Kuovftblatt.
	Organ
der deutSchen Kunstvereine.
	и:
	fiir bildende Kunst und Baukunst.
	Unter Mitwirkung von
	Mugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldorf — Schnaase
in Berlin — Férster in Minchen — Bitelberger v. Edelberg in Wien
		herausgegeben von Dr. ГР. Hggers in Berlin.
	Sonnabend, den 5. Februar.
	Inhalt: Ueber das Verhaltniss 4ег КаозИег ха Штеп Stoffen. C. Schnaase. — Ueber den Gang der christlichen Kunst in Spanien, von J. D, Passa-
vant. (Fortsetzung.) — Kunstliteratur. Die Meister der altkdInischen Malerschule yon J. Jac. Merlo. Sotzmann. — Zeitung. Paris.
. Beiblatt. Der Festzug der Disseldorfer Kinstler dargestellt von Otto Knille. A. v. E. — Die Jungmeister’sche Versteigerung. ~- Kupfer-
slichversteigcrung zu Amsterdam. — Zeitung. Berlin Diisseldorf. — Bicher- und Zeitschriftenschau. — Anzeigen.
	Ueber das Verhdliniss der Kiinstler zu ihren Stoffen.
	Kime Erwiederang an den Herrn Redacteur.
	Sic haben, lieber Herr Doctor, unsere kleine Fehde des
vorigen Jahres nicht mit der Sylvesternacht begraben, nicht als
cine Meinungsverschiedenheit auf sich beruhen lassen. Sie sind
vielmehr sofort im neuen Jahre in No. 1 dieses Bl. wohlgeriistct
ausgeriickt, haben eine feste Position genommen und fordern
mich zur nahern Rechifertigung und Begriindung heraus. Nun
wohl, Sie sind ein zu chrenwerther Gegner, als dass ich mich
nicht stellen sollte. Auch zeigt Ihr Widerspruch, dass die
Satze, die ich friher beiléufig aussprach, nicht so anerkannt
und einleuchtend sind, wie ich voraussetale, und da scheinen
sic mir denn wichlig genug, um sie elwas niher auszufiihren.
Ich werde mich dabei, wie es die Natur dieser Blatter erfor-
dert, und da ich auf kunstverstindige Leser rechnen darf, még-
lichst kurz zu fassen ‘suchen.

Erlauben Sie mir zunachst, meine von Ihnen angegriffenen
Satze wieder in die richlige Stellung zu bringen. Bei meinen
Bemerkungen tiber ,die Kritik und die religidse Kunst* kam
es mir darauf an, die bildende Kunst (und zwar zundchst die
Hislorienmalerei, denn von dieser war ja die Rede) vor unge-
hérigen, ihr selbst nachtheiligen Anforderungen zu schiitzen.
Ich behauptete, dass sie durch manche aus den Verhiltnissen
unsrer Zeit sich ergebende Einfliisse eine bedenkliche Neigung
habe, Stoffe zu wihlen, die sich mehr fiir die Dichtkunst als
fir die Malerei cigneten. Ich beschuldigte die Kritik, dass sie
diese Neigung, statt ihr enlgegenzustreben, begiinstige, und
fihrte nur als ein Zeichen dieser Tendenz an, dass sie nicht
selten die Kiinstler in Beziehung auf die Wahl der Stoffe all-
zusehr wie die Dichter hehandele. In der Poesie, bemerkte
ich dabei, sei freilich das eigene Aufsuchen und Erwahlen der
Stoffe das Natirliche und Regelmassige, fiir die bildende Kunst
aber sei es nalirlicher und giinstiger, wenn sie Stoffe ausfihre,
die ihr gegeben und bestellt, als wenn sie selbst darauf aus-
	gehe, solche zu wahlen. Diese Frage nach dem ,Verhallniss
ТУ. Jahrgang.
	der Kiinstler zu ihren Stoffen“® war mir daher die minder wich-
tige und secundire; mein erster Satz, den Sie ebenfalls nicht
anerkennen, war vielmehr, dass eine generische Verschieden-
heit zwischen den Stoffen der Maler und denen der Dichter
bestehe. Und mit diesem Satze muss ich auch heute meine
Rechifertigung beginnen.

Zunichst mtissen wir uns der Vieldeutigkeit des Wortes:
Stoff bewusst werden. Im Allgemeinen ist Stoff der Gegen-
stand der kiinsilerischen Thiligkeit, und so kann schon das
dussere Material, Stein, Erz, Holz u. s. w. mit diesem Namen
bezeichnet werden. Bei unserer Frage verstehen wir aber
darunter den Gegenstand der geistigen Thatigkeit des Kinstlers.
Allein auch so zerfallt der Stoff wieder sofort in zwei Theile;
er enthalt Sinnliches und Geistiges, eine aussere Erscheinung,
die aber zugleich einen geistigen Inhalt offenbart. Fir die
wahrhaft kiinstlerische Auffassung fallt Beides zusammen, die
theoretische Betrachtung aber kann und muss es trennen.

In beiden Bezichungen ist nun freilich, wie Sie bemerken,
der Stoff im Allgemeinen fir alle Kitnste derselbe; die dussere
Welt, das ganze Gebiet des Sicht- und Hérbaren, ist ihr dus-
serer, Gott und das von ihm ausgehende geistige Leben ihr
innerer Gegenstand. Allein bekanntlich theilen sich die Kinste,
beschranken sich auf gesonderte Elemente der Erscheinungs-
welt, arbeiten also in verschiedenen ausseren Stoffen. Diese
Sonderung und Beschrankung ist das Grundgesetz der Kunst,
nur durch sie wird es ihr méglich die Schénheit, die in der
Natur im vollsten Maasse liegt, aber von den vielfach sich
durchkreuzenden Zwecken der Wirklichkeit enlstellt und ver-
deckt wird, zur Erscheinung zu bringen. Daher werden die
Kiinste des Raums und der Zeit, die bildende Kunst und die
Musik, vorzugsweise die Kinste genannt, weil in ihnen diese
Sonderung am reinsten vollbracht ist, waihrend die Poesie, in-
dem sie auf dic Realitét der Kérperlichkeit und des Tones ver-
zichtet, die Welt in ihrem Wesen, in der Erscheinung des
Leiblich- geistigen, im Menschen auffasst. Daher der Gebrauch
des Wortes: Poesie und poetisch fir den kinstlerischen Gehalt

der Naturerscheinungen,
6