342 Bei der bei Hrn. Devrient nun folgenden Anwendung aul Wien und Berlin wird hauptsichlich der Vortheil und die Wich- tigkeit der Trennung der dramatischen Gattungen hervorgeho- ben. Die finf Theater in Wien, zu Staatsanstalten gemacht, wiirden neben cinander das recitirende Schauspiel, die grosse Oper, die komische Oper und das Singspiel, das Spektakel- stick und endlich die Volksposse pflegen kénnen. Natitrlich ergibe sich hieraus noch der Vortheil, dass fiir jedes Genre nur Ein Personal gehalten zu werden brauchte. (Dem entgegen verlangt indessen Hr. Gutzkow, dass das Personal in Grup- pen eingetheilt werde, damit mebrere Sticke zugleich eingeiibt werden kénnten.) Das Rollenmonopol solle aufhéren. Eine ahnliche Eintheilung wird fir die drei Berliner Theater vorge- schlagen und sollte dann die Oper und das Ballet zwei Drittel, das Schauspiel aber ein Drittel der kéniglichen Subvention in Anspruch nehmen dirfen. Abgesonderte Direklionen unter der gemeinsamen Oberdirektion im Ministerium sollten die gegensei- lige Férderung garantiren helfen, der falsche Antrieb feindse- liger Concurrenz fallen und, uin zerstreuende und verlockende Rivalitét auszuschliessen, Geist und Sinn des Publikums fir ein wahrhaft nationales Theater erstarken zu lassen, sollten, bis zur Consolidirung der drei Theater, die tbrigen Bihnen in Berlin, die italienische Oper und das franzésische Schauspiel mit inbegriffen, geschlossen bleiben. Der fir die Verbannung dieser beiden Bihnen angeftihrte Grund der verlockenden Ri- valitat scheint an Gewicht zu gewinnen durch den historischen Ueberblick, den Hr. Cornet in seiner tief eingehenden Schrift die Oper in Deutschland etc.“ giebt, worin er die fremden Einfliisse auf die nationale Kunst nachweiset. Auch von ande- ren und verschiedenen Seiten ist — um das gleich hier mit anzufiihren — die Entfernung dieser beiden Bihnen in Anre- gung gebracht. Von der italienischen Oper heisst es: „т Огез- den sei sie schon seit 18 Jahren nicht mehr, in Wien konue sie sich nur durch den Adel dreicr Linder und durch reiche Banquiers halten. Wir reihen hier sofort noch einige sonstige Bemerkungen, die bestehenden Hauptbiihnen von Berlin belreffend, an. Nach einer scharfen Kritik der Berliner Bahnenverwaltung sucht Hr. Gutzkow die tiberraschende Ansicht geltend zu machen, dass der Sinn fiir das Schauspiel in Berlin an dem unbedeutenden Lokale des Schauspielhauses leide, zu dessen Umbau er nicht ermangelt, genauere Plane anzugeben (wobei freilich Schin- kel’s und seiner kiinstlerischen Genossen Meisterarbeiten im Schauspielhaus und Concertsaal einfach zu opfern sein wiirden), Diese Meinung scheint aus dem ebenfalls von Hrn. G. ausge- sprochenen Wunsche entsprungen zu sein, dem Hause zugleich durch Abendzeitungen, Erfrischungen etc. eine gesellschaftliche Bedeutung beizulegen. Hr. G. verspricht sich davon eine um 30,000 Thir. erhéhte Einnahme. Auch das Kénigstidtische Theater ist in Bezug auf seine Leistung mehrseitig getadelt worden. Wir haben nun zwar oben in unserer Eintheilung die Hof- bihnen den dbrigen Bihnen gegeniber gestellt, wollen aber der besseren vergleichenden Uebersicht wegen schon hier mit hineinnehmen, was sich von der kiinstlerischen Leitung und Verwaltung der letzteren tberall gesagt findet, um in einer zweiten Uebersicht uns ganz auf dem rein administraliven Ge- biete zu befinden. Hr. Devrient also ist in Betreff der nicht hofischen Bihnen der Ansicht, dass die Landesregierung ihre Oberleitung auch auf die Stadtthealer erstrecke, ja ihn grund- sitzlich bis auf die letzte Wanderbithne geltend mache. Das Cultusministerium, mehr auf den Geist achtend, in welchem ein Institut geleitet wird, als auf das Materielle, misse wa- chen, dass die Direktoren der Stadttheater kiinstlerisch befi- (also der eigentliche Direktor), und wird durch sémmUliche dar- stellende Kiinstier der Buhne und besondere Ausschiisse des Orchesters, des Chors und des Ballets gewahit, nicht