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	Bei der bei Hrn. Devrient nun folgenden Anwendung aul
Wien und Berlin wird hauptsichlich der Vortheil und die Wich-
tigkeit der Trennung der dramatischen Gattungen hervorgeho-
ben. Die finf Theater in Wien, zu Staatsanstalten gemacht,
wiirden neben cinander das recitirende Schauspiel, die grosse
Oper, die komische Oper und das Singspiel, das Spektakel-
stick und endlich die Volksposse pflegen kénnen. Natitrlich
ergibe sich hieraus noch der Vortheil, dass fiir jedes Genre
nur Ein Personal gehalten zu werden brauchte. (Dem entgegen
verlangt indessen Hr. Gutzkow, dass das Personal in Grup-
pen eingetheilt werde, damit mebrere Sticke zugleich eingeiibt
werden kénnten.) Das Rollenmonopol solle aufhéren. Eine
ahnliche Eintheilung wird fir die drei Berliner Theater vorge-
schlagen und sollte dann die Oper und das Ballet zwei Drittel,
das Schauspiel aber ein Drittel der kéniglichen Subvention in
Anspruch nehmen dirfen. Abgesonderte Direklionen unter der
gemeinsamen Oberdirektion im Ministerium sollten die gegensei-
lige Férderung garantiren helfen, der falsche Antrieb feindse-
liger Concurrenz fallen und, uin zerstreuende und verlockende
Rivalitét auszuschliessen, Geist und Sinn des Publikums fir ein
wahrhaft nationales Theater erstarken zu lassen, sollten, bis
zur Consolidirung der drei Theater, die tbrigen Bihnen in
Berlin, die italienische Oper und das franzésische Schauspiel
mit inbegriffen, geschlossen bleiben. Der fir die Verbannung
dieser beiden Bihnen angeftihrte Grund der verlockenden Ri-
valitat scheint an Gewicht zu gewinnen durch den historischen
Ueberblick, den Hr. Cornet in seiner tief eingehenden Schrift
die Oper in Deutschland etc.“ giebt, worin er die fremden
Einfliisse auf die nationale Kunst nachweiset. Auch von ande-
ren und verschiedenen Seiten ist — um das gleich hier mit
anzufiihren — die Entfernung dieser beiden Bihnen in Anre-
gung gebracht. Von der italienischen Oper heisst es: „т Огез-
den sei sie schon seit 18 Jahren nicht mehr, in Wien konue
sie sich nur durch den Adel dreicr Linder und durch reiche
Banquiers halten.

Wir reihen hier sofort noch einige sonstige Bemerkungen,
die bestehenden Hauptbiihnen von Berlin belreffend, an. Nach
einer scharfen Kritik der Berliner Bahnenverwaltung sucht Hr.
Gutzkow die tiberraschende Ansicht geltend zu machen, dass
der Sinn fiir das Schauspiel in Berlin an dem unbedeutenden
Lokale des Schauspielhauses leide, zu dessen Umbau er nicht
ermangelt, genauere Plane anzugeben (wobei freilich Schin-
kel’s und seiner kiinstlerischen Genossen Meisterarbeiten im
	  Schauspielhaus und Concertsaal einfach zu opfern sein wiirden),
	Diese Meinung scheint aus dem ebenfalls von Hrn. G. ausge-
sprochenen Wunsche entsprungen zu sein, dem Hause zugleich
durch Abendzeitungen, Erfrischungen etc. eine gesellschaftliche
Bedeutung beizulegen. Hr. G. verspricht sich davon eine um
30,000 Thir. erhéhte Einnahme.

Auch das Kénigstidtische Theater ist in Bezug auf seine
Leistung mehrseitig getadelt worden.

Wir haben nun zwar oben in unserer Eintheilung die Hof-
bihnen den dbrigen Bihnen gegeniber gestellt, wollen aber
der besseren vergleichenden Uebersicht wegen schon hier mit
	  hineinnehmen, was sich von der kiinstlerischen Leitung
	und Verwaltung der letzteren tberall gesagt findet, um in einer
zweiten Uebersicht uns ganz auf dem rein administraliven Ge-
biete zu befinden. Hr. Devrient also ist in Betreff der nicht
hofischen Bihnen der Ansicht, dass die Landesregierung ihre
	Oberleitung auch auf die Stadtthealer erstrecke, ja ihn grund-
sitzlich bis auf die letzte Wanderbithne geltend mache. Das
	Cultusministerium, mehr auf den Geist achtend, in welchem
ein Institut geleitet wird, als auf das Materielle, misse wa-
chen, dass die Direktoren der Stadttheater kiinstlerisch befi-
	(also der eigentliche Direktor), und wird durch sémmUliche dar-
stellende Kiinstier der Buhne und besondere Ausschiisse des
Orchesters, des Chors und des Ballets gewahit, nicht auf feste
Dauer, jedoch nur durch Beschluss des Ministers und zwei
Drittel der Mehrheit der Stimmberechtigten zu entheben. Achn-
lich wird der Kapellmeister erwahlt. Der Dichter wird vom
Ministerium ernannt, und geniigt die Beistimmung der Majoritat
des Ausschusses, so wie diejenige der beiden anderen Direk-
tionsmitglieder.

