selm dem durch Lanfrancus errichteten Schiffe der Kirche an-
gebaut und im Jahre 1130 geweiht war, wurde im Jahre 1174
ein Raub der Flammen. Unser Berichterstatter Gervasius  ), ein
Monch des mit der Cathedrale verbundenen Klosters, beginnt
damit, den Schrecken seiner Briider zu schildern, als sie die
Statte ihrer téglichen Andacht einem unabwendlichen Untergange
Preis gegeben sahen. Sofort dachte man auf Abhiilfe des Scha-
dens und zog deshalb Werkverstandige, und zwar, wie ausdriick-
lich bemerkt wird, Franzosen und Englander, herbei, die aber
unter sich nicht einig werden konnten. Einige gaben den Mén-
chen die angenehme Versicherung, dass die Ueberreste der
Pfeiler und Mauern ftir den Neubau brauchbar sein wirden; An-
dere erklarten dies fir gefahrlich. Endlich fassten die Geist-
lichen den verniinfligen Entschluss, einen Obermeister zu wahlen
und sich ihm anzuvertrauen, und nahmen dazu einen gewissen
Wilhelm aus Sens, der nicht nur als cin geschickter Ktinstler
in Stein und Holz berihmt war, sondern auch durch seinen
sonstigen guten Ruf und durch seinen lebhaften Geist Vertrauen
einflésste. Er geht sorgsam zu Werke, beginnt abzubrechen,
zu untersuchen, tiberzeugt die Ménche allmihlig, dass es nicht
rathsam sei, durch eine Beibehaltung der beschadigten Theile
das neue Werk zu gefahrden, ermuthigt sie aber auch und
schreitet sogleich mit Vorarbeiten vor, indem er Steine berbei-
schafft, Maschinen zuriislet und den Steinmetzen Vorbilder zur
Bearbeitung des Steines tibergiebt?). Im zweiten Jahre ist er
schon so weit gedichen, dass er die Aufrichtung des Gebdudes
beginnen kann. Er geht dabei von der Vierung des Kreuzes
aus, welche nebst dem grossen Miltelthurm, der auf ihr ruhte,
erhalten war, schreitet also von Westen nach Osten vor. Hier
errichtet er noch in diesem Jahre sechs Pfeiler, drei auf jeder
Seite, nebst den entsprechenden Mauern der Seitenwande, und
vollendet auch sofort die dazu gehérigen sechs Gewélbe der
Seitenschiffe. Im folgenden Jahre figt er auf jeder Seite zwei
Pfeiler hinzu, ist also bis zum dstlichen Kreuzschiffe gelangt,
tiberwélbt auch hier die Seitenschiffe, fiihrt dann die Mauern
des Oberschiffs auf und vollendet sogar noch das Gewdlbe des-
selben, namlich zwei quadrate und ein schmales Gewdlbe, welche
so den fiinf Arkaden, die er bisher errichtet, entsprachen.
Man sieht, er férdert sein Werk. Im vierten Jahre arbeitet er
jenseits des dstlichen Kreuzschiffes weiter, errichtet zehn Pfeiler
nebst den entsprechenden Mauern und Seitengewdlben und den
Wanden des Mittelschiffs, stirzt aber nun, als er auch das
obere Gewélbe beginnen will, vom Geriist herab und beschi-
digt sich so, dass er das Bett hiiten musste. Aber auch von
hier aus leitete er den Fortbau, indem er sich eines jungen
Ménchs, der bisher schon als Aufseher beim Bau mitgewirkt,
bediente. So wurden die déstlichen Kreuzarme angelegt und
zwei quadrate Gewélbe des Chors vollendet. Im fiinften Jahre
verzweifelte Meister Wilhelm an seiner Herstellung, kehrle da~
her nach Frankreich zuriick und ein Englander, ebenfalls Wil-
helm geheissen, klein von Kérper, wie Gervasius bemerkt, aber
in verschiedenartigen Arbeiten sehr wacker, wurde dem Bau
vorgesetzt. Dieser wélbte nun im fiinften Jahre die Kreuzschiffe
und die Chorrundung. Die Krypta und die alten, in ihren Fun-
damenten beibehaltenen Thirme am Chor, waren noch nicht in
Angviff genommen und beides musste geschehen, che die Aus-
senmauer des Chors vollendet werden konnte. Allein die Un-
geduld der Geistlichen, die waihrend des Baues ihre Horen im
Schiffe der Kirche absingen mussten und sich hier wie im Exile
	1) Gervasii Tractatus de combustione ac reparatione Cantuariensis ес-
	  glesiae in Twisde’s, Hist. Angl. Ser. p. 1289.
	eine kleinlich sorgfaltige Behandlung der Einzelnhelten be-
	dacht ist. (Fortsetzung folgt.)
	Das Aufkommen des gothischen Styls in England.

