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	terischen Wiirde zu widerstreben, die bei einem, fiir die Dauer
von Geschlechtern und Jahrhunderten bestimmten Denkmale doch
nicht minder eingehalten werden soll. Man thut, solcher Schwic-
rigkeit zu begegnen, dem gegebenen Kostiim hinzu, was die
gréssere Wiirde besser zu vermilteln scheint: man hillt die
	Gestalt oder einen Theil derselben in den freieren Faltenfluss -
	irgend eines Mantelstiickes; aber man beeintrachtigt damit nur
allzuoft dasjenige, worin die sprechendste Wirkung des gege-
benen Kostiims zu beruhen pflegt, — seine frische gesunde
Naivetat; man schafft nur allzuoft, wenigstens da, wo die An-
wendung des faltigen Gewandstiickes nicht. durch ein ganz un-
bedingt natiirliches und verstindliches Motiv gegeben war, ein
unerquickliches Zwitterwesen. Indess weiss die wahrhafte Mci-
sterschaft um dergleichen Nothbehelfe hinwegzukommen; Riet-
schel’s Lessing ist ein Beispiel, wie monumentale Wiirde auch
bei ydlliger Hingabe an die Erfordernisse des Zeitkostiims zu
au erreichen ist. — Ungleich gréssere Beriicksichtigung erfor-
dert cin andrer Umstand.

Die Statue, welche den gefeierten Mann in ganzer Figur
darstellt, giebt uns das Bild seiner kérperlichen Erscheinung.
Diese seine kérperliche Erscheinung war die Hiille seines Gei-
sles und das Weben seines Geistes ihr allerdings ebenso auf-
gepragt, wie z. B. der Modeschnitt seines Kleides durch sein
kérperliches Gebahren das eigenthtimliche Geprige empfangen
halle. Aber die kérperliche Hiille spiegelt doch keinesweges
nur allein dies sein geisliges Thun wider; sie igh vielmehr zu-
nachst und im Allgemeinen das Symbol seines kérperlichen
Thuns, wahrend sein geistiges Wirken vorzugsweise nur in
Kopf und Antlitz seinen Ausdruck findet. Bei dem Mann der
in das aussere Leben hinausgreifenden That, bei dem Helden
insbesondere, wird es wesentlich auf das Bild seiner kérper-
lichen Gesammterscheinung ankommen; hiebei wird nichts yon
dem zu vernachlassigen sein, was — cben im Kosttim und allem
dazu Gehérigen — die dusseren Zeitelemente und die dussere
Stellung des Mannes in seiner Zoit bezcichnet, was tiberhaupt,
durch sein kérperliches Gebahren bedingt, die Weise seines
Eingreifens in das Leben zu charakterisiren gecignet ist. Ап-
ders bei dem Manne der geistigen That. Bei diesem kommt
es, wie eben angedeutet, zundchst und vorzugsweise auf den
Kopf, auf die Weise an, wie sich in dessen Formen und Linea~
‘menten dic Einwirkungen seiner geisligen Thatigkeit ergeben
hatten. Fir den Mann der geistigen That wird schon die Biiste
eine vorziiglich charakteristische monumentale Bedeutung ha-
ben. Soll aber nicht diese gegeben werden, erfordern gréssere
monumentale Zwecke eine Darstellung in ganzer Gestalt, so
wiirde bei solcher nalurgemass zunachst jenes kérperliche Ge-
wicht iberwiegen und das geistige Element Gefahr laufen, gegen
das des dusseren Thuns wesentlich zuriickzutreten, welches
letztere doch bei dem Manne der geistigen That in doppelt un-
tergeordnetem Verhillniss zu stehen pflegt. Das Zeitkostiim
und dic Auspraégung desselhen nach der besondern Persénlich-
keit wtirden hier in aller Breite das Spiegelbild eben dieses
Untergeordneten geben, wahrend das Eingehen hierauf doch
ganz ausserhalb der eigentlichen Zwecke eines derartigen Denk-
males liegt. Es handelt sich hier um Denkmaler idealen
Wirkens: — es wird daher eine ideale Behandlung, wie
cine solche in der Machtvollkommenheit aller Kunst beruht, hier
durchaus am Orte sein.

