Museum tbergegangen, ist mir leider unbekannt geblieben; doch
konnte ich dies allenfalls verschmerzen, da Sie von dem letzteren
Bilde in Ihrem Sendschreiben eine so genaue Charakteristik ge-
geben und namentlich bemerkt haben, dass dasselbe, abgesehen
von seiner eigenthiimlichen, doch nur dusserlichen Gefalligkeit
in der Behandlung, mit dem Bilde bei Brocca bis in die klein~
sten Theile tibereinstimme. .

Das Bild bei Brocca ist, wie nach Ihrem Urtheil, so nach
dem noch andrer zuverlassiger Kenner, z. B. Rumohr’s, nicht
als ein Originalwerk von Raphael’s eigner Hand zu betrachten;
auch das Bild in der Esterhazy- Galerie bezeichnet Passavant
nur als ein gutes Schulbild. Der Zweifel gegen die Originalitat
beider dirfte sich nicht minder schon aus der Ansicht der ge-
nannten Kupferstiche ergeben. Dennoch waltet in der ganzen
Darstellung, wie sie diese beiden Stiche in einander ziemlich
entsprechender Weise bringen, und namentlich in dem von Longhi
und Toschi, ein Element, welches mit charakteristischer Ent-
schiedenheit den raphaelischen Ursprung erkennen lAsst und sich
noch verhaltnissmassig eng an denselben anschliesst. Es ist
hier tberall auf gréssere ruhigere Massen, auf deren freiere
Entwickelung, auf das entschiednere Hervorheben des Kérper-
lichen bestimmte Riicksicht genommen, wahrend in der Ge-
wandung, dem Adel des Kérperlichen entsprechend, die Haupt-
motive des Fallenwurfes gross und bedeulend, die andern we-
sentlich untergeordnet behandelt sind, — Alles dies, wie es
Raphael so durchaus eigenthtimlich ist. Der Stich von Frey,
im Ganzen zwar flauer erscheinend als jener, hat gleichwohl
einzelne Motive, die darauf hindeuten, dass das Bild der Ga-
lerie Esterhazy in einem noch naheren Verhiltniss zu dem ra-
phaelischen Originale stand. Beide Kinder sind hier véllig nackt
dargestellt, ohne vereinzelte Gewandflicken, denen man ander-
weit die spditere Zuthat nur allzu deutlich ansieht. Ferner hat
hier — was besonders zu beachten sein diirfte — der Korper
des Christusknaben, namentlich in seiner Brustpartie, die An-
deutung einer vollkommen reinen und Icichten kindlichen Be-
handlung, wdhrend das Gesicht des Johannes eine gliticklich
Iebhafte Ausbildung desselben Ausdruckes, der in dem Tos-
chi’schen Stiche zwar vorhanden ist, aber matt manierirt er-
scheint, erkennen lasst.

