In Berlin und Disseldorf sind es vornehmlich Begas, Magnus und Sohn, welche, durch einen reinern Natursinn geleitet, zu beachtungswerthern Kunstleistungen im Bildnissfach gelangen, als es sonst jetzt der Fall. Indessen sind auch diese Kiinstler zur Zeit noch zu sehr von den Reizen angenehmer, complicirter Darstellungsmittel eingenommen, weshalb es ihnen nicht méglich wird zu jener Wucht des Lebensfonds der Er- scheinung zu gelangen, deren Factoren mehr dem geistigen Auge sichibar sind, welches die wesentlichen Bestandtheile der Wahrheit sucht, und lediglich diese in ideale Anwendung bringt, die innere Lebensfihigkeit eines Bildes zu steigern. Wie sehr die Riicksicht ftir das in dem Zeitgeschmack be- fangene Publicum hierbei hinderlich in den Weg tritt, ist so wenig zu verkennen, als der Umstand, dass diese Riicksicht in der wahren Kunst unstatthaft sei. Was indess der wackere Begas vermag, wenn er sich hauptsachlich dem geistigen Fonds der Erscheinung zuwendet, ohne sich dabei von aussern Riicksichten bestimmen zu lassen, das hat er in einem seiner lelzten Bildnisse bewiesen, vorstel- lend den hochhbejahrten Greis Schadow, des Directors der Kunstakademie zu Berlin. In vélliger artistischer Bewaltigung einer Realitét, in der das nahe Ende des jetzt Verewigten be- reiis ausgepragt war, hat er mit grosser Virtuosilét die chr- wirdige Individualitat zur reinen Idealitat erhoben und dem Ver- ginglichen entrickt. Der Triumph solcher Kunst war in jedem Beschauer zu lesen. ,Wenn der alte Schadow nicht so aus- sieht, wie dieses Bildniss, so ist er es nicht.* In diesem Aus- spruch giebt sich die Lésung des héchsten Kunstproblems der Portraitmalerei auf das Treffendste kund. Wenn die Bildnisse von Magnus im Ganzen ein erfolg- reiches Studium der Werke des van Dyck beurkunden, so vermisst man vornehmlich jenen tiefern Grad der Stimmung, welcher erforderlich ist, um die rohe Kraft des Bildungsma- terials dem innern Leben der Erscheinung dienstbar zu machen. Die Consequenzen der Stimmung in seinen Bildern, wie aner- kennungswerth sie auch sein mégen, ireten wegen dieses Man- gels mehr als solche, und daher zu bemerkbar hervor, statt dass sie, wie bei van Dyck, mehr stille Ergebnisse des er- kannten Ursachlichen sind. Wie schon bemerkt, darf man die Naturgeheimnisse in der bildenden Kunst, zu denen diese Consequenzen gehdren, nicht verlautbaren wollen, so interessant auch die dadurch gebotene Unterhaltung sein mag. Noch weniger ist ein Vortrag zu bil- ligen, dessen Freiheit in geniale Lockerheit ausartet; denn zur wesentlichsten Eigenschaft der darzustellenden Erscheinung ge- hért ihre, unter allen Umstanden vorhandene, natiirliche Vol- lendung und diesen Charakter muss, wie die dllern Meister iberall bewiesen, auch der Vortrag haben, damit durch ihn ihr enger Zusammenklang klar werde, da die Kunst ohnehin sich mit der Darstellung nur einzelner Kategorien von Natureigen- schafien befasst. Die aus solchem Vortrag sich zu erkennen gebende Befiirchtung, durch ein specielleres Eingehen den be- reits im Bilde gewonnenen Lebensfonds zu schwachen, ist seine schwache Seite; denn der wahre Vortrag ist es ja eben, der ihn zur deuilichern Anschauung bringen soll; nur erst dadurch wird er selber des Geistes voll. Wenn er aber an die dussern Sinne appellirt, so kann damit nur wenig gewonnen werden, selbst wenn dies, wie bei diesem Kinstler, in geistreicher Weise geschieht. Solchem Streben liegt gleichfalls mehr der Zweck des Reizes, als der der Wahrheit zum Grunde, deren cigener Ausdruck immer einer Terminologie vorzuziehen ist, wenn das Verstandniss des wahren Sachverhalinisses dadurch nicht ge- fordert wird. Von einer wahren Vollendung, welche die Be- dingung echter Meisterbilder