es wirde dann tberhaupt dem Gegenstande sein Recht nicht werden. Man sieht, dass dieser Grund nur auf transscendente, das Gebiet der bildenden Kunst iiberschreitende, nicht auf solche Anwendung findet, die etwa nicht auf der héchsten, der Maleret erreichbaren Héhe des Poetischen stehen. Ein dritter und nicht unwichtiger Grund ist endlich, wenn der Kistler ein sittliches Widerstreben gegen den Gegenstand hat. Denn freilich, er ist nicht bloss Kiinstler, sonderri auch Mensch, ein hochbegabter, feinfiihlender Mensch mit beobachtendem Auge, der seine Vor- lieben und Antipathien, der in dem nie rastenden sittlich-reli- gidsen Kampfe Partei ergriffen hat, und es versteht sich, dass ein solches Widerstreben, wenn auch nur leise empfunden, ihm