lichen Theile des Langhauses und scheint sogar lange Zeit ohne
Chor oder nur mit provisorischem Chorbau bestanden zu haben.
Der gegenwartige Chorbau dalirt namlich aus weit spaterer Zeit.
Bereits im Jahre 1306 errichten die Schdffen der Stadt einen
Stock i utilitatem et profectum fabrice ecclesie Ste Marie Vir-
ginis und begriinden darauf ein Privilegium. Offenbar war also
damals der Bau schon begonnen. Wann er beendet wurde, lasst
sich nur annaherungsweise durch die Vergleichung mit den die
Katharinenkirche betreffenden Nachrichten feststellen. Eine alte,
jetzt zerstérte Inschrift an letzterer lautele nimlich:

»got gheve eme ein ewick

levent de dar to helpe dat dit

gadeshus werde maket toren un

kerke alse to unser Vrowen is.“
Wahrscheinlich aber ist, dass die grosse Indulgenz, welche iin
Jahre 1342 zw6lf Bischéfe zu Avignon den Wallfahrern nach
S. Katharinen in Osnabriick verliehen, den Neubau der Kirche
betrifft, dessen Beginn demnach vom Chronisten in 1339—1340
verlegt wird. Dieser Umstand verleiht einer anderen Nachricht
hohe Wahrscheinlichkeit, welche die Einweihung der Marien-
kirche auf den Bartholomaustag des Jahres 1318 setzt. Das
Langhaus wird also von 1300—131{8 ungefahr errichtet wor-
den sein.

Dasselbe besteht aus drei gleich hohen und fast gleich
breiten Schiffen, deren miltleres drei fast quadratische Kreuz-
gewolbe umfasst, wahrend die noch neben dem Thurm fortge-
setzten Seitenschilfe je vier Gewélbe haben. Drei Paar Rund-
pfeiler, kraftig gebildet, mit vier stérkeren Diensten fir die
Querrippen und vier schwacheren fiir die Kreuzrippen, tragen
die Gewélbe; das westlichste Paar lehnt sich theilweise an die
Thurmmauer an. Die halbirten Rundpfeiler, welche den Wan-
den der Seitenschiffe vorgelegt sind, haben ausser dem fir die
Querrippe und den beiden fiir die Kreuzrippen bestimmten Dien-
sten noch zwei schwachere Vorlagen ahnlieher Art fir die den
Schildbogen umfassende Rippe. Diese reiche Entwicklung go-
thischer Pfeilerarchitektur findet sich in Westfalen sehr selten;
selbst Pfeiler mit vier Diensten kommen nicht haufig vor; in
spalerer Zeit des XIV. Jahrhunderts beginnt schon der nackte
Rundpfeiler allgemein zu werden. Die Pfeiler der Marienkirche
sind tbrigens gleich den Umfassungsmauern sehr kraftig ge-
bildet, so zwar, dass die Gewdlbrippen etwas zuriicktreten, was
ein unschénes Brechen der aufsteigenden Linien zur Folge hat.
Die Neuheit des Styles mochte wohl eine gewisse noch etwas
unbeholfene Aengstlichkeit mit sich bringen, so dass man die
tragenden Glieder nicht schwacher zu bilden wagte. Uebrigens
macht die Kirche vermége der weiten Abstinde, des schinen,
in rein constructiven Formen ausgefihrten Fenstermasswerks,
der edel stylisirten Laubverzierung der Kapitéle, der belebten
und wohlgegliederten Pfeilermassen einen wiirdigen, imponi-
renden Eindruck, der freilich nicht die grazidse Leichtigkeit
der gothischen Kirchen des Rheinlandes besitzt, aber durch ru-
hige Harmonie und klare Gesammtanlage den Beschauer wohl-
thuend anspricht. Abeken macht darauf aufmerksam, dass ein
Fortschritt in der Bildung des Ornaments zu bemerken sei, und
zwar in der Weise, dass die Kapitale der Mittelpfeiler minder
fein und ede] stylisirt seien, als die der Halbpfeiler in den Sei-
tenschiffen, welche zugleich aus Baumberger Steinen gearbeitet
seien, wahrend jene aus Liistringer Steinen Destanden. Die Basis
der Pfeiler ist einfach gebildet aus wenigen Gliedern, haupt~
sichlich Slaben und Hohlkehlen, die eine feinere Umgestaltung
erhalten haben.

