treulich das Geleite gegeben, wodurch meine Toilette eben nicht
besonders gewonnen hatte. Daher habe ich es dem wiirdigen
Pfarrherrn auch keinesweges verdacht, dass er in meiner durch-
weichten Persénlichkeit zuerst die eines armen Handwerksbur-
schen zu erblicken glaubte, der ihm Gelegenheit geben wollte,
sich in der christlichen Bruderlicbe zu tben. Bald aber eines
Anderen belehrt, war der ehrwiirdige Herr sehr zuvorkom-
mend, mich mit allem nur irgend noch vorhandenen Merk-
wtrdigen des Klosters bekannt zu machen, und hier sah ich
auch, wie das Alte, das wohl noch recht gut hatte erhalten
werden kénnen, fallt, wenn man sich nur recht Miihe giebt,
es zu zerstoren. Die Kirche war noch gut erhalten, ein sché-
nes reines Byzantinisch, aber wie war gegen die tibrigen Klo-
slergebéude gewiithet. Von der Zeit? — Nein, die ist humaner,
als die Menschen, ihre Kinder. Die Zeit zerstért nicht in 30
bis 40 Jahren solide Maurer- und Steinmetzarbeit, wenn sie
nicht noch durch andere Krafte unterstitzt wird, und ich habe
noch Leute gesprochen, die in jener Zeit das Kloster noch in
voller Pracht gesehen haben.

In der Mitte des Platzes, den die noch vorhandenen Bau-
lichkeiten einschliessen, steht noch das Bibliothekgebaude; die
unteren Réume werden zu Stallen etc. benutzt; der obere Stock
besteht aus einem noch wohlerhaltenen Saale (auch im byzan-
tinischen Style), in dem jetzt verschiedene Hitlsenfriichte auf-
geschiillel waren. Das Gebiude muss frither mit der Priorei
in Verbindung gestanden haben. Der Gang zwischen Bibliothek
und Kirche ist ebenfalls zerstért. Der Kreuzgang, der von der
Kirche nach der nun nicht mehr vorhandenen Priorei fihrte,
war seiner Schlusssteine, Rosetten, ja sogar der Gewélbegurten
vollstandig beraubt und nur noch die einen Fuss tief in der
Mauer gehauenen Locher zeigten die Stellen an, wo einmal
ein Schlussstein gesessen, Wie ich spadter erfahren, hat man
sich bei der Beraubung dieses Ganges der Hacke als des ain
schnellsten wirkenden Zerstérungsmillels bedient, um sich der
Zierrathen zu bemachtigen. Das alte ehrwiirdige Kloster war
auf diese Weise freilich gefallen, aber das kuriose neue Le-
ben, das aus diesen Ruinen entsprossen, sollte ich erst kennen
lernen. Traurig erstaunt iiber den Mangel an Pietaét der Jetztzeit
gegen Geschichte und Kunst lenkte ich meine Schritte den Berg
hinunter. Bald gelangte ich auf wohlgebahnte Wege, und tiber
dem Griin der Baume winkten mir Zinnen und gothische Thirm-
chen — ohne Zweifel eines alten Schlosses, wie ich glaubte,
— entgegen. Bald gelangte ich an ein massives eisernes Thor,
und eingetreten befand ich mich in einer kleinen viereckigen
Gartenanlage, in der Mitte derselben die wohlbekannte Kiss’-
sche Amazone, in Duodezformat. Ich fragie einen eben da-
herkommenden jungen Mann, wie dieser Ort genannt wiirde;
,der Tempel der Thorheit* war die Antwort. Der Name war
das vinzige Verniinftige hier. Doch wieder zur Beschreibung.
Die erste sich meiner Beobachtung darbietende Wand war mit
Zinnen und Thirmchen geschmiickt und an derselben prangte
ein schénes byzantinisches Portal. ,,Hauptthor der Priorei®,
fliisterte mir eine Stimme zu, ich wandte mich um und sah
Niemand. Ich trat naher und durch die Fenster in die Réume,
die hinter jener Wand verborgen waren, ein gelafelter Fussbo-
den fiel mir in die Augen, , der Jagdsaal des Klosters*, flisterte
es wieder unsichtbar. Ich wandte mich ab, gegen die zweite
Seite des Vierecks: sichen gréssere und kleinere Saulchen trugen
eine Veranda, das heisst, man halle zwei Latten ther dieselben
gelegl. Ich trat naher, um die sauberen und schénverzierten
Kapitile genauer zu betrachten. ,Vom Kloster, vom Kloster“,
tonte es wieder wie im Chor. Die dritte Wand glich der er-
sten und war auch mit einem kleineren Portal geschmiickt, de-
ren Saulchen aber noch reicher als alle vorhergehenden waren.
	» Yom Kloster“, horte ich aufs Neue. Endlich die letzte Wand
— Himmel, das ist ja, oder soll vielmehr sein — der Krenz-
gang? — Ja, wahrhaftig, es waren scine Rosetten, Schluss-
steine, Gurten, Alles wiederum sauber und unsauber, wie es
gerade gekommen, mit Gyps zusammengeklebt. Hoch an der
Wand stand geschrieben:
Dem Kénige Friedrich Wilhelm IU,