auf feste Dauer, jedoch nur durch Beschluss des Ministers und zwei Drittel der Mehrheit der Stimmberechtigten zu entheben. Achn- lich wird der Kapellmeister erwahlt. Der Dichter wird vom Ministerium ernannt, und geniigt die Beistimmung der Majoritat des Ausschusses, so wie diejenige der beiden anderen Direk- tionsmitglieder. Ein Ausschuss von fiinf der darstellenden Kiinstler, die In- teressen des Personals vertretend und zugleich auf der Schwelle der Direktion stehend, soll das Gleichgewicht zwischen dem allgemeinen und dem Einzelinteresse halten. Aus ihm werden die zwei Regisseure und unter seinem Beirathe die Vorstande zweiten Ranges: Orchesterdirigenten, Chordirektor und Ballet- meister erwahlt. Diese ktnstlerische Direktion verfigt, was die Person be- trift, tiber Anstellungen, Gastspicle u. s. w., und was die Sache, liber Rollenbesetzung, Ausstattung, kurz die Aufstellung des Repertoirs, denn mit unbeschrainkter Gewalt soll die Kunst der kiinstlerischen Fihrung zurickgegeben, der Mittelpunkt ihrer Thatigkeit aus dem Bureau wieder in das Proscenium der Bithne versetzt werden. Doch hat sie alle ihre Plane ete. vierteljahr- lich dem Ministerialdirektor vorzulegen, damit er sich tber- zeuge, ob das Institut die Staatstendenzen inne halte. Die Zusammensetzung sowohl der leitenden Behérde in diesem Plan, so wie der ganze Entwurf erfaéhrt den Tadel des Hrn. Rétscher, der tiberhaupt ausser jeder Uebereinstimmung mit dem Hrn. Devrient steht und dies in einer Kritik in der Berliner Haude und Spenerschen Zeitung dargelegt hat ). Hr. Gutzkow, in seiner als Manuscript gedruckten Schrift zur Bithnenreform, will mit Entschiedenheit den Absolutismus von den Biihnen verbannt wissen. Der sociale Gesellschafts~ verband, zu dem er das Personal vereinigen will, soll auf dem Prinzip der Collegialitét beruhen, dieses soll benutzt, dieses soll organisirt werden. Deshalb construirt er eine Gesellschafts- verfassung, die sich in ihrer Verzweigung auf alle Theater des Landes erstrecken soll. In dem Prinzip der Societatsverwaltung trifft Hr. Genée mit ihm zusammen. Auch Hrn. Hammermeister’s Vorschlag lauft auf die Vereinigung in Gesellschaftstheater hinaus, wobei die ersten und wichtigsten Facher zugleich Mitinteressenten des Wohles und Wehes ihres Instituts sind. Von Seiten der Stadt soll ein tech- nischer Dircktor als Mitsocietér angestellt werden. 1) Im Interesse einer mdglichst allseitigen Beleuchtung der Sache kon- nen wir nicht umhin, hier, ausser jenem Widerspruch des Hrn. Rétscher gegen den Verfassungs~Entwurf des Hrn. Devrient, auf einige besondere Vorkommmnisse der jiingsten Zeit hinzudeuten, die ein abweichendes Resultat an die Hand geben. Auf die bekannte Demonstration, zu der sich die Dres- dener Schauspieler nach dem Erscheinen yon Hrn. D.’s Schrift veranlasst sahen, kénnen wir hier freilich nicht eingehen, da uns die betreffenden per- sénlichen Verhaltnisse unbekannt sind und die Sache eben nur eine Demon- stration war. Dagegen haben die Zeitungen berichtet, dass bei dem Darm - stidter Theater, ,dem Geiste der Zcit entsprechend“, eine Selbstregie- rung der Schauspieler durch ein gewéahltes Comité ins Leben gerufen sei, aber nur innere Zerwirfnisse, ein mangelhaftes Repertoire und ein erheb- liches Cassen-Deficit zur Folge gehabt habe. (Doch sind dics Zeitungs- nachrichten, deren Werth oder Unwerth uns unbekannt ist.) Ebenso ist uns dutch die Zeitungen mitgetheilt worden, dass die grosse Meisterin in der dramatischen Darstellungskunst, die Rachel, nach der neuen Verfassung des Théatre frangais ihre Entlassung von dieser, ihr so theuren Buhne genommen habe, weil sie der Ansicht sei: , dass Schauspieler, welche ihre Verwaltung unter sich handhaben, nicht zu der Eintracht gelangen, die ih- ren Studien, den Fortschritten der Kunst und dem Wohle des Theaters so nothig 361“. (Die Sache hat zu einem Process Anlass gegeben, den aber die Rachel, nach Angabe der Zeitungen, gewonnen hat.)