Es handelt sich in dem bisher Erschienenen um Bauten
und andere Kunstwerke Hannovers und der Umgegend. Dort
war keine grosse Firstenresidenz, kein reiches Bisthum zu
verherrlichen; das Material war Holz, Backstein und cine Stein-
gattung, welche sich zu reicher, feindurchgebildeter Prachtar-
chitektur wenig eignet. Und dennoch hat das Mittelalter hier
eine Stadt geschaffen, welche in ihren 6ffentlichen Gebauden,
Kirchen und Privathdusern dasjenige im héchsten Grade besass,
wonach die echte Architektur zu allen Zeiten rang: eigenthtim-
liche Physiognomie und Charakter, ausgepragt im Grossen wie
im Kleinen, im Reichen wie im Beschrankten. Bei dem starken
Zuwachs und Umbau der Stadt in den letzten Jahrhunderten ist
nattirlich das Meiste hierven verloren gegangen; um so schat-
zenswerther ist das patriotische Bemtihen des Herausgebers,
das noch Vorhandene far den Architekten wie fiir den Kunst-
forscher und Antiquar in treuen Bildern zu fixiren.

Die mitgetheilten beiden Kirchen (Marktkirche und Aegi-
dienkirche) gehéren zwar nicht zu den ausgezeichnetern Bauten
dieser Art; die gleiche Héhe der drei Schiffe, mit den er-
drtickenden Spitzdichern, der schwere Thurm an der Stelle der
Fagade, geben ihnen dasselbe diistere Wesen, welches so mahche
deutsche Kirchen steinarmer Gegenden charakterisirt; allein der
Organismus des Baues ist doch wenigstens im Innern der Markt-
kirche mit Strenge und Wiirde durchgefithrt, und der Abschluss
in drei polygonen Kapellen macht segar einen reichen und sché-
nen Eindruck. An den Haupipfeilern des Innern vermisst man
freilich sehr die Beseelung durch Halbsaulen und Hohikehlen ;
vielleicht war einst durch Bemalung nachgeholfen. (Die Aegi-
dienkirche ist hier dargestellt, wie sie vor dem Umbau von
1825 gewesen.) — Von den einzelnen Kunstwerken aus den
hannéverschen Kirchen theilt der Herausgeber nicht nur viele
sorgfallige Nachrichten, sondern auch Abbildungen mit, welche
uns zeigen, dass das Vaterland eines St. Meinwerk und St.
Bernward auch im 14—16. Jahrhundert mit anderen deutschen
Landen glitcklich wetleiferte, und dass namentlich der Erz-
guss in dieser seiner alten Heimath fortblihte. Die ehernen
Taufbecken aus der Kreuzkirche und Aegidienkirche, ausser-
dem imposante Thiirbeschlage und andere Zierrathen geben uns
in wohlgelungenen Abbildungen einen sehr bedeutenden Be-
griff von dem hiesigen Betriebe dieser Kunstgattung. Ein ganz
besonderes Interesse gewahrt das auf Taf. VI. mit grosser Treue
wiedergegebene Altarwerk aus der Kreuzkirche, jetzt in der
Hausmann’schen Sammlung. Dem Style nach erinnert es an
die Dortmunder und andere westphilische Meister vom Anfange
des 16. Jahrhunderts (Diinwegge, Raphon); die Art der van
Eyck’schen Schule ist darin mit besonderem Geschick und vieler
Hingebung nachgeahmt. Nicht minder merkwiirdig ist der In-
halt; nach der frommen Dichtung des 14. und 15. Jahrhunderts
war Christus mit allen Aposteln verwandt, und die dibrigen heil.
Personen des neuen Testamentes waren Geschwister, Vettern etc.
der hefligen Jungfrau. Diese ganze Familie nun fallt in reicher
Gruppe das Miltelbild, lauter Eltern mit spielenden Kindern,
ringsum aber zieht sich cin vergoldeter Kranz, dessen Blithen
die Halbfiguren der Propheten sind. Die Fliigelbilder geben
die Geschichte der Eltern der Maria, und somit ist dieses Werk
cine der volstindigsten Darstellungen dieses spatesten katholi-
schen Mythenkveises. — Von Bildwerken der zweiten Halfte des
16. Jahrhunderts giebt Taf. XI. cin paar betende Relieffiguren
von Grabsteinen, voll chrlicher, treuherziger Befangenheit,
auch als Trachten nicht ohne Werth.