An das Langhaus hat man nun in spaterer Zeit einen ho-
hen Chor gelegt, der in drei Seiten des Achtecks schliesst und
durch vier undetaillirte Rundpfeiler von einem niedrigeren Um-
	gange getrennt wird. Sind Chorumgange bei gothischen Kir-
chen in Westfalen schon tiberhaupt so selten, dass nur zwei
solche Anlagen nachzuweisen sind, so steht die Anordnung eines
niedrigeren Umganges hier vereinzelt da und deutet, je we-
niger sie zu den gleich hohen Schiffen passt, auf fremdartigen
Einfluss. Solchen glaubt Abeken in der Verbindung mit eng-
lischen Kaufleuten nachweisen zu kénnen, und er fithrt eine
Stelle aus einer Chronik von Osnabriick an, welche geradezu
aussagt, dass ,englische Kaufleute, welche zu Osnabriick ihren
Stapel und Handel gehabt, in dem Hause welches neghst dem
Chor stehet haben viel, sonderlich das Chor bawen lassen“. Die
Zeit der Erbauung glaubt er aus dem am hohen Gewdlbe be-
findlichen Hoya’schen Wappen festsetzen zu kénnen, da das-
selbe wahrscheinlich sich auf Bischof Otto von Hoya (1406—
1424) beziehe. Mit dieser Zeit stimmen die Formen wohl tiber-
ein: die nackten Rundpfeiler, die rundbogige Gestalt der Quer-
rippen des Umganges, die Fischblasen- und Eselsriickenmuster
der Fenster, die eigenthiimlich zierliche Profilirung der Eck-
-pfeiler in den Umgangen und ihrer Gewilbdienste. Aus den
Kapitalen der Rundpfeiler steigen Wandsiulchen auf, welche
das Gewéibe des hohen Chores tragen; tiber den unteren Ver-
bindungsbégen, die den Mittelraum von den Abseiten trennen,
zieht sich eine zierliche, in Holzschnitawerk ausgefihrte Ga-
lerie unterhalb der Fenster an den Wanden hin. Die einzelnen
trapezartigen Abtheilungen des Umganges werden durch ein
finftheiliges Kreuzgewélbe bedeckt, indem ndmlich zwischen je
zwei Ecken aus der Umfassungsmauer eine fiinfte Gewdlbrippe
sich erhebt. Dadurch gewinnt der Umgang eine besonders volle,
malerische Beleuchtung, da nun jede Abtheilung desselben zwei
Fenster besilzt.

Auch die Betrachtung des Aeusseren ergiebt beim ersten
Blick den verschiedenen Styl beider Theile. Das Langhaus, mit
hohem Dach und Seitengiebeln versehen, erhebt sich in schlichter
Anspruchslosigkeit. Der Chor dagegen muss vor den vanda-
lischen Zerstorungen, die er in diesem Jahrhundert erfahren
shat, von reicher Pracht und Schénheit gewesen sein. Noch
zieht sich dicht tiber dem kraftigen Sockel ein Netz von zier-
lich aufgelegtem Stabwerk hin, welches den unteren bis zur
Fensterbank reichenden Theil belebt; noch sind Reste der Sta-
iuen erhalten, welche auf Konsolen und unter reizvollen Bal-
dachinen schirmend den Bau umgaben. Aber die beiden durch-
brochenen Galerien des unteren und des oberen Daches, die
blumengeschmiickten Fialen der Strebepfeiler, die mannichfach
gegliederten Strebebégen, welche sich von den unteren zu
den oberen Strebepfeilern hinaufschwangen — das Alles ist,
zum grdéssten Nachtheil fiir die Schénheit wie die Festigkeit des
Baues herabgerissen worden. Ein altes fliegendes Blatt hat den
frtiheren Glanz dieses zierlich reichen Chorbaues wenigstens in
der Zeichnung erhalten.

An der Siidseite des Langhauses liegt das leider sehr zer-
stérte Hauptportal, dessen Statuen, jederseits sechs, viclleicht
die fiinf thérichten und fiinf klugen Jungfrauen sammt einer
allegorischen Figur gleichsam als Chorfiihrerin darstellen. In
der Mitte der Heiland nebst der Mutter, tiber die er segnend
die Hand erhoben halt; tiber Beiden Gott Vater aus Wolken
herabschauend.

Wir schliessen endlich
	die Katharinenkirche
	an, von der es aus dem oben Gesagien wahrscheinlich ist, dass
sie um 1340 begonnen wurde. Da die neue Kirche im Jahre
1393 in einem Prozess zwischen dem Kirchenherrn und dem
Werkmeister sicher erwaihnt wird, so scheint sie damals be-
reils vollendet gewesen zu sein. Die Kirche ist einfacher als