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	8. Oktober vy. J. wurde ich, und zwar vorziglich um die Reorganisi-
rung der Wiener Akademie durchzufihren, auf unbestimmte Zeit als
Referent fir Kunstangelegenheiten in das Ministerium des Unterrichtes
und des Kultus berufen, und durch Annahme dieses Rufes gendthigt,
meinen bleibenden Aufenthalt vorlaufig in Wien zu nehmen. Ich brau-
che Sie nicht zu versichern, dass mich nur die Aussicht, vielleicht in
gréssern Kreisen fir die Kunst im Gesammtvaterlande wirken zu kénnen,
und die Pflicht, wenigstens zu versuchen, in wiefern ich den in mich
gesetzten wohl noch sehr unverdienten Erwartungen zu entsprechen
im Stande sein wiirde, zu dem schmerzlichen Opfer bewegen konnte,
meine theuere Vaterstadt, den mir so lieb gewordenen Schauplatz meines
bisherigen beschrankten Wirkungskreises, und mit ihr die vielen treuen
und liebevollen Freunde, die ich hier gefunden, 2u verlassen, und dass
es mir vor Allem am Herzen lag, wo méglich jeden Nachtheil abzu-
wenden, den mein plétzlicher Austrilt etwa fir unsern Verein haben
kénnte, -— fir unsern Verein, der in der kurzen Zeit von 12 Jahren
bereits so Viel, so Entschiedenes und Grossartiges geleistet und sich
fortdauernd als unenlbehrlicher Hebe] der heimischen Kunst bewahrt hat.

Allerdings schloss meine bevorstehende Uebersiedelung die Fah-
rung der Kunstvereinsgeschifte in dem Umfange und der Weise, wie
ich sie bisher gefahrt hatte, aus. Viele derselben erfordern, wenig-
stens zu gewissen Zeiten des Jahres, durchaus die bleibende Anwesen-
heit in Prag, andere sind mit einer Geldhaftung verbunden, die man
dem Abwesenden, jeder Moéglichkeit einer Controlle Entbehrenden denn
doch nicht zumuthen Kann. Ein anderer Theil aber, zumal die Fah-
rung des Schriftenwesens uud der Correspondenz, sowie der Bericht-
erstattung kann allerdings ohne Nachtheil und wesentliche Verzégeruug
auch aus der Ferne besorgt werden, die in dem vorliegenden Falle
durch die Eisenbahnverbindung iiberdiess noch bedeutend reducirt wird,
Ich habe mich daher zur Fortfihrung dieser Geschafte, die den mir so
lich gewordenen Verkehr mit unsern geehrien kunstsinnigen Agenten
mit einschliessen, mit Vergniigen fir in so lange erboten, als der Aus-
schuss. keine zweckmassigere Verfiigung zu treffen fir gut erachtet, und
meine eigene neue Stellung mit dieser Geschaftsfihrung nicht collidirt.
Der Ausschuss halt diesen Antrag genehmigt, und die tbrigen Geschafte
in der Art unter seine Mitglieder vertheilt, dass der an meine Stelle
	neu erwahite Geschaftsleiter der Gesellschaft patriolischer Kunsttreunde,
Hugo First und Altgraf zu Salm, den Vorsitz bei dem Beur-
	theilungs- und Ankaufscomité, dann die Aufsicht ther die Arbeiten aus
dem Fond fir 6ffentliche Kunstwerke; das Ausschussmitglied Herr Karl
Brosche aber die Geld- und Materialrechnung, die Verwahrung der
Sparkassabiichel und die mit diesen Geschaften verbundene, nach meiner
im Jahre 1845 gemachten Erfahrung mitunter ziemlich kostbare Haf-
tung tibernahm. Herr Eduard Pleschner hat iiberdiess die Gefallig-
keit gehabt, auch dics Jahr wieder die Annahme der von auswarts
eingehenden Gelder und die Speditiongeschafie des Vereins zu besorgen.

Ich fihle mich zu dieser Anzeige vorziiglich desshalb verpflichtet,
damit Sie wissen, dass es von nun an die genannten Herren sind,
denen Sie das Gedeihen des Vereins, zumal in seinen sichtbaren Ver-
anlassungen (den Ankaufen, den Vereinsblattern und den monumentalen
Werken) zu verdanken haben. Und in diesem Jahre wenigstens hat
die angefihrte Theilung der Geschafte wirklich keinen Nachtheil zur
Folge gehabt. Mit freudiger Genugthuung kann ich vielmehr auch diess-
imal wieder vor Sie hintrelen; denn schon ist der Mitgliederverlust, den
wir durch die Ereignisse des Jahres 1848 und ihre Wirkungen erlitten
hatten, zur Ganze ersetzt, und stark, wie nie zuvor, steht unser pa-

triotisches Unternehmen da!
Schon im verflossenen Berichte konnte ich Ihnen eine Mitglieder-

zunahme melden.
Durch eine Zunahme von 872 Mitgliedern mit 952 Actien betragt

unser gegenwartige Stand 3728 Mitglieder mit 4243 Actien.

