malerische Verdienst der grossen alteren Meister nicht in die-
sen oder jenen technischen Geheimnissen, sondern eben in der,
mit reiner Naturcinsicht verbundenen stylvollen Behandlung be-
ruht, so ergeben sich die belehrendsten Blicke in das Wesen
der naiv malerischen Auffassungs- und Vortragsweise der vor-
raphaelischen Meister, in die geléiuterte Fiille der venelianischen
Kunst, in die reich gegliederten Kategorieen der niederlindi-
schen Schulen. Und wie, der Natur der Sache nach, das aus-
schliesslich Malerische vor Allem fir die landschaftliche
Darstellung bedingend und bestimmend ist, so tragen vorzugs-
weise diejenigen Abschnilte des Buches, welche die Blithe
dieses Kunstfaches im siebzehnlen Jahrhundert behandeln, das
Geprige einer meisterlichen Entwickelung und ist aus Шипеп
vielleicht dic zumeist gediegene Belehrung zu schdépfen.

Die kiinstlerische Fassung, der Styl, ist es, wodurch das
Kunstwerk als solches seine specifische Bedeutung erhalt. Den
Einzelgegenstand der Darstellung bezeichnet der Verfasser im
kiinstlerischen Belang als gleichgiillig; cr ist ihm nur dic dus-
serliche Handhabe, an welcher der Kiinstler seine Einsicht in
das Weben des Naturgeistes zum Ausdruck, zur Erscheinung
bringen soll. Das ist einerseits véllig richtig und kann, so
	lange man sich bewusst bleibt, dass es sich um eine Seite der
Sache handelt, nicht Jeicht entschieden genug gefasst werden;
	andrerseilts aber konnen und miissen sich hieraus doch sehr
bedenkliche Consequenzen ergeben. Der Gegenstand an sich
hat eine Fille von Daseinsbedingungen, denen eben auch ihr
Recht geschehen muss; verliert man deren Gewicht aus dem
Auge, wendet man sich vorzugsweise den Bedingnissen des
Styles, der Behandlung, des Vortrages zu, 50 lduft man all-
zuleicht Gefahr, der Virtuositat eine selbstandige Gvltung
zuzugestehen, Der Verfasser ist dagegen mdglichst auf der
Hut; wenigstens raumt er es in keiner Weise ein, dass seine
Lehre eine solche Gefahr in sich schliessen kénne, und doch
ist dies — wenigstens nach meiner Ansicht der ktinstlerischen
Dinge — der Fall. Teniers z. B. ist dem Verfasser eine un-
bedingte kitnsilerische Grosse, wahrend ich in den Gestalten
seiner Bilder mehr als einmal, slatt eine selbstandig berechligte
Existenz (ob auch nur nach dem Begriff der Galtung) in ihnen
zu finden, in der That nur willktrliche Trager fir die Kund-
gebungen kiinstlerischer Virtuositét zu sehen vermochte.

Die Divergenz der Ansichten ist hierin indess noch so gar
erheblich nicht; man geht noch gemcinschaftlichen Weg und
halt sich im cinzelnen Fall nur mehr rechis oder mehr links.
Aber es sind bei den ktinstlerischen Angelegenheiten noch andre
Dinge zu berthren, bei denen sich die Divergenz als eine sehr
starke ergiebt, und ich vermuthe, dass der Weg, den ich ge-
hen muss, noch von vielen Andern, — und nicht blos von
seichten Kunstliebhabern und mangethaft organisirten Kiinstlern,
eingeschlagen werden wird.

Die bildende Kunst ist eben Kunst, und dic Malerei ist
Malerei. Das klingt héchlichst trivial, und doch ist dieser ein-
fachste Grundsatz noch so wenig als ein allgemeingiiltiger an-
genommen, doch weiss man noch so wenig zu schciden, was
dem cinen-und was dem andern asthelischen Schaffen zukommt,
doch ist es eben das Verdienst des in Rede stehenden Buches,
das Wesen des specifisch Malerischen thunlichst fesigestellt zu
haben. Aber so sehr man cinerseits und vorerst die Weisen
des kiinstlerischen Schaffens auscinanderhallen muss, um den
festen Ausgangspunkt einer jeden Weise zu erkennen und si-
cher zu hiiten, ebensosehr muss man dic Punkte ins Auge fas-
sen, wo dennoch eine Weise in die andre tberspringt, eine
aus der andern nahrende Quellen in sich aufnimmt. Die Ma-
lerei ist Malereit, — aber sie ist noch mehr. Sie hat die Nalur
	  und das allgemeine Weben des Geistes in der Natur darzu-
	niss mancher andern ist man geneigt, von kunitiger erneuter
Lectiire zu erwarten ). Doch aber lebt man sich allmahlig in
diese eigenthtimliche Ausdrucksweise hinein; mehr und mehr
reizt das Einzelne, halb Rathselhafte, zum ernstlicheren Nach-
sinnen; gelegeniliche Ausspriiche einer fast gnomischen Weis-
heil geben eine tiefere Anregung, und man fihlt sich tber-
rascht und wie von einer Begeisterung mitfortgezogen, wenn
dem Verfasser bei den Erscheinungen der Kunst, die ihm die
theuersten sind, doch endlich das Herz iiberstrémt und sein
Wort sich aus dem Tappen und Suchen zur bliihenden Gestalt
aufschwingt.

