der Lebensgeschichte seines Helden, um auch eine Wochen-
stube mitzugeben, wo der kinflige Mann, wie in jeder andern,
eben nur die Rolle des vielbediirftigen Sauglings spielen kann.
Wir meinen, es gehére gerade dazu, dass in einem solchen
Buche der stille und unscheinbare Anfang nicht fehle, und ab-
gesehen von der histurischen Ueberlieferung Conrad Schltssel-
burg’s, nach welcher der Vater oft laut und inbrinstig an dem
Bette des Kindes gebetet habe, dass der Herr ihm vergénnen
moge, seines Namens (Luther — lauter) cingedenk, die Fort-
pflanzung der reinen Lehre zu beférdern und welche den Kinsler
bei der Darstellung des Vaters und Kindes geleitct zu haben
scheint — abgesehen hiervon, bietet das Bild eine charakteri-
stische Genre-Composition, die den Stempel jener Zeit tragt.
Ebenso dienen die folgenden Bilder, wo Luther in die Schule
des strengen Schulmeisters von Mansfeld geftthrt wird, wo er
als Chorknabe oder — wie ег selbst sich ausdriickt — ,als
Partekenhengst das Brot vor den Hausern genommen, sonder-
lich zu Eisenach in seiner lieben Stadt“, mit dem lieblichen
Predellenbild, wo er im Hause der guten Ursula Cotta mit Wis-
senschaft ‘und Musik beschaftigt ist — diese Bilder dienen, durch
die richlige kulturgeschichtliche Behandlung der Tracht und
Umgebung dem Beschauer die Buhne des Helden anschaulich
zu machen und ihn so von Aussen in den Stoff hineinzufihren.
Als Jiingling auf der Erfurter Universitatsbibliothek eine latei-
nische Bibel enldeckend, tritt er zuerst auf dem A. Bilde mit
festgehaltener Portrailahnlichkeit und forschbegierigem Antlitz
vor uns. Sehr gut ist dann auf der 6. Tafel, wo er tiber die
Schwelle des Augustinerklosters zu Erfurt tritt, die Bangigkeit
und der innere Kampf in Haltung und Bewegung ausgedriickt,
mit ergreifender Wahrheit in drei Bliltern (8—10) die kér-
perliche und geistige Sclbstqualerci geschildert, der sich der
junge Monch hingiebt und aus der ihn das tréstende Wort Gol-
tes und dic wunderbare Gewalt der Musik wieder zu sich selbst
aufruft. Es herrscht ein tiefer und grossartiger Ernst in die-_
sen Compositionen, welche die saure Lauterung und Festigung  
des Mannes fiir seine grosse Lebensaufgabe, die schwere Vor-
bereitung dazu enthalten. Vor diesen Bliltern muss man ver-
weilen, um sich zum Bewusslsein zu bringen, wie heilig ernst
er es mit seiner Sache meinte. Auf dem 11. Bilde, wo Luther
als Baccalaurcus philosophische und thcologische Vorlesungen
halt, entfaltct der Ktinstler seine ganze Kraft in der Charakte~
ristik der Képfe: der ehrenfeste und derbe Dr Pollich, der
milde und edle Staupitz und alle die аНегеп und jiingeren Hé-
rer sind vortrefflich individualisirt. In Bezug auf die Gruppi-
rung haben wir zu bemerken, dass hier z. B., was wir oben
schon andeutelen, der Realitét um der malerischen Abrundung
willen zu nahe gelrelen wird, indem dadurch einige Schiller zu
der unbequemsten und unwahrscheinlichsten Stellung verurtheilt
werden. Um hier noch gleich Aehnliches zu bertihren, fiihren
wir auch das Zusammentreffen Luther’s mit Georg von Frunds-
berg an, wo beide Figuren conventionell theatralisch zu ет-
ander gestellt sind, ferner Luther als Junker Georg mit der
Bibelibersetzung beschafligt, dic er sehr malerisch, aber fur’s
Arbeiten villig unpraktisch auf das Knie stiitzt, und das fol-
gende Blatt, wo er sie (die Foliobibel), von der Wartburg fort-
reitend, gar aufgeschlagen auf den Hals des Pferdes legt und
mit der rechten Hand halt. Besser macht es sich in No. 27,
wo er mit Mclanchthon’s Hiilfe die Bibclitherselzung forlsetzt.
Hier ruht das Buch ihm auf dem Schoosse. Er redet mit dem
hinter ihm stchenden Gefahrten und der Kiinstler hat bei die-
sem stillen Beisammensein der Manner Gelegeuhcit genommen,
die Portraits der Beiden recht treu herauszuarbeiten.
Anziehend durch Pragnanz des Ausdrucks, so wie durch
den wirkungsvoll behandelten Schauplatz (das Innere der Schloss-

 

