mit der reinsten Idee des in der Erscheinung enthaltenen Aus- drucks der Lebensfahigkeit zu offenbaren. Aber nicht in jedem Theile des menschlichen Kérpers ist die Offenbarung des Geistes in einem gleichen Grade deullich, daher derjenige, wo dies vornehmlich der Fall, fiir das Studium des Kiinstlers am lehrreichsten ist, da jeder in der Darstellung desselben begangene Irrthum gegen die Formenconsequenz die Lebensfahigkeit vermége dieser Deutlichkeit am bemerkbarsten beeintrachtigt. г Das menschliche Antlitz, welches von der geringsten geistigen Regung Kunde giebt, ist daher nicht nur als ein Haupt- theil der kinstlerischen Darstellung anzusehen, sondern die Art und Weise seiner Darstellung kann zugleich als eine allgemeine Basis gelten, wie die Erscheinung der niedern Realilat, in wel- cher die Bedingungen ihres Lebens nicht so zu Tage liegen, zu betrachten sei, wenn ihr geistiger Inhalt zur Anschauung gebracht werden soll. In der Malerei ist demzufolge das. Portraitfach, welches sich ausschliesslich mit der Darstellung des menschlichen Ant- litzes in einer Weise befasst, dass sie in die tiefsten Bedin- gungen des besondern Falles dringt, um in der Consequenz der Individualitaét das Leben zu veranschaulichen, eine Sache von der gréssten Wichtigkeit, da hier der Offenbarung der Naturidee der speciellste Ausdruck zum Grunde liegt, der in der Kunst sich selbst in dem weniger gebildeten Auge ciner scharfen Controle preisgiebt. Das Charakterislische und der Ausdruck eines Bildnisses. Da die Individualitat der Erscheinung nichts Anderes ist als der durch bestimmie Bedingungen (VII) hervorgegangene Ausdruck der modificirten allgemeinen Lebensgesetze in der Ursubstanz, so sind in einem Bildnisse die Consequenzen des besondern Falls auch demgemiss aufzufassen, wozu die Er- kenntniss der in der darzustellenden Erscheinung enthaltenen Idce des Lebendigen erforderlich ist. Trotz der dusserlichen Beschrankung im Bildnissfache ist dem Bildner ein weites Be- reich der Auffassung eréffnet, mit freier Willenskraft zu ver- fahren; denn diese Modification erstreckt sich in alle Theile der Erscheinung, welche die Eigenschaften derselben ausmachen, wovon der Styl nur immer bestimmte Kategorien wahlt und or- ganisch zusammenstellt, den Sinn der Lebensgesetze in dem Schénen zu veranschaulichen. Durch diejenigen Modificationen des besondern Falles, wel- che vornehmlich als eigenthtimlich in die Augen springen, macht sich derselbe von andern leicht unterscheidbar; sie bilden die auffallendsten Merkmale des Charakteristischen , welches zugleich die Bedingungen der Aehnlichkeit in sich begreift. Es geht hieraus hervor, dass schon ein geringer Grad einer kiinstleri- schen Bildung hinreichend ist, den oberflachlichen Bedingungen des Charakterisltischen und der Aehnlichkeit zu geniigen, wo- durch es sich erklaért, weshalb Neulinge in der Kunst die Ziige einer darzustellenden Persénlichkeit oft treffender auffassen, als wahre Kiinstler, die, nach der Erreichung des so weit ge- stecklen umfassenden Kunstziels strebend, leicht den Irrungen preispegeben sind, die, so unerheblich sic fiir das Wesentlichere sind, eine Differenz in dem Oberflachlichen herausstellen, mit denen es Jene fast ausschliesslich zu thun haben. Das Charakterislische, als Inbegriff derjenigen Modificationen, welche die Individualitét ihrer tiefern Bedeutung nach von einer andern unterscheidbar macht, erheischt bei dem Zwecke seiner kunstgerechten Darstellung eine hohe Meisterschaft. Sie, die immer auf das Wesenlliche, Geistige oder Schéne gerichtet ist, kann auf jene oberflachlichen Merkmale des Charakterislischen sich zur Zeit Virgil’s