gestalt, welche an die ,Wohnungen erinnert, die der Herr be-
reifet hat“, an das Himmelreich, so stellt diese dritte Gruppe
den menschlich schénen Gedanken des Wiedersehens auf eine
wunderbare und rithrende Weise dar. Eine gliickselige Mutter
reicht dem Vater ihr Kind und der Vater erkennt das Kind
und das Kind erkennt den Vater. Man kann nichts weiter sa-
gen tiber diese seelenvolle Gruppe; man muss es sehen, wie
der Vater das Kind umfasst, wie ein neues heiliges Geschenk,
wie die Mutter dem Geliebtesten das Geliebteste bringt, wel-
ches lichelt, mit einem Lacheln, das, so wie es irdisch und
allmorgendlich, ebenso ewig ist. Denn wie diese Scene zugleich
so rein-menschlich aufgefasst und wiedergegeben ist, so liegt
das Ewige und Géttliche darin und es tritt, wie das Auge durch
die drei dargebotenen eben beschriebenen Gruppen auf- und
absteigt, demselben immer in anderer Form und Fassung ent—
gegen, Zu beiden Seiten nun dieser Himmelsleiter der Empfin-
dungen sind zwei andere einfache Gruppen, rechts von Se-
ligen, links von Verdammten. Die Seligen stehen auf einer Fels-
erhéhung, ein Jiingling und drei Jungfrauen. Jener, mit dem
Riicken gegen den Beschauer, blickt mit seitwarts gewendetem
Haupte nach oben, sehnsuchtsglihend und beseligt zugleich.
Sein Antlitz ist klar und sein Auge hell, seine Geberde ver-
rath himmlisches Entzticken, wahrlich, ,er hat das Siegel Got-
tes an seiner Stirn*. Wo man einen Solchen auf Erden be-
gegnet, den muss man lieben, denn Gott hat ihn als einen der
Seinigen bezeichnet. Und in wie herrlichem Gegensatz steht
er zu den drei Jungfrauen neben ihm. Fest schaut sein freier
Blick nach oben; er hat mit Bewusstsein nach dem Himmel und
dem Gott darin gerungen, darum scheut er ihn nicht und hat
keine Bangigkeit, da er ihn endlich schauen soll. Die Jung-
frauen aber, die den Herrn mehr nach dem Zuge ihres Ge-
fiihles gesucht haben, erfasst ein Schauer froher Ahnung, ein
Bangen vor all’ dem Licht und der Seligkeit, sie heben das
Gesicht mehr erwartungsvoll und in zuriickgehaltener, denn in
freudig kithner Sehnsucht, die eine hat die Hinde gefaltet und
senkt das Haupt in hescheidener Demuth. Zwei andere feiern
weiter unten das Fest des Wiedersehens in entziickter Um-
armung.