Als angemessenste ideale Darstellung ciner charakteristi-
schen Persénlichkcit, im Gegensalz gegen dic zufilligen Be-
sonderheiten dieses oder jenes Zeitkestiims, kénnte zundchst
diejenige erscheinen, welche der hohen Schénheit des kérper-
lichen Organismus ihr volles Recht giebt, — freie, slolze Nackt-
heit. Sehen wir von den Banden der Sitte unsres Zeilalters
	ab, welche uns dergleichen bei einem Bildnisswerke freilich
tberhaupt nicht verstaiten wiirde, so kénnen wir uns doch sehr
wohl vorstellen, dass ein derarliges Werk zur hohen kiinstle-
rischen Wirkung durchzubilden ware, wenn auch unler der
Voraussetzung, dass der gegebene Portraitkopf nicht minder
demjenigen Grade einer freieren Behandlung unterlige, der
seinen kérperlichen Ausdruck mit dem kérperlichen Selbsige-
fiihl der nackten Gesammterscheinung in Einklang zu setzen
erforderlich ware. Aber, wie weit auch cine solche Darstel-
lung unter Umstinden zulassig sein mag, fir die Gedachlniss-
statue des Mannes der geistigen That wiirde sie wiederum
sehr wenig geeignet sein. Die untergeordneten Beziehungen,
die das Zeitkostiim hier festgehalten hilte, waren bei nackter
Darstellung zwar beseitigt, aber das entscheidende Hervorheben
des geisligen Elementes doch noch nicht gewonnen; das Kér-
perhafte, — Alles dasjenige, was zu den Functionen des kér-
perlichen Daseins gehért, wtirde dabei noch immer in tiber-
wiegendem Maasse vorherrschen oder sich als ein solches dem
Auge des Beschauers aufdrangen.

Es kommt allerdings darauf an, die freie, durch keine Zu-
falligkeiten beengte Schénhcit des kérperlichen Organismus fest-
zohalten, aber nur als Grundlage, als Reminiscenz, und in einer
Weise umkleidet, die seine vorwiegende Wirkung zu neulrali-
siren, die an die Stelle der individuellsten Formenbewegung
Linien und Massen von mehr allgemeiner, fast michte ich sa-
gen: mehr archilektonischer Bedeutung zu setzen vermag, die
somit die kérperliche Gesammlerscheinung zu demjenigen um-
wandelt, was sie fiir den in Rede stehenden Zweck in der
That sein soll: — zum Unterbau und Trager des Kopfes, wel-
cher die geistigen Organe zur Anschauung bringt. Es kommt
darauf an, den Kérper, diesem Princip gemass, in ein ideales
Gewand zu kleiden. Dies aber ist das anlike und insbesondre
(da das rémische Kostiim im Einzelnen doch in modische Ver-
haltnisse tibergeht) das griechische Gewand. Das letztere war
freilich cin solches, welches fiir ein bestimmtes Volk und fiir
eine bestimmle Zeit seine Gemeingiltigkeit hatte und insofern
ein Zeilkostiim war; aber es theill keinesweges die Exclusivilat
aller tibrigen Zeitkostiime. Es war ein unmilttelbares und enl-
schieden bewusstes Product des kinstlerischen Geistes der Grie-
chen, die mehr und mehr die conventionellen Elemente alter-
thiimlich barbarisirender Kleidung von sich thaten und_ nicht
rasteten, bis sie auch hierin das einfachst Naive gewonnen
hatten. Das griechische Gewand ist, ungleich mehr, als bei
irgend einem der Vélker primitiver Culturstufe, die vollig na-
turgemasse, all und jeder Kiinstlichkeit entfremdete, aber darum
zugleich vdéllig kiinsilerische Umkleidung des Kérpers: ein ein-
faches Gewandstiick, der Chiton, zur engeren, — ein ebenso
einfaches, das Himation, zur freieren Bedeckung. Das grie-
chische Gewand, natiirlich wie kein andres, folgt daher auch
durchaus der natirlichen Form und Bewegung des Kérpers; es
spricht sich darin, der stofflichen Bedingung gemass, eben nur
der allgemeiner gehallene Nachklang dieses Kérperlichen aus.
Seiner Natiirlichkeit gemass modificirt es sich daher nicht min-
der nach den Eigenthiimlichkeiten eines jeden Individuums, der
Art jedoch, dass diese Higenthimlichkeiten sich wiederum in
das ihnen entsprechend Generelle auflésen. Das griechische
Gewand hat daher keinesweges nur seine Bedeutung fiir Volk
und Zeit der Griechen; es hat eine absolute kiinstlerische Gel-
tung. Und wenn wir dasselbe fiir ideale Darstellungen auch
unsrer Zeit wicderum in Ansprauch nehmen, so geschieht dies
in der That aus wesentlich verschiedenen, viel mehr innerlichen
Griinden, als die waren, welche in der Rococo -Zeit zu einer
eben nur conventionellen Nachahmung anltiker Kostiim-Elemente
	fihrten.