Sonne beschattend. Нимег dem Felsstiick, an dessen Seite
einiges Reisegerath liegt und wo es nach einem Gewasser hin-
abgeht, ist ein barliger Mann beschifligt, einen Esel zur Tranke
zu fahren. In der Ferne eine Feldhiigel-Landschaft im Cha-
rakter des nicht zu tiefen europdischen Stidens. In den Ecken
des Vorgrundes Distelstauden, die eine neben dem nackten Fusse
der schlafenden Frau.

Wir haben es nicht noéthig, auf die im leisesten Tone ge~
druckte Unterschrift dieses Blattes zu blicken, um sofort den
Inhalt der Darstellung zu erkennen. Es sind die Gestalten der
heiligen Tradition, wie sie frommer Sinn fritherer und neuerer
Kunst ausgepragt hat; es ist ein Moment der Ruhe auf jener
Flucht, die sie zur Reltlung des von blutigen Schergen ver-
folgten Kindchens unternahmen. Wir kennen diese Gestalten
aus vielen sinnigen Kunstschépfungen; der Zeichner des vor-
liegenden Blattes hat sie mit Liebe wiedergegeben, hat zugleich
einen Moment gefunden, dessen gliiekliche Originalitét — in-
nerhalb der vorgezeichneten Richtung — uns anzieht und des-
sen schén durchgehallenc Stimmung unser Gemiith rihrt. Woll-
ten wir freilich einmal die kinstlerische Tradilion vergessen
oder, umgekehrt, nach ihrer Berechtigung zur fortwirkenden
Wiederkehr fragen; wollten wir uns den ganzen Charakter je-
ner Zeit, wie wir ihn heule zur Geniige kennen, die Zustande
ciner fliichtenden Familie jener Zeit im Sande der arabischen
Wiiste oder an den Ufern des Nils vergegenwartigen; wolllen
wir — streng festhallend an den einfachen Bibelworten oder
dasjenige mitberticksichtigend, was Altester Kirchenglaube hinzu-
gefiigt, — das geistige neben dem ausschliesslich gemiithlichen
Leben dieser Familie mit in Erwigung nehmen, deren heiliges
Kindlein eine Welt retten sollte und dessen allmachtiges Wort,
nach der Sage, schon auf dieser Flucht die Dattelpalmen beugte,
dass sie ihre Friichte den Wandernden hergaben, die Quellen
aus den Felsen springen hiess, die Diirstenden zu tranken, die
Sykomore 6ffnete, dass sie sich in der Héhlung des Baumes
vor den Verfolgern sicher bergen mochten, — dann wiirden
wir freilich ein andres, fester auf festerem Boden stehendes,
zur erhabensten That, wie zum erhabensten Dulden befahigtes
Geschlecht vor uns sehen miissen.

Solche Anforderung indess, — der zum Theil zwar schon,
und zum Theil in machtvollster Weise, die Kunst des Cinque-
cento geniigt hat, — gehort ihrem ganzen Umfange nach erst
der Kunst der Zukunft an. Auf das vorliegende Blait, wie das-
selbe sich einmal giebt, findet sie noch keine Anwendung. Dies
halt sich in jener, allerdings beschrankten gemilhlichen Stim-
mung, aber es giebt dieselbe véllig rein, anspruchslos und in
einem klaren Wohllaut der Linien und Formen. Es ist, eben
seiner schénen Naivetat halber, eins der giiltigsten Beispiele
der Richtung, welche es vertritt, und es ware, bei der Rein-
heit des Gefiihles, welche dasselbe erfillt, héchst dberflissig,
an Kleinigkeiten zu makeln, wie z. B. an dem rechten Oberarm
des Engels, der sich nicht ganz zur erforderlichen Linge ent-
wickeln will. Dergleichen sieht man kaum, wenn das Gemith
durch die Gesammtwirkung auf so wohlthuende Weise berihrt
wird.