gedacht und mit Hirten bevolkert hat, die sich im Bogenschiessen еп; ип das Seitenstiick ,der Hohl- weg*. — Pierre Thuillier, der Zeitgenosse des ersten Neuerer auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei, hat sich der Bewegung nicht mit ganzer Seele und ohne Riickhalt angeschlossen, viel- mehr, als besonnener Eklektiker, eine Art Mittelweg zwischen der Strenge des Klassicismus und der Ungebundenheit der ro- mantischen Richtung eingeschlagen. Bei geringer Phantasie und sehr missiger Erfindungsgabe ist er dadurch zwar nicht in die einténige Leere der Uebergangsperiode, wohl aber, von einer leidigen Fertigkeit der Hand verfihrt, in jene gedankenlose Gleichformigkeit der Ausfiihrung verfallen, der es an Sponta- neitat und deshalb auch an jedem Ausdruck gebricht. Th. hat Frankreich in allen Richlungen durchstreift, hat Algerien be- reist, jahrelang in Italien und Sicilien verweilt und selbst Hol- land und Belgien besucht; hat viele Bilder an Ort und Stelle gemalt, und aus all’ den genannten Landern zahllose Studien, aber wenig neue Anschauungen mitgebracht, weil er tberall sich selbst, d. h. seine angenommene und schon ausgebildete Manier in die Landschaft hineingetragen. Dieses Jahr hat Th. acht Landschaften, darunter mehrere von bedeutendem Umfang eingesandt, von denen allen im Einzelnen sich viel Rihmliches sagen lisst, besonders was die geschmackvolle, malerische An- ordnung betrifft. Einem dieser Bilder namenilich, einer grossen, baumlosen ,,Haide*, wo am Rand einer Pfitze, die den Mit- telpunkt des Bildes einnimmt, drei geharnischte Ritter sich ge- lagert haben, wahrend ein Trupp Bewaffneter auf dem Wege, der nach rechts sich verliert, dahinziehen, — fehlt es nicht an einer gewissen Grossheit der Formen und einer dem Gegen-— stande inwohnenden Poesie, wohl aber an Secle und an ein- facher tiberzeugender Beredsamkeit. Die Bilder dieses Kiinst- lers sind denn auch immer von der Krilik fast ganz tibergangen oder mit unverdienter Geringschaélzung behandell worden; zum deutlichen Beweis, dass ein grosser und entschiedener Vorzug, und sollten sich auch die auffallendsten Mangel damit verbin- den, mehr Theilnahme erregt, als der Verein zahlreicher Eigen- schaften, denen der belebende Hauch, jenes geheimnissvolle Etwas fehlt, dass aus dem Kunstwerke heraus den Beschauer anmuthet, wie ,,ein Geist zum andern Geiste spricht®. (Fortsetzung folgt.) Das Portrait oder Bildniss. Von WE. Unger. (Wir theilen unsern Lesern diesen Aufsatz als еше Probe aus einem demnachst erscheinenden Werke des Hrn. Verfassers mit, wel- ches den Titel fihren wird: , Das Wesen der Malerei, begriindet und erldutert durch die in den Kunstwerken der bedeutendsten Meister enthal- tenen Principien, Ein Leitfaden fir Kinstler und gebildete Kunstfreunde. Leipzig, Hermaun Schultze. — Das Werk wird in zwei Hauptabsehnilte zerfallen. In dem ersten wird nach einer Feststellung allgemein wissenschaftlicher Principien und der Erlauterung der Grundprincipien der Malerei die malerische Darstellung der héhern Realitét behandelt: Portrait, Historienmalerei, Malerei religidser Vorgange. Der zweite hetrachtet die Darstellung der niederen Realitat: Genre-, Thier-, Land- schaft- etc. Malerei.) Wenn eine hohere Realilaét nur nach der in ihr gesteigerten Moglichkeit der Offenbarung des Geistes bestimmt wird, so nimmt vornehmlich die Darstellung des nackten menschlichen Kérpers die héchste Stelle in der bildenden Kunst ein; denn in ihm ist der complicirteste Organismus mit allen seinen Consequenzen in einer Weise erkennbar, dass dem Kiinstler dadurch die in- structivsten Mittel gehoten sind, den Geist oder dic Schonheit