Unter den neuen Mitgliedern befindet sich auch der in Wien neu
entstandene ,,6sterreichische Kunstverein“, oder, wie er sich jetzt nennl,
, Osterreichische Verein fir bildende Kunst“ — der uns, die altere
Schwesteranstalt, in einem anerkennungsvollen Begriissunesschreiben
	die Eroffnung seiner Thatigkeit notificirt und uns um Austausch der
Meinung ersucht hatte. Wir sind diesem Wunsche mit aller schuldigen
Offenheit nachgekommen, und haben in unserer Antwort vorziiglich
auf die h6chst winschenswerthe Férderung der héhern ern-
stern Kunstrichtung dureh Veranlassung monumentaler
Kunstwerke, auf die nicht minder winschenswerthe Beriicksichti-
gung heimischer Kunsttalente, ferner auf die Nothwendigkeit der glei-
chen Behandlung aller Kiinstler ohne Ricksicht auf ihren Wohnort und
ihr Vaterland hingewiesen, und sind zugleich mit ihm in Tauschver-
hindung getreten, Da der genannte Verein tberdiess mehre hiesige
Kinstler zur Beschickung seiner Ausstellung geladen, und ihnen die
Zahlung der Transportkosten, wenn auch noch immer bloss gegen einen
Sprocentigen Abzug im Falle des Verkaufes ihrer Bilder, zugesichert
hatte, so fand sich der Ausschuss yeranlasst, dieselbe Beginstigung
unter derselben Beschrankung auch den Wiener Kiinsllern zu gewahren,
welchen gegeniber bisher, wie bekannt, die Zahlung der Transport-
kosten von unserem Vereine blos desshalb verweigert worden war,
weil auch den hiesigen, wie aberhaupt allen auswartigen Kinstlern
diese Wohlthat bei den friheren Wiener Ausstellungen versagt war“.

Es werden nun die Verdienste der Agenten, deren der Verein
222 (20 mehr als im vor. J.) zahlt, namentlich in Bezug auf Mitglie-
dervermehrung hervorgehoben, wobei indess bemerkt wird, dass die
Versuche, in den siidslavischen Landern ahnliche Verbindungen anzu-
knipfen, ganzlich fehlgeschlagen sind. Dann heisst es weiter: ,, Eine
bedeutende Vermehrung unserer Mitglieder hat insbesondere auch in
Brinn stattgefunden, was um so auffallender ist, als sich in dieser
Stadt eine Filiale des neuen Wiener Kunstvereins gebildet hat und
mit dessen Unterstitzung eigene Ausstellungen veranlasst. Wir hatten
demnach dort eher das ganzliche Erléschen der Theilnahme an unserem
Vereine, als deren Steigen erwarten zu miissen geglaubt. Trotzdem
haben. wir die rege Thatigkeit des Wiener Vereins, auch auswarts
Kunstsinn und Kunstlicbe anzuregen, nicht nur ohne Neid, sondern
mit wahrer Freude begrisst. Wir hegen ja keineswegs die engherzige
Absicht, das Interesse fir die Kunst in der gesammten Monarchie fir
unsere Vaterstadt zu monopolisiren. Je mehr Brennpunkte fir Kunst-
sinn und Kunstliebe, desto besser! Fliessen doch die der Kunst ge-
widmeten Beitrage auch dann dem uns heiligen Zwecke zu, wenn sie
auch nicht gerade durch unsere Hinde gehen! Wenn trotzdem auch
unsere Mitgliederzahl in Maéhren wuchs, so ist diess eben ein Beweis,
dass dort das Interesse fir die Kunst im Allgemeinen steigt; so ver-
danken wir diess vielleicht neben der Thatigkeit unserer dortigen
Agenten gerade dem Umslande, dass unser Verein eben nicht blos an
die Gewinnlust, sondern auch an die héhern, patriotischen Gefithle des
echten Kunslfreundes appellirt, die Emporbringung der heimischen Kunst,
und demnach die Beriicksichtigung und Férderung jiingerer heimischer
Talente sich stalutenmassig zur Pflicht macht — iberdiess aber nicht
bios ein ephemeres Dasein fristet, sondern ein Finftheil seiner Ein-
nahmen den héchsten Kunstzweigen widmend, bleibende, grossartige
	Denkmale seines Bestandes und des treuen Zusammenwirkens seiner -
	Mitgheder ins Leben rulft.
Nach unserem Erachten sollte jeder Kunstverein ahnliche Grund-
	satze aufstellen; denn sich blos auf die Ankaufe bei den Ausstellungen,
die Verlosung derselben und die Vertheilung von Vereinsblattern be-
schrankend, kénnen ahnliche Anstalten in die Lange wohl weder dem
Vorwurfe, einseitig die Genre- und Landschaftsmalerei zu fordern und
dem Bilderhandel Vorschub zu leisten, noch der Gefahr entgehen, nach
und nach zu blossen Lotterien herabzusinken. Wenn sie sich aber
die Ermunterung aufstrebender, heimischer Talente nicht zur Pflicht
machen, die von Privatliebhabern wohl kaum erwartet werden kann,
so vernachlassigen sie eines der wesentlichsten Miltel zur Hebung der
heimischen Kunst, das durch das Hereinziehen fremder Gemialde allein,
und waren es auch lauter Meisterwerke, gewWiss nicht ersetzt werden
kann! Denn der Absatz gelungener Erstlingswerke ist fir den Kunst-
jinger nur zu haufig die unerlassliche Bedingung des Fortstudiums und

weiterer Fortschritte zur Meisterschalft! (Fortsetzung folgt.)
	(Der heutigen Nummer liegt der Anzeiger No. 7. und eine Beilage von Ebner & Seubert in Stuttgart bet)
	Verlag von Rudolph und Theodor Oswald Weigel in Leipzig. — Druck von Gebr. Unger in Berlin.