Stelle ich diesen beiden Stichen nunmehr das von Jhnen
nachgebildete Werk gegenitber, suche ich das Verhiltniss zu
erkennen, in welchem dieses zu Raphael steht, so finde ich in
allen eben angedeuteten Punkten wesentliche und charakleristi-
sche Unterschiede, — und zwar solche, die meines Erachtens
in dem Antwerpener Bilde ein namhafles Abweichen von Ra-
phael’s kinstlerischer Eigenthtimlichkeit erkennen lassen. Es
fehlen eben jene feineren Beziehungen des ganzen, fir ihn so
sehr bezeichnenden stylistischen Gesetzes. Ich bedaure
daher, dass ich Ihrer Angabe tiber die Originalitat des Ant-
	werpener Bildes nicht veisliinmen kann, und ich Dedaure dies  
	um so menr, als menach die Originalarbeit unter der ganzen
Reihefolge der hieher gehdrigen Gemaide noch immer unbe-
kannt bleibt. Dabei bin ich aber durchaus fern, die Schénheit
des Antwerpener Bildes tiberhaupt in Frage stellen zu wollen;
im Gegentheil leuchtef schon aus Ihrem Stiche die Feinheit der
geistigen Empfindung, wie sie der Inhalt der Darstellung unter
allen Umstanden erfordert, hervor, und wird zugleich eine sehr
interessanle Higenthiimlichkeit in der ganzen Auffassung und
Behandlung ersichtlich, die dem Gemalde seine besonders be-
merkenswerthe Stellung cinraumen diirfle. Bet geringerem Sinn
fiir plaslische Fiille und fiir Grésse des Styles tiberhaupt, bei
einer mehr den Einzelheiten zugewandten Sorge erscheint darin
ein gewisses jugendliches, — ich méchle sagen: aus Schiich-
ternheit und Unbefangenheit zugleich gemischtes Geftihl, wel-
	ches, je mehr man sich in die Darstellung hineinlebt, einen
nur um so grésseren Reiz gewinnt. Vor Allem tritl mir dies
in dem Kopfe der Madonna entgegen. Es sind die raphaeli-
schen Grundzatige, aber doch sind sie leise in der Art umge-
bildet, doch ist ein fremdartiger, fast dimmernder Hauch dar-
liber hingezogen, dass man geneigt sein méchte, auf das Ueber-
tragen in die Geltihlsweise selbst einer fremden Nationalitat zu
rathen, wahrend gleichzeitig das allerdings unverkennbare ra-
phaelische Geprige in dem Johanneskopfe einen gewissen ecsta-
tischen Zug erhalten hat, der auch in fast fremdartiger Weise
in die naive Composition hineinklingt. Flr die Arbeit eines
Kiinstlers, der urspriinglich nicht zur rémischen Schule gehdrte,
glaube ich das Bild jedenfalls halten zu miissen; dahin deutet
nach meinem Dafiirhalten u. A. schon der zierlich gestickte
durchsichtige Kopfschleier, der tiber der Stirn der Madonna,
unter dem dariiber gelegten Mantel, sichtbar wird. Der Maler
oehdrt ohne Zweifel einer fernerstehenden Schule an, vielleicht
seinem Ursprunge nach, wie schon angedeutet, einer ausser-
italienischen. Manches will mich wie ein Nachklang АЦегег
spanischer Weise gemahnen; oder es mag ein solcher Richtung
entsprechender Niederlander gewesen sein, der das Bild aus-
gefiihrt hat, womit sich dann der von Ihnen angeftihrte Um-
	stand, dass dasselbe ein Paar Jahrhunderte hindurch порегавт
an seiner bisherigen Stelle in der Nahe von Antwerpen geblie~
ben zu sein scheint, auf das Einfachste verbinden wiirde. Doch
wire es verwegen, auf einen Kupferstich, auch einen so ge-
diegen durchgefihrten wie den Ihrigen, irgend nahere Hypo-
thesen der Art begriinden zu wollen.

Nominell verliert das besprochene Gemilde, wenn es nicht
von Raphael selbst gemalt ist, wohl den Ruhm, der ihm seit
kurzer Frist bereitet worden: — fir denjenigen, der mehr als
eine blos nominelle Werthschatzung verlangt, wird es ohne
Zweifel ein sehr schatzbares Werk und seine Entdeckung ein
erfreuliches kunstgeschichtliches Ereigniss bleiben. So wird
man auch Yhnen fiir die Mithe und den hingebenden Fleiss,
welchen Sie der Reproduktion dieses schénen Bildes gewidmet
haben, unter allen Umstanden dankbar verpflichtet sein. In der
That haben Sie in diesem Blatte die Mittcl threr schénen Kunst
mit so feinem und innigem Verstandniss und zugleich so fern
von aller fremdlindischen eileln Virtuosenmanier zur Anwen-
dung gebracht, haben Sie damit ein ktinstlerisches Ganzes von
so wohlthuender, klarer und warmer Harmonie geschaffen, dass
die deutsche Kunst Ihnen nur aufs Neue alle Anerkennung zu
zollen hat  ).

Schliesslich kann ich Jhnen auch tiber das neue Unterneh-
men, von dem Sie mir Miltheilung gemacht, nur meine Freude
	und den aufrichligen Wunsch des gedeihlichsten Gelingens aus-
sprechen. Dass Sie von der machtigen Kreuzabnahme von Ru-

bens zu Antwerpen, wahrend dies Bild im Restaurationslokal
ein so viel griindlicheres Studium verstatiete als frither an der
Kirchenwand, eine durchgefiihrte Zeichnung gefertigt haben, dass
Sie dieselbe demnachst im gréssten Maassstabe in Stahl stechen’
werden, wird gewiss das lebhafte Interesse alle Kunstfreunde er-
wecken. Berlin, im October 1851. Е. Kugler.
	ео .
	Perl, im Oct. Der Landschaftsmaler EHichhora, vor~
ziiglich durch seine Bilder aus Griechenland bekannt, ist in
	1) Das Blatt von Hrn. Fr. Wagner ist im Stich etwa 13% Zoll hoch und
gegen 10% Zoll breit. Es wird mit der Unterschrift La Vierge auw Langes
ausgegeben werden. Der Kanig der Belgier hat die Widmung desselben
	апоепотмтел.