Opfers sich das Haupt verhillen lasst. Der hochste Schmerz ist stumm, heisst es, und in der Malerei, wo nur der Gesichts- ausdruck und nicht der Mund reden kann, gilt naliirlich ein verhilltes Antlitz fir ein stummes. Cornelius macht auf diesem Bilde yon dem beregten Aus drucksmittel den wirkungsvollsten Gebrauch. Ganz im Vorder- grunde liegen hingeworfen zwei ginzlich gebrochene Gestalten, von denen die eine das Antlilz gegen die Erde birgt und an denen wir ausserdem wieder einen trefflich durchgefiihrten Ge- gensatz bemerken. Jene ist cin Frauenbild; die Arme und Hande sind hinausgeworfen tber das ungliickselige Haupt und liegen schlaff da, ither dem tippigen Haar, welches von demselben in reichen, halb aufgelésten Flechten ausgeht. Thr Fluchgenoss aber, ein bartiger Mann, hat Kinn und Ellenbogen aufgestemmt auf die Erde und seine krampfhaft angespannten Hande wiihlen in dem zurtickgerissenen Schlifenhaar. Wilde Verzweiflung starrl aus seinen Blicken. Weiter oben liegt eine nackte Jiing- lingsgestalt, der Abaddona zu dem Titan gegeniiber. Mit dem rechten Arm stiitzt cr sich auf, der linke liegt tiber den Augen und lasst nur einen von Schmerz umzuckten Mund sehen. End- lich weiter oben auf der Spitze eines Felsens sind zwei weib- liche Figuren. Die eine wendet sich ab aus dem Bilde; sie ring! die Hinde in namenloser Angst, ihr Augenstern dreht sich nach rickwarts, wie das eines von Todesangst gejagten Rehs, ihre “Genossin aber streckt die Arme eben dahin, in schmerz- voller, hoffaungsleerer Sehnsucht. Wir waren oben im Begriff, den Kinstler zu interpelliren, warum er in dem Ausdruck der Képfe in der unhimmlischen Gruppe nicht noch tiefer gegriffen und das Bése (nicht den Bisen) selbst zur Darstellung gebracht habe. Méglich ist es doch; wir erinnern nur an den Judas auf Lionardos Abendmahl; es giebt Gesichtsausdricke, deren Trager aussehen als kénnten sie, nach Gretchens Worten, ,,keine Seele lieben“ und welche dafir auch wieder keine Seele lieben kann. Die Verdammten hitten dadurch den Grund ihrer Verurtheilung selbst am deut- lichsten ausgesprochen, die innere Nothwendigkeit derselben an der Stirn getragen und so vielleicht noch kraftiger zum Ganzen gewirkt. Wir kénnen nicht annehmen, dass dem Mei- ster, der die Héhen der Menschenbrust so in seiner darstellen- den Gewalt hat, nicht auch die Tiefen sollten zuginglich ge- wesen sein. Wir vermuthen daher eine andere Absicht. Er wollte vielleicht nicht geradezu schon Verdammte, auf ewig Ausgeschlossene geben; es sollte vielleicht zweifelhaft bleiben, ob nicht jene zur Stunde mehr von Schmerz, als von den unfehlbar vom Himmel ausschiiessenden bisen Leidenschaften durchwihlten Gestalten dennoch gnadenreiche Einzeichnung im Buche des Lebens gefunden haben, ob nicht jene sehnsuchts- voll ausgestreckten Arme, die an Ort und Stelle von so grosser Wirkung sind, doch in der letzten bangen Stunde von der Hand der Gnade ergriffen und hintibergezogen werden in das Reich des Friedens und der Gliickseligkeit. Und in der That scheint diese Absicht vorzuliegen, wenn man den ersten Entwurf an- sieht, der an der linken Seite der iblichen Teufelsgestalten nicht entbehrt, die hier in der grossen Ausfihrung ganz weg- gelassen sind. Nur muss man das Bedenken gegen diese Auf- fassung haben, dass bei der Auferstehung die Stunde der Um- kehr und der Gnade bereits verflossen ist; wir sind schon im Jenseits, wo jede Méglichkeit, Vergangenes zu andern oder zu verbessern, auf immer unmdglich ist, hier wird kein Neujahrs- millernachttraum mehr getraumt; hier ist der furchtbar helle, unabinderliche, unabwendbare Tag angebrochen. Wie dem auch sei, wir sagen dies zum