Ein Ausschuss von fiinf der darstellenden Kiinstler, die In-
teressen des Personals vertretend und zugleich auf der Schwelle
der Direktion stehend, soll das Gleichgewicht zwischen dem
allgemeinen und dem Einzelinteresse halten. Aus ihm werden
die zwei Regisseure und unter seinem Beirathe die Vorstande
zweiten Ranges: Orchesterdirigenten, Chordirektor und Ballet-
meister erwahlt.

Diese ktnstlerische Direktion verfigt, was die Person be-
trift, tiber Anstellungen, Gastspicle u. s. w., und was die Sache,
liber Rollenbesetzung, Ausstattung, kurz die Aufstellung des
Repertoirs, denn mit unbeschrainkter Gewalt soll die Kunst der
kiinstlerischen Fihrung zurickgegeben, der Mittelpunkt ihrer
Thatigkeit aus dem Bureau wieder in das Proscenium der Bithne
versetzt werden. Doch hat sie alle ihre Plane ete. vierteljahr-

lich dem Ministerialdirektor vorzulegen, damit er sich tber-
zeuge, ob das Institut die Staatstendenzen inne halte.

Die Zusammensetzung sowohl der leitenden Behérde in
diesem Plan, so wie der ganze Entwurf erfaéhrt den Tadel des
Hrn. Rétscher, der tiberhaupt ausser jeder Uebereinstimmung
mit dem Hrn. Devrient steht und dies in einer Kritik in der
Berliner Haude und Spenerschen Zeitung dargelegt hat ).

Hr. Gutzkow, in seiner als Manuscript gedruckten Schrift
zur Bithnenreform, will mit Entschiedenheit den Absolutismus
von den Biihnen verbannt wissen. Der sociale Gesellschafts~
verband, zu dem er das Personal vereinigen will, soll auf dem
Prinzip der Collegialitét beruhen, dieses soll benutzt, dieses
soll organisirt werden. Deshalb construirt er eine Gesellschafts-
verfassung, die sich in ihrer Verzweigung auf alle Theater des
Landes erstrecken soll. In dem Prinzip der Societatsverwaltung
trifft Hr. Genée mit ihm zusammen.

Auch Hrn. Hammermeister’s Vorschlag lauft auf die
Vereinigung in Gesellschaftstheater hinaus, wobei die ersten
und wichtigsten Facher zugleich Mitinteressenten des Wohles und
Wehes ihres Instituts sind. Von Seiten der Stadt soll ein tech-
nischer Dircktor als Mitsocietér angestellt werden.
	1) Im Interesse einer mdglichst allseitigen Beleuchtung der Sache kon-
nen wir nicht umhin, hier, ausser jenem Widerspruch des Hrn. Rétscher
gegen den Verfassungs~Entwurf des Hrn. Devrient, auf einige besondere
Vorkommmnisse der jiingsten Zeit hinzudeuten, die ein abweichendes Resultat
an die Hand geben. Auf die bekannte Demonstration, zu der sich die Dres-
dener Schauspieler nach dem Erscheinen yon Hrn. D.’s Schrift veranlasst
sahen, kénnen wir hier freilich nicht eingehen, da uns die betreffenden per-
sénlichen Verhaltnisse unbekannt sind und die Sache eben nur eine Demon-
stration war. Dagegen haben die Zeitungen berichtet, dass bei dem Darm -
stidter Theater, ,dem Geiste der Zcit entsprechend“, eine Selbstregie-
rung der Schauspieler durch ein gewéahltes Comité ins Leben gerufen sei,
aber nur innere Zerwirfnisse, ein mangelhaftes Repertoire und ein erheb-
liches Cassen-Deficit zur Folge gehabt habe. (Doch sind dics Zeitungs-
nachrichten, deren Werth oder Unwerth uns unbekannt ist.) Ebenso ist uns
dutch die Zeitungen mitgetheilt worden, dass die grosse Meisterin in der
dramatischen Darstellungskunst, die Rachel, nach der neuen Verfassung
des Théatre frangais ihre Entlassung von dieser, ihr so theuren Buhne
genommen habe, weil sie der Ansicht sei: , dass Schauspieler, welche ihre
Verwaltung unter sich handhaben, nicht zu der Eintracht gelangen, die ih-
ren Studien, den Fortschritten der Kunst und dem Wohle des Theaters so
nothig 361“. (Die Sache hat zu einem Process Anlass gegeben, den aber
	die Rachel, nach Angabe der Zeitungen, gewonnen hat.)