Von Dr. Karl Sehnanrse.
	(Glitig mitgetheilter Auszung aus dem Manuscript des Herrn Verfassers zum
kiinftig erscheinenden IV. Bande 2. Abth. des Werkes: ,, Geschichte der bil-
denden Kunst. Dusseldorf bei Jul. Buddeus.)
	In welchem Jahre oder Jahrzehnt der Spitzbogen in Eng-
land zuerst angewendet worden, diese Frage, welche die eng~
lischen Archaologen so viel beschaftigt hat, ist ohne Zweifel
nicht genau zu beantworten. In ecinigen Klosterkirchen, die
simmtlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts gegriindet sind,
findet man ihn, aber nur an den Scheidbégen, waihrend die Rund-
pfeiler, die Balkendecke, die rundbogige Bedeckung von Thi-
ren und Fenstern und die ganze Ornamentation des normanni-
schen Styls beibehalten sind. Wenn der Spitzbogen hier nicht
bei spateren Herstellungsbauten hinzugekommen sein sollte, was
allerdings bei der Uebereinstimmung dieser Bauten nicht wahr-
scheinlich ist, so zeigt diese Anwendung deutlich, dass man
ihn nicht als eine Zierde, sondern nur als ein Mittel festerer
Construction betrachtete, ihn daher nur da, wo der Bogen die
schwere Mauer zu tragen hatte, zuliess, tiberall aber, wo er
dem Auge auffalliger wurde und einen Anspruch auf Schénheit
machte, ausschloss. Beispiele dieser Art sind die Ableikirchen
von Buildwas (schon 1135 gegriindet), Malmsbury ), Kirkstall
(1153 — 1182) und Fountains (1132 gestiftet)*). Der Spitzbogen
hat hier so wenig Einfluss auf die Umgestaltung der Form ge-
habt, dass die Sdulen noch schwerfalliger erscheinen und der
Ausdruck des Spréden durch die spitze Form des Bogens nur
gesleigert wird*). Daher finden wir denn auch in dem Schiffe
des Doms zu Ely, das 1174 beendet wurde*t), und in dem der
Kathedrale zu Peterborough, welches 1177 eine durchgreifende
Aenderung erlitt®), keine Spur von Spitzbogen und durchgangig
die alten, schweren Formen.

Um diese Zeit indessen trug sich ein Ereigniss zu, das auf
den Styl der englischen Architektur den wesentlichsten Einfluss
hatle, und tber das wir durch den Bericht eines bei dem gan-
zen Hergange nahe interessirlen Augenzeugen aufs Genaueste
unterrichtet sind. Der Chor der Kathedrale von Canterbury,
welcher unter der bischdflichen Regierung des beriihmten An-
	1) Beide in Brittons Archit. Antiqu.

2) Abbildungen von beiden in Sharpe’s Architectural Paralleles or views
of the principal Abbey Churches. London. gr. Fol. Fountains wurde zwar
1205 —1246 ernenert (Monasticon Angl. Vol. 5. p. 286); die Zeichnungen
bei Sharpe scheinen indessen zu ergeben, dass bedeutende Theile des alte-
ren Baues erhalten sind, die jene schweren Spitzbogen haben. Dies nimmt
auch Rickmann in seinem Verzeichniss der englischen Kirchen an. Abbil-
dungen von Kirkstall ebenfalls bei Sharpe.

3) In Buildwas sind die 5 Fuss dicken Rundsdulen mit den Mapitdlen
nur 12 Fuss 3 Zoll hoch. Vergl. Abbildungen bei Britton a. a. 0. IV. p. 42
—51; von Malmsbury I. р. 95.

4) Der Bau des Schiffes war schon seit 1109 begonnen.

5) Zwar schreibt das Chron, Petriburg. (Monasticon Vol. I. p. 353) dem
Prior Benedict (erwahlt 1177) die Construction des ganzen Schiffes vom
Thurm bis zur Fagade zu; allein da im Jahre 1143 die Kirche vollendet und
geweiht war, und die Formen des Schiffes dieser Zeit entsprechen, so wird
die Arbeit des Jahres 1177 nur eine Aenderung oder Ilerstellung, wahr-
scheinlich der oberen Theile, die, obgleich sehr alterthtimlich, doch etwas
neuer scheinen, betroffen haben. Das Kreuzschiff, welches abwechselnd
runde und achteckige Saulenpfeiler hat, ist den Formen, die wir in der
Abteikirche Fountains finden, nahe verwandt und scheint etwas jinger als
das Schiff, so dass dieses gewiss im Wesentlichen aus dem friheren, 1143
beendeten Bau erhalten ist. Vergl. Ely und Peterborough in Winkles Ca-
thedrals. Vol. TI.
	2) Formas quoque ad lapides formandos his qui convenerant sculpto-
ribus tradidit. Es mag dahingestellt sein, ob darunter Vorzcichnungen oder,
was wahrscheinlicher ist, hélzerne Formen verstanden sind.