Die wichtigste Leistung dieses Prachtwerkes jedoch erken-
nen wir in den Abbildungen hannéverscher Civilbauten aus
dem 15. und 1G. Jahrhundert. — Schon Moller halle die kinst-
lerische Bedeutung derselben erkannt und einige Specimina in
	sein Werk aufgenommen; hier aber finden wir sie vollstandiger,
in treuer geometrischer und malerischer Aufnahme, welche letz-
tere bei Gebaéuden der betreffenden Art unentbehrlich ist, wenn
man einigermaassen die Wirkung derselben erkennen soll. Es
sind eine ganze Anzahl Privathiuser, endlich das Rathhaus in
seinem strengeren gothischen und seinem zierlicheren Renais-
sance - Bestandtheil. Das Motiv der meisten dieser Backstein-
Fagaden ist bekannt; tiber der mit Reliefbandern und einzelnen
reichen Erkern massig geschmiickten Fronte erhebt sich ein
hoher Giebel, abgestuft zu einer ganzen Anzahl von Stockwer-
ken, welche theils noch zur Wohnung, theils zn Vorrathskam-
mern dienen; zwischen den Fenstern treten scharf kantige Strebe-
pfeiler hervor, welche mit frohlichen Spitzthtirmchen und Wind-
fahnen schliessen; was tiber jedem Fenster von Wandflaiche
frei bleibt, ist mit Zierrathen in Relief oder Glasur ausgefiillt,
an den Seitengiebeln des Rathhauses sogar mit Figuren.

Die Zeit, welche diese Bauten schuf, hatle massigere Be-
griffe von hauslicher Bequemlichkeit, als die unsrige, welche
Salon, Wohnzimmer, Kiiche u. s. w. alles auf Einem Stockwerk
haben will. Giebt man aber jener Zeit ihre Bedtirfnisse zu,
und erwagt man dic Beschrinkung im Material, so wird man
auch gestehen miissen: es war unméglich, auf diesem Raum
und mit diesen Mitteln einen stattlicheren, ja grossartigeren Ein-
druck hervorzubringen. Wir verlangen von unseren jelzigen
Baumeistern, die so ganz andere Riicksichten zu nehmen ha-
ben, keinesweges, dass sie in eben jenen alten Formen weiter
bauen sollen, aber cine gute Lehre sollte doch nicht ganz ver-
Joren sein: man muthete damals dem Material nicht mehr zu,
als es leisten konnte; ‘man begniigte sich mit einem oder we-
nigen Zierstiicken an jeder Fronte, z. B. mit einem Erker, fihrte
aber diesen mit aller wiinschbaren Soliditét und Fille aus. Wir
dagegen tberziehen unsere backsteinernen Rohbauten mit einem
Uebermaass von Putz- und Stucco-Zierrathen und nageln so-
gar Zinkornamente auf, was Alles in zwanzig Jahren an seiner
kiimmerlichen Unwahrheit zu Grunde gehen muss, wenn nicht
bestandig nachgeflickt wird. Eine echte backsteinerne Facade
kostet Anfangs viel Geld, sleht aber tausend Jahre und wird
erst recht schén, wenn man sie nie reparirt.

Wir nehmen von dem Herausgeber Abschied mit dem auf-
richtigen Wunsche, es mige ihm cine Aufmunterung zu Theil
werden, welche noch viele Lieferungen dieses schénen Werkes
méglich zu machen im Stande sei.
	Catalog der Otto’ schen Kupferstichsammtung
oder der von weiland Herrn Ernst, Peter Otto, Kauf-
und Handlungsherrn xu Leipzig (geb. am 1. Juni 1724,
gest. am 18. Februar 1799) hinterlassenen, tiberaus rei-
chen und allwirts beriihmten. Sammlung von Kupfer-
stichen, getitzten und geschabten Blittern etc. Erste
Abtheilung, die deutsche und englische Schule enthal-
tend. Nach den Malern chronologisch geordnet und
mit Registern versehen von Rudolph Weigel. Leip-
zig 1851.

Ist ein neuer Catalog fir den Sammler und Liebhaber iber-
haupt cin interessantes Ding — man will mitunter nur eben
einen Blick hineinthun, man blattert weiter, man greift schon

zum designirenden Rothstift und man endet mit ciner genauen
Durchsicht und Ausfillung des Auftragzeddels — so gewahrt
	die Durchblatterung eines Weigelschen Verzeichnisses von Ku-
pferstichen ein besonderes Behagen. Ueberall begegnet man