Fenster von ihrer unteren rechtwinkligen Abtheilung durch einen horizontalen Steinbalken eben so wenig durch die Nothwendig~ keit geboten als durch die Schdnheit sanctionirt. Anstatt zu- sammenhangender einheitlicher Mauer6ffnungen erhalten wir viel- fach getheilte, und die Abwechselung zwischen Mauerfléche und Oeffnung, zwischen Licht und Schatten wird statt einer gross- artigen, ruhigen eine kleinliche, unruhige. Doch lassen wir den Aussenbau. Vielleicht bietet das In- nere uns Ersatz fiir das, was wir draussen entbehren mussten. Fort mit dem Misstrauen, das uns die grossen Kandelaber ein- fléssen wollen, die in barokstem Rococostyle die Zuginge zur Auffahrt bewachen. Wir wollen es nicht glauben, dass sie ctwa eine compendiarische Inhaltsanzeige sein kénnten. Man soll ja von einem Menschen immer das Beste vorausseltzen; warum nicht auch von einem harmlosen Kandelaber? Nehmen wir also an, dass uns eine freundliche Ueberraschung bereitet sei. Wir treten in ein Vestibiil, das zu beiden Seiten die Schalter fiir die Austheilung der Billets, im Hintergrunde aber, wo es in einen schmaleren Corridor miindet, die Aufgange zu den ver- schiedenen Zuschauer -Raéumen hat. Lobenswerth ist, dass je- dem Raume seine gesonderten Zuginge zugeordnet sind; min- der zweckmissig dagegen will uns der Saulenwald des Vesti- biils bediinken. Hier drangt sich in der That eine solche Menge lang und diinn geschafteter Séulen, dass man unwillkirlich auf den Verdacht verfallt, dieser Vorplatz sei nicht bestimmt, einer grossen Menschenmenge beim №т- und Ausstrémen freien Durchgang zu bieten, sondern er sei geschaffen, dass daselbst Verstecken gespielt werde. Es ist ein solcher Saulenwald, dass man vor Saulen die Menschen kaum sehen wird. Tritt man nun aus dem Vestibiil, wo die gehaufte Zahl der durch lauter enggespannte Kreuzgewélbe verbundenen Saulen das Auge fast verwirrt hat, in den anstossenden Corridor, so wird der Blick auf’s Neue, aber in anderer Weise, beleidigt. Der ganze lange Raum ist némlich durch flachgedriickte Bogen tiberwélbt, ge-~ wiss die hasslichste Linie, in der man einen Raum tiberdecken kann. Noch empfindlicher wirkt die éde Monotonie dieser lan- gen, gahnenden, plalten Gewdlbriicken im Gegensalze zu dem unruhigen Wechsel, der im Vestibiil herrscht: dort der schlep- pende Schritt eines Greises, hier das stérende Hiipfen fliichtiger Kinderfiisse. Es kann keine Entschuldigung fiir den Archi- tekten in dem Umstande gefunden werden, dass er beide Réume, so verschieden in ihren Spannungsverhilinissen, gleich hoch halten musste. Konnte er dieses Problem nicht anders liésen (denn die Lésung durch den Spitzbogen ware allerdings dsthe- tisch unméglich gewesen mitten unter den Formen rémischer Architektur), so musste er unbedingt die ganze Conception an- dern, ehe er solche Widerspriiche, deren jeder schon fir sich allein unschon war, aul einander platzen liess. Gehen wir weiter hinauf in die zweite Etage. Eine mar- morne Treppe fihrt an jeder Seite empor, bei der die Form hinter dem Material zuriick steht; wenigstens machen die sehr stumpf profilirten Stufen den Eindruck des Tragen, schwerfallig Zusammengebrachten, wihrend sie doch ein elastisches Auf- steigen andeuten sollten. Doch wir wollen uns nicht so sehr in’s Detail verlieren; nur flichtig sei bemerkt, dass die Bele- gung der Foyers des ersten Ranges mit Marmorfussbéden uns sehr unzweckmissig erscheint, wahrend sonst die Anordnung und Disposition der Riume im Allgemeinen als praktisch und splendid zu loben ist. Man brauchte freilich nur aus dem Vollen herauszuconsiruiren, und die schwierige Aufgabe, auf beschrank- tem Raume den Anforderungen der Zweckmissigkeit gerecht zu werden, genirte hier den Baumeister nicht. Aber was uns niehr als alle bisher erwahnten Mangel frap- pirte, das ist die hier