Das Blatt hat, in entschiedenem Wechselbezuge zu dem,
was man seine Secle nennen kénnte, den Charakter einer ein-
fachen Zeichnung, bei der der Gewinn einer tieferen und kraf-
tigeren malerischen Wirkung ausserhalb der Absichten des
Kiinstlers lag. Die Composition giebt sich in einfach klaren
Linien, mit ebenso einfacher, aber fein durchgefihlter Schat-
tenangabe. Der Arbeit des Lithographen, der dies Alles uns
in so Klarer, wie schlichter und zugleich bestinmter Weise
vorgefiihrt hat, gebiihrt enlschiedene Anerkennung.
	i. Kugler.
	[Ане его Нат.
	Verzeichniss meiner Kupferstichsammlung, als Leitfaden
zur Geschichte der Kupferstecherkunst und Malerei von
	Лой. Gottl. vonQuandt. Leipzig 1503. b. Rud. Weigel.
	Die letzten Monate dieses fast abgelaufenen Jahres waren
fir Alle, denen die Foérderung der Kupferstichkunde nicht
gleichgiiltig ist, giinstige und haben erfreuliche Gaben gebracht.
Als erste derselben erschien ,,die erste Abtheilung des Ver-
zeichnisses alter Kupferstiche von Herrn H. Weber in Bonn“,
die Portraits von und nach A. van Dyck umfassend, durch
welche treffliche Arbeit ein in Deutschland bisher vernachlis-
sigter Zweig niederlindischer Kunst erwiinschteste Beleuchtung
gefunden hat. Der Zufall, dass Bartsch der geisivollen Radi-
rungen des A. van Dyck nicht gedacht, schien auf diese Blatter
einen Schatten geworfen und manche Sammler fiir deren Schén-
heit unempfanglich gemacht zu haben; und wenn auch spater
Carpenter diese Liicke in etwas erginzte, so blieb doch, da
dort grésstentheils nur die ersten sehr seltenen Abdriicke der
Originalradirungen beriicksichtigt waren, theils fiir deren Ver-
schiedenheiten und Zuthaten yon andrer Hand, theils fair die
nach van Dyck’s Zeichnung gestochenen Portraits gar Vieles
zu ordnen und zu erlautern, was durch Herrn H. Weber auf’s
Beste jetzt geschehen ist. Hine zweite sehr erwiinschte Gabe
ist die Monographie tiber die Kupferstiche des Wenzel Hollar
von Herrn Dr. G. Parthey?), deren Ausgabe einem lange und
von Vielen genaéhrien Wunsche entgegenkommt, und den so
seltenen als ungeniigenden Vertue endlich iiberfliissig macht.
Die Mannigfalligkeit der so eigenthiimlichen Leistungen von
Hollar und die — bis auf einzelne Ausnahmen — missigen
Preise seiner Blatter verschaffen ihm den Eintritt in viele Samm-
Tungen, weshalb auch die dem Verfasser gebiihrende dankbare
Anerkennung eine weitverbreitete sein wird.

An diese Arbeiten schliesst sich nun als dritle Gabe die
oben genannte Schrift des Herrn von Quandt, welche schon
als kritischer Catalog einer sehr reichen Sammlung, mehr aber
noch als Leitfaden zur Geschichte der Kupferstecherkunst und
Malerei anf eine vielseilige Theilnahme Anspruch machen darf.
Denn obgleich sie zunachst als Verzeichniss jener bedeutenden
Sammlung auftritt, so verfolgt sie doch sowohl in der bis S. 36
reichenden Einleitung, als auch in den iiberall beigegebenen
biographischen Uebersichten, in Erliuterungen tiber den Ent-
wickelungsgang der Kunstschulen und einzelner Kunstler, und
in Urtheilen und Belrachtungen tber hervorragende Erschei-
nungen gleichzeilig den Zweck, das Kunstleben im Wechsel
seiner Phasen vom 4dsthelischen und vom historischen Stand-
punkte aus zu beleuchten, wobei fir den Herrn Verfasser der
erstere in der Regel der tberwiegende ist. Die Vereinigung
beider Standpunkle stiitzt sich aber auf die Begriindungsweise
dieser Sammlung, welche Herr von Quandt selbst unter vieljah-
rigen Kunststudien, bei sinnigen Anschauungen, die das Grdsste
und Beste umfassten, und von der Verhialtnisse Gunst getragen,
zu einem seinen Zwecken enlsprechendem Ganzen gesammelt hat.

Im Allgemeinen hat dieser Leitfaden denselben Charakter,
welchen wir an andern Schriften des Verfasscrs und an allen
Darlegungen sciner Kunsiliebe in freudiger Anerkennung zu
gewahren gewohnt sind: er ist auf eine geistreiche Weise an-
regend und von jener Warme der Theilnahme durchweht,
welche in Betrachtungen dieser Art, Lebenskeime zu erwecken
vermag. Treffende Bezeichnungen und in den Kern der Sache
	1) Wir werden auch auf dieses Buch mit nachstem ausfithrlicher zu-
rickkommen. DBD. Red.