 
	  Kirche) ist die Predigt Luther’s (BI. 12). Nicht immer ist das
echte Luthergesicht mit gleichem Glicke herausgekommen, sehr
schon aber und der Situation angemessen, mit dem ,{ch kann
nicht anders* schon auf der ernsten Stirn, steht er an dem
Portal der Schlosskirche zu Wittenberg, wie er die Theses ап-
schlagt. Hier zog der Kiinstler es vor, statt einer grésseren
Composition, den Helden so ganz allein zu geben, wie er sein
miihvolles Werk unternahm, In drei Nebenfelder verlegte er
die Holzslésse Tezel’s und der Wittenberger Studenten, so wie
Luther’s Absolutionsverweigerung gegen die von Tezel Bethér-
ten. Das 17. und 18. Blatt enthalten zwei echte Historienbilder,
welchen wir eine Ausfiihrung in grésserem Maassstabe und in
Farben wiinschen méchten. Wir erblicken Luther knieend vor
dem Cardinal Cajetan, der den Monch im heftigsten Zorn aus
seinen Augen verbannt und dessen Vertheidigungsschrift zur
Erde geworfen hat. Auf diese weis’t der Gottesstreiter voll
Demuth und heiliger Festigkeit. Sehr glicklich ist auch hier
Sein Gesichlsausdruck, der den Schmerz tiber die Dissonanz
durchblicken lasst. Der weise Staupitz redet vermittelnd und
beschwichtigend. Ausserdem sind nur noch vier Zeugen dieses
Auftritts gegenwarlig, von denen der Kopf des einen, ein im
Vordergrunde sitzender Ménch, ein wahres Meisterstiick von
Charakteristik ist. Auf dem anderen Bilde ist die Disputation
mit Dr. Eck in dem Saale der Pleissenburg zu Leipzig darge-
stellt. Hier ist wieder jeder Kopf, jede Stellung und Bewegung
der Versammelten voll der feinsten und bezeichnendsten Eigen-
thiimlichkeit. Die Begeisterung Luther’s, die scharfen, lauern-
den Ziige seines Gegners, die verdrossene, aber gespannte
Aufmerksamkeit des Herzogs Georg und seines Begleiters, der
hastige, bewegliche Karlstadt, welcher emsig in den Biichern
sucht, der bedenklich sinnende Melanchthon und dann die tbrige
Zuhérerschaft, von dem rundbackigen, sorglosen jungen No-
vizen bis zu den bartigen Ménchen, Alles ganz unvergleichlich
im Ausdruck. Man fiihlt dic Gefahrlichkeit und Kihnheit von
Luther’s Stellung, die Wucht der ihm feindlich Gegeniberste-
henden mit. Nicht minder treffen die bei diesem Bilde ge-
rihmten Vorziige das 22. Blalt: , Luther vor Kaiser und Reich*,
auf welches schon Hr. Waagen hingedeutet hat. Die Mannig-
faltigkeit der Képfe ist bewunderungswerth, ihr gespannter
	  Hinblick auf den Hinen von grosser Wirkung. Die Predigt in
	Seeburg (No. 28) gegen den Bauernkrieg ist ein Bild voll Le-
ben, Kraft und Fanatismus. Luther redet noch nicht, es wirkt
nur erst seine Erschcinung. Milten in dem aufgeregten Haufen
stehend greift er in den Arm eines wirbelnden Trommelschla-
gers und fessclt ihn dadurch, indem er zugleich die andere
	Hand beschwichligend crhebt. So edel, ernst und portraitwahr
scin Antlitz hier erscheint, so hatten wir ihm hier doch etwas
	von dem heiligen Zorn gewiinscht, womit er ,denen den christ-
lichen Namen abreissen wollte, die ihn zum Schanddeckel un-
friedlichen und unchristlichen Vornehmens machen wirden*. Als
sehr gelungene Compositionen fihren wir noch an: No. 30. Lu-
ther’s Gesprach mit Zwingli tiber die Sakramentsfrage. No. 31.
Die Uebergabe der Augsburger Confession. No. 34. Luther als
Prediger in der Kirche, voll schéner, warmer Begeisterung vor
einer andachtigen Gemeinde.

Die Bilder aus dem Privatleben beginnen mit einer sehr
ansprechenden gemiithvollen Darstellung. An dem offenen Bo-
genfenster eincr Halle, das eine weite Aussicht in die Land-
schaft bietet, sitzen Luther und der Churfirst Johann der Be-
stindige einander gegeniiber. Der ehrenfeste Herr hat seinen
Arm bequem auf dic Fensterbriistung gelegt und horcht amit
etwas vorgebogenem Kérper aufmerksam auf die Rede des Re-
	formators, der ihm die auf seinem Schoosse ruhende Bibel
	vorlies’t und erklart. Dicses stille, innige Bild driickt, wie die