Der Verfasser hat sich mit volister Entschiedenheit dem
ausschliesslich Kiinstlerischen, oder vielmehr — nach der en-
geren Aulgahe seines Buches — dem ausschliesslich Maleri-
schen zugewandt. Er wendel sich ebenso mit vollster Ent-
schiedenheit von Demjenigen ab, was als ein mehr oder we-
niger Beilaufiges mit der Kunst in Verbindung steht oder sonst
als ein mit ihr Verbundenes vorausgesetzt wird. Er will in
der Kunst der Malerei wirklich nur diese erkennen, nur ihre
Gesetze nachweisen, nur die aus ihrem eigenthimlichsten We-
sen hervorgegangene Leistung als eine lebensfahige und leben-
	zeugende betracntet wissen. Dieser Standpunkt ist in der neue-
ren und in aller Kunstliteratur noch nirgend auf gleich be-
	stinmte Weise ausgesprochen und behauptel worden, und hierin
eben sehe ich jene ecinflussreiche Bedeutung des Buches. Denn
wenn ich mit dem Verfasser darin auch nicht tibereinstimmen
kann, dass dieser Standpunkt der einzig giillige sei, so ist
er doch, eben weil aus dem eigensten Kern der Sache her-
yorgegangen, auch nach meiner Auffassung der zundchst we-
senlliche. Und wenn dic Einsichtigen unter den Kunstfreunden
unsrer Tage solcher Richtung unbedenklich, ob auch mit cinem
oder dem andern Vorbehalt, ihre Anerkennung zollen werden,
so ist sie eben noch durchaus nicht in das allgemeine Bewusst-
sein tibergegangen.

Die Kunst soll die Idee des Géltlichen in der Erscheinung
zum Ausdruck bringen; die bildende Kunst hat dies in der Dar-
stellung der sichtbaren Natur zur Aufgabe; der Malerei sind
dazu ihre besonderen Arlen und Mittel der Darstellung gege-
ben. Es handelt sich um das Verstindniss der Natur einer-
seits, andrerseits um Dasjenige, worin ihre kiinsllerische Fas-
sung beruht und was wir unter dem Worte des kiinstlerischen
Styles zu begreifen pflegen. Die Erkenntniss des malerischen
Styles, die Darlegung seiner Elemente, die Entwickelung sei-
nes Wesens bei den mannigfaltigsten Modificationen je nach Zeit
und Gattung der Kunst und nach den kiinsuerischen Individua-
litéten bildet den Inhalt des Buches. Auf sehr bedachte Weise,
dem Verstandniss sichere Stitzpunlte darbietend, scheidet und
erorlert der Verfasser die Grundelemente, auf denen das We-

sen des malerischen Styles und somit der malerischen Kunst
(im eigentlichen und engeren Sinne) beruht; ebenso einsichtig
geht er die Entwickelungsstadien dieses Styles in den verschie-
denen Schulen und Fachern der Kunst durch; tiber die einzel-
nen Meister, die sich darin ausgezeichnet, werden die schiatz-
barsten Abhandlungen beigebracht, die dem kunslversténdigen
Leser, welcher sich der Leitung des Verfassers hingicbt, aus
dem Born einer reichhaltigen technischen Beobachtung und sorg-
lichster Combination mannigfache Aufschliisse 2u geben im Stande
sind. Wie hieraus im Allgemeinen einleuchtend wird, dass das
	1) Das oben Gesagte gilt ganz besonders auch von dem einleitenden Ка-
pitel, in welchem der Verfasser seine kunstphilosophischen Grundsatze darlegt.
Ich habe es hier nicht far erforderlich gehalten, auf den Inhalt dieses Kapitels
naher einzugehen, glaube dies vielmehr den Aesthetikern yon Fach itber-
lassen zu durfen, falls sie dazu geneigt sein sollten.