Schluss: Auf die- sem Bilde ist weder Golt Vater, noch Chrislus dargestellt, und doch kann es nicht erfilller sein yon Dem, der da ist, der da war und der kommt, und von der Lehre Dessen, der uns zu Kénigen und Priestern gemacht hat vor Gott. — Das macht, weil sich der echt kinstlerische Prozess darin so rein und schlagend bewabrt hat. D.h. der Kistler hat die ewige Wahr- heit an dem Punkt und so weit in Angriff genommen, wo und als sie nicht blos fahig, sondern wo es ihr am gemassesten ist, in die sinnlich-realen Formen herauszutreten. Und weil diese Formen gesund und real, weil sie der Natur und dem Leben getreu sind, darum miissen sie der wahre Ausdruck des Idealen sein, darum miissen sie den betrachtenden Geist sich selber in ihnen erkennen lassen, er sieht sich selber abgespiegelt in dieser schénen Entéusserung des Kinstlergeistes zur Sinnlich- keit, aus dem schénen Kérperleben trilt ihm sein eigenstes Ei- genthum, der Gedanke, entgegen, um sich, auferstanden, wie- der an seine Brust zu legen und sich eins zu wissen mit der ewigen Wahrheit, von der er aus der Seele des Kiinstlers ein Ausiluss war. Fr. Eegers. Die Ehrenpforte Albrecht Diirer’s in der Kupferstich-Samm- lung des kénig]. Museums zu Stockholm. Es wird gewiss fiir die ganze Kunstwelt, besonders aber fir die vielen Verehrer Albrecht Diirer’s eine erfreuliche Nach- richt sein, dass noch ein Exemplar von der ersten Ausgabe seiner in Holzschnitt ausgefiihrten Ehrenpforte Kaiser Maximi- liaw’s aufgefunden ist. Bis jetzt hat man, wie bekannt, nur ein einziges Exemplar dieser Gatlung, namlich das in der Samm- lung des Grafen von Fries in Wien befindliche, gekannt ); das zweite existirt in der Kupferstich-Sammlung des kénigl. Mu- seums in Stockholm, Dieses Exemplar ist nicht allein ganz volistandig, auf 31 Folio-Boygen, nebst 5 Bogen Text in xylographischem Druck, es ist hier zugleich von bewunderungs- wiirdiger Erhaltung vorhanden. Auf keinem Blatte ist der ge- ringste Riss, der unbedeutendste Fleck zu entdecken; der mit der gréssten Sorgfalt ausgefiihrte Druck ist so rein und in den meisten Blattern von einer solchen Klarheit, das Papier selbst noch so weiss, die Schwarze so tief und schén, als hatte das Ganze so eben die Presse verlassen. Durch diese wunderbare Conservation von einem fiir sich allein so schatzbaren Werke Albrecht Direr’s, hier in der ersten, vollstandigen und unver- anderten Ausgabe, kann das hier erwahnte Prachtexemplar nicht nur zu den groéssten Seltenheiten gerechnet werden, es wird zugleich jedem Kunstfreunde zu einer wahren Freude gereichen. Auf der Riickseite des ersten Blattes steht mit Tinte ge- schrieben die Jahrzahl 1544 — nebst einer Notiz in deutscher Sprache, dass die Blatter vollstandig sind und zusammengefigt werden miissen — also 15 Jahre vor der zweilen Ausgabe von 1559; da die alte Pictur keinen Zweifel tiber die Echtheit die- ser Aufschrift zulasst, scheint hierdurch geniigend erwiesen zu sein, dass vollstindige Exemplare im Druck erschienen sind vor dem letztgenannten Jahre, vielleicht schon 1515, welche Jahr- zahl zweimal im Werke selbst angebracht ist?). Vor ungefahr hundert Jahren scheint das Exemplar in den Besitz der kénigl. Sammlung gekommen zu sein, wahrscheinlich, ohne dass man damals den hohen Werth dieses Kunstschatzes kannte, vielleicht auch nicht einmal gewusst hat, dass es ein Werk Albrecht Direr’s war, da, wie bekannt, auf keinem Blatte sein gewdhnliches Monogramm zu finden ist. In brau- nem Leder gebunden, mit der Ordnungsnummer auf dem Riicken versehen, unter anderen unbedeutenderen Werken architekto- 1) Siehe Heller tiber Albrecht Direr, Bd 2 8. 713. 2) а. а. 0, 5. 713.