht ), spater in die Samm- lung des verstorbenen Kénigs der Niederlande kamen, aus wel- cher sie neuerdings in die Galerie des kénigl Museums 2u Berlin tibergegangen sind. In meinen im Cotta’schen Kunstblatt 1) So berichtet C. J. Niewwenhuys in seinem 1843 herausgegebenen, vortreiflichen Catalog der Sammlung des Kénigs der Niederlande S. 46 u. a. 0.