Ich hatte genug, mehr als ich wollte, gesehen; doch als ich
wieder durch ein ahnliches reicheres Thor, wie dasjenige, durch
welches ich eingetreten, hinausging, hérte ich nochmals die
unsichtbare Stimme: , Die anderen Thiren des Klosters sind zu
Tilsen bei Salawedel*. Nachdenkend tiber diesen eben ver-
lassenen Tempel verliess ich diesen Ort und dachte: wo die
Menschen schweigen, werden die Steine reden. Diese Steine
haben zu mir geredet, die fiir ein Gotteshaus bestimmt und ge-
braucht waren und jetzt einem solchen Tempel dienen. Zuletzt
noch: das Kloster heisst Huysburg, das Gut, wo ich den
Tempel der Thorheit fand, Réderhof und den Namen des Eigen-
thiimers, der jene Domaine vom Konige geschenkt bekommen,
»im Vertrauen, die Klostergebiude, die der umliegenden Ge-
gend zur Zierde gereichen, méglichst zu erhalien“ ), und je-
	nen Tempel gebaut — nun den Namen habe ich vergessen.
George Geiwitz.
	Hunstliteratur.
	Das Wesen der Materei, begriindet und erliutert
durch die in den Kunstwerken der bedeutendsten Mei-
	ster enthattenen Principien. tin Leitfaden fiir den-
hende Kiinstler und gebildete Kunstfreunde von M. Un-
ger. Leipzig, 1851. (XX und 554 S. in 8.)
	Es ist ein unverkennbares Streben unsrer Zeit, aus der
diletiantistischen Auffassung der kinstlerischen Dinge hinaus-
zukommen und dieselben griindlich und. sicher an ihren Wur-
zeln — ihrem Inhallte, wie ihrem Ursprunge nach — aufzufas-
sen. Wir haben dafiir in den letzten Jahren mehr als einen
schatzbaren Beleg erhalten. Das in der Ueberschrift genannte
Buch ist ein neuer Beleg; es wird fiir die Auffassung der Dinge
im Bereiche der Malerei eine entscheidende Einwirkung aus-
tiben, wenn es auch zu solcher Einwirkung noch mancher
vermiltelnden Kanale wird bedtrfen, wenn auch der Verfasser
den Ruhm, der ihm gebihrt, vielleicht mit spateren Nachar-
beitern wird theilen miissen.

Das Buch bietet sich, was voraus bemerkt werden muss,
dem Leser in einer nicht gar ansprechenden Form dar; es ge-
hért Ausdauer und Ueberwindung dazu, bei der Lectiire des-
selben zu beharren. Dem Style fehlt es fast zu sehr an ktinst-
lerischem Vermégen. Die Sprache ist in ungewéhnlicher Weise
mit Fremdworltern beladen; die Sitze sind schwer, oft ver-
wickell und selbst. verworren gebaut. Der Ausdruck bewegt
sich fast unausgesetzt in Abstractionen, die nicht selten bis
zum Uebermaasse gehauft sind. Der Verfasser ist mit seinen
geistigen Organen auf einem Gebiet zu Hause, dem die Sprache
noch nicht tiberall als schulgerechte Vermittelung gegentiber-
stehen mochte; seine Sprache ist ein Ringen mit dem Gedanken
und das, was von solchem Ringen als Gewéhnung zuriickge-
blieben. Wer ihm nicht mit angespannter Aufmerksamkeit folgt,
verliert den Faden leicht, yverliert ihn auch ab und zu wohl bei
aller Aufmerksamkeit, Manche Stellen scheinen einen nicht ganz
nothwendigen Aufwand an Worten zu enthalten; das Verstand-
	1} Worte der Schenkungsurkunde.