In gleich wenigen aber ausdrucksvollen und charakteristi-
schen Figuren ist die Schaar derer wiedergegeben, die sich
die himmlische Pforte durch ihre Schuld verschlossen haben.
Hier war es die Aufgabe des Kinstlers, gleich wie er bei den
bisher beschriebenen Figuren den Widerschein von dem Engel
des Lichts und der Unschuld aus ihren Zigen leuchten licss,
so den Damon der Finsterniss und der Schuld von der ent~
heiligten Slirn der Ungliicklichen grolen zu lassen, an die
Stelle des gdttlichen Siegels das Brandmal der Holle zu setzen.
Eine sehr schwierige Aufgabe und der Gefahr, in’s Fratzenhafte
zu gerathen, allerdings ausgesetzt. Das musste natirlich ver-
mieden werden, nicht, weil sich die Kunst nicht mit dem Hass-
lichen befassen soll, — denn wir sind dariiber einig, dass sie
es geben darf als untergeordnetes Moment im Ganzen, und da
wir hier in der Aufgabe das Bése haben, so haben wir ge-
radezu die Forderung des Hasslichsten, — sondern weil es ohn-
machtiger wirkt, als die Darstellung des moralisch Bésen. Cor-
nelius zeichnete aber nicht dieses, sondern wilite die Affecte
der Angst und Verzweiflung als den geeigneten Ausdruck fir
diejenigen, die nach den Worten der Schrift ,zu sterben be-
gehrten und der Tod flieht vor ihnen, deren Qual wie von
Skorpionen war, wenn er eincn Menschen hauet*. Es ist be~
kanntlich von Wirkung, héchste Affecte verhillt darzustellen.
Die Griechen pflegten den héchsten Schmerz gern so zu be-
handeln und so wird dem Timanthes nicht geringes Lob dafir
gezollt, dass er bei der Opferung der Iphigenie den Vater des
	elwas wie vom ersten Schépfungsmorgen und mahnt an das
Ineinandergreifen des Anfanges und des Endes von dem Ringe
der Ewigkeit. Denn von der Erde ist nichts der Ewigkeit und
dem Himmel naher, als die Felsen. Oben auf dem Steinsilze
aber ruht der Engel des Gerichts, einsam, schmerzyoll. Er
hat das allerschwerste Amt und auf seinen Knieen ruht das
schwerste, noch verschlossene Buch, am schwersten durch das,
was nicht darin geschrieben steht; es ist das Buch des Lebens
und ,,wer nicht erfunden wird darin geschrieben, der soll in
den feurigen Pfuhl geworfen werden“. Der ganze Schmerz
und die ganze Strenge der Nolthwendigkeit, deren Verktindiger
er ist, liegt in seinen schénen Zigen und auf den gesenkien
Augenlidern. Das Schwert, mit der Spitze gleichfalls nach
unten gesenkt, hangt miide in der richtenden Hand. So, ge-
rade so muss ein Geschépf der ewigen Liebe aussehen, wel-
ches mit ihrer ganzen Kraft auch ihre ganze Trauer empfindet
liber das, was sich ihr seiner bésen Natur nach in frevel-
haftem Wahne enizieht. Dieser Engel hat so gar nichts von
einem richtenden, zornigen Helden, der einen gewaltigen Akt
vollziehen soll und wirkt doch so ausserordentlich. Hierher
mochten wir Diejenigen fiihren, welche meinen, es sei mit einer
gewissen plastischen Leidenschaftslosigkeit, welche Ofters flach
ist und keinen Inhalt hat, in der Malerei abgethan. In wie
vielen Handen wiirde nicht dieser Engel, der wahrlich schwe-
rer darzustellen ist, als ein von heiligem Zorn glihender, zu
einem ohnmachtigen Schwachling geworden sein. Hier dage-
gen liegt er zwar ruhig ausgestreckt da; aber wachterhaft stark,
sein Schwert und sein Auge senkt sich fast miide; aber doch
firchtet man das Aufblitzen von beiden, durch seine Ziige geht
ein Schmerz; aber es ist dies kein voriibergehender, sondern
der ewige, unabwendliche; es ist die bewusste wehvolle Blithe
des Gefiihls am ewigen Baume der Gedanken.

Wie vortrefflich, dass der Kiinstler hier nicht Gott den
Herrn auf dem weissen Sluhle zeichnete, sondern seinen ver-
kérperten Ausspruch, den Gerichtsengel, und diesen so, dass
man an ihm sieht, dass die ewige Gnade und Liebe Alles um-
fasst, nur das nicht, wodurch sie sich selbst negiren wiirde, dass
der Allmaichtige nur da nicht helfen kann, wo er nicht Er sel~
ber bliebe, wenn er kénnte. Dieser Gedanke der Nothwen-
digkeit und Unabanderlichkeit des Schicksals, welches die Thaten
und Werke der Menschen sich vorbereitet haben, ergreift uns
bei dem Anblick des Engels des Gerichtes.

Freundlicher ist das Geschaft seines Bruders, der unter-
Ва seiner, die Figurenpyramide, deren oberster Abschluss je-
ner war, verbreiternd, Diejenigen empfangt, welche im Buche
des Lebens stehen. Die ganze Fille von Holdseligkeit und Liebe
liegt in dem Anilitz dieses himmlischen Pfértners. Freundlich
lachelnd breitet er seine Arme ciner Gruppe von drei Seligen
enigegen, deren eine fast schon umfassend in trauter Bewill-
kommnung. Es ist ein herzlicher, liebevoller Empfang und doch
liegt so viel Feier und himmlische Herrlichkeit darin, dass das
Gefiihl und die Empfindung nicht des Anlasses und der Gele-
genheit vergisst, sondern, gleichwie bei dem Engel droben an
den firchterlichen Ernst, so hier an die unendliche Freude des
Tages der Auferstehung und Vergeltung gemalnt wird, an die-
ses ewig tristende ,Endlich“, das tausend Thranen, wie eine
Maiensonne die Thauperlen, jubelnd wegkiisst und alles Leid
und allen Gram so siegreich tberfluthet, dass kaum ein leises
Zucken dammernder Erinnerung zuriickbleibt.

Und wiederum eine Skala tiefer, in der Mitte des Vor-
grundes, driickt sich in einer anderen Gruppe in anderer Sphare
derselbe Gedanke der Auferstehung aus. Sahen wir ganz oben
den Reprasentanten Goltes selber, welcher der verkérperte Ge-
danke des Gerichts war, sahen wir in zweiter Linie die Licht-