ist, kann nicht wohl gesagt wer- лит Allgemeinen gewonnen wird, wogegen das particularisti< sche Streben nach angenehmer Aeusscrlichkeit in Form und Gebehrde, mit welcher man vermeint den dltern Bildnissen den Rang abzulaufen, hinderlich im Wege steht. So lachelnd und hold, im vollen Zauber der Tauschung und den individuellen Reizen des Korpers sie auch dargestellt sein mégen, der Mangel jener erbaulichen Sammlung des wahren Kiinstlers, die uner- Jasslich ist, wenn das reine Ideale gewonnen werden soll, lasst sich durch alle diese bestechlichen Miltel nicht ersetzen. Dass diese moderne Richtung der angenehmen Tauschung alle Theile der dargestellten Erscheinung betrifft, wodurch statt des Schénen nur das Angenehme gewonnen werden kann, ist bet genauerer Betrachtung des Einzelnen leicht einzusehen. Man fasse z. B. nur die Behandlung des Haares ins Auge. Auch in den besten Kunstperioden hat man von den Mitteln der Toi- lette einen Gebrauch gemacht, welche die in diesem Theile des menschlichen Korpers enthaltene Naturintenlion in einer Weise Liigen straft, dass es nur der echt kiinstlerischen Einsicht még- lich wurde, die reine Naturidee wieder herzustellen. Stalt dessen klammert man sich jetzt lieber an die Realitat einer durch die Mode verkehrien Zustandlichkeit fest, die einem ge- sunden Natursinn den gewalisamsten Eintrag ihut, und die Kunst! geht ohnmachtig ihrer Obliegenheit, diesen Sinn aufauklaren, verlustig, So gleicht das von Salben triefende, ktinstlich ge- Jockte Haar in den modernen weiblichen Bildnissen oft mehr den gedrehten Hornspinen, und man glaubt viel gethan zu haben, wenn man zu dem widerwartig erhdéhten Glanz desselben noch die blauliche Spiegelung gesellt, das Werk der Tlusion zu kronen. Von alien diesen Dingen der Wirklichkeit, die so nahe liegen, dass sie zu aller Zeit so gut wahrgenommen wurden wie jetzt, erblickt man in wahren Kunstwerken nur wenig, weil die Principien, durch welche sie als solche hervorgegangen sind, nur dahin gerichtet waren, der reinen Naturintention zu entsprechen, da ein anderer Weg zur Offenbarung des Schénen oder Geistigen nicht dahin fihrt. Das Haar ist, ktnstlerisch betrachlet, ein den Korpertheil bedeckendes lockeres Conglo- merat fadenartiger Koérper, die sich einer Individualitét gemiss partienweis in bedeutsamen Linien sondern, welches dem Kiinstler einen fruchtbaren Anlass giebt, malerisch den Natursinn in man- nigfacher Weise zu offenbaren. Tizian, Paul Veronese, van Dyck u.s. f. haben diesem Theile der Kunst, mit nothwendiger Riicksicht auf das Zeit- ubliche, auf das Sinnreichste entsprochen. Die Eigenthtimlich- keit ihres Styles giebt auch hier Zeugniss, wie die Auffassung eines jeden Theiles der Erscheinung eine naturphilosophische Einsicht erheischt, wenn dem reinen Begriffe der Kunst geniigt werden soll. Dass es sich mit allem Uebrigen ahnlich verhalte, steht ausser Zweifel, denn des einmal erlangten Grades der Erkenntniss, wie hoch oder gering er sei, kann man sich in keinem Theile der Kunst entéussern, da jeder dem Ganzen analog ist. Nur einzelne Talente der Neuzeit, durch einen glicklichern Kunsttrieb geleitet, wenden sich einer naturgemissern Behand- lung auch in diesem mehr Nebensichlichen zu, was noch mehr der Fall sein wiirde, wenn diesem Triebe ein reineres Kunst- bewusstsein heigesellt ware, durch welches lediglich eine ver- kehrte Richtung zu brechen ist, deren Zahigkeit vornehmlich ihren Vorschub in dem verderblichen Wahne zu suchen hat, dass nach dem Grade der reizenden Tauschung die Kunst zu bemessen sei, und woher es kommt, dass sich die Menge im Kunsturtheil fiir competent halt, die von dem Kinstler der Neu- zeit, der sich in dieser Hinsicht mit ihr auf gleiche Stufe stellt, bestarkt wird.