zur Anwendung gebrachte Manier der in der Benutzung und Verwendung derselben. Wathrlich ein Sonnenblick des Gliicks, wie er selbst im Verlaufe von Jahr- hunderten cinem Architekten selten lachelt: unbeschriankte, das blosse Bediirfniss weit tibersteigende Mittel, ungehinderte Frei- heit seinen Plan zu concipiren und auszufiihren, und endlich noch ein vortreffliches Baumaterial: — fiirwahr eine der first- lichsten Gelegenheiten! — Der Bau ist augenblicklich seiner Vollendung nahe, und das schauluslige Publikum verfehlt nicht, tiber die Kolossalitat der Anlage, die gediegene Soliditat des Materials, welches die Sandsteinbriiche des nahen Deisters lieferten, die blendende Pracht der Marmorstufen, den Glanz der Fussbéden, den Schim- mer der Vergoldungen, die reiche Zierde der Saulenordnungen in gebihrendes Entziicken zu gerathen. So gern wir in diese Bewunderung einstimmen médchten, so kénnen wir doch man- cherlei Bedenken nicht unterdriicken, und wenn wir uns auch nicht anmassen, eine nach allen Seiten hin erschidpfende Be- sprechung des Gebiudes zu liefern, so wollen wir doch nicht anstehen, dasselbe in seinen Hauptziigen zu charakterisiren. Von einem Tempel, den die Architektur der schwesterlichen Kunst des Mimen errichtet, darf man billiger Weise verlangen, dass er allen Anforderungen gentige, die man mit Recht an eine kiinstlerische That von solcher Bedeutung stellt, und nicht kann hier der Baumeister sich durch einen ahnlichen Spruch bescheidener Selbsterkenntniss entschuldigen, wie der Architekt der fantastischen Rococo-Fagade der Kirche zu Bickeburg, die in grossen goldnen Lettern dem kopfschiittelnden Beschauer zuruft: Exemplum religionis, non structurae. Nein, hier ver- langen wir ein exemplum sructurae, ein vollgiiltiges Musterbild von Architektur. Der Totaleindruck des Gebaéudes, das in dem neuen Stadt- theile liegt und, von weitem Platze umgeben, dem Schritte wie dem Auge von allen Seiten den freiesten Zutritt gewahrt, ist nicht ungiinstig zu nennen. Es imponirt in der That auf den ersten Anblick durch die Kolossalitat der Verhaltnisse. Aber es imponirt mehr wie ein gewaltiger Bergriese, der aus klei- neren Gefahrten emporragt, wie ein durch von aussen her wir- kende physische Gewalten zusammengethirmtes Conglomerat roher Massen, nicht wie ein durch die ihm innewohnenden, von innen heraus schaffenden statischen Gesetze gewordener Orga- nismus. Ein Hauptbau mit schwach ansteigenden Giebelfeldern hat zu jeder Seite einen um eine Etage niedrigeren Fliigel. Den Fligeln an Hohe entspricht ein Vorbau des Haupttheiles mit einem Altan. Vor diesen legt sich, wieder um ein Stockwerk niedriger, ein zweiter Vorbau als Einfahrt. Ich weiss wohl, ich hatte bei dieser Beschreibung von unten herauf verfahren sollen, wie man ja auch von unten herauf baut. Aber ich habe unwillkirlich den entgegengesetzten Weg einschlagen miissen, weil das Gebaude dem Beschauer den Rindruck giebt, als sei der Architekt beim Entwerfen des Pla~ nes eben so zu Werke gegangen. Daher stehen die einzelnen Theile nicht in dem Verhillnisse einer wechselweise bedingten Nothwendigkeit, sondern mehr in dem einer zufalligen Ankle- bung oder Ineinanderschachtelung. Dieser Eindruck wird noch verstirkt durch die schmichtigen Eckpilaster. Von geringer Ausladung und magerer Bildung scheinen sie nur mit genauer Noth die bloss Ausserlich zusammengefiigten, nicht innerlich zusammengehérigen Bautheile vor dem vollstandigen Auseinan- derfallen bewahren zu kénnen. Auch nach oben hin fehlt dem Gebdude die gebihrende kraftige Begranzung, und der unver- haltnissmassig diirftig gebildete Dachsims macht den Eindruck als wolle er bemerken, wie es so ganz zufallig und willkirlich sei, dass die Mauer dort schon abschliesse. Endlich scheint uns die Trennung der im rémischen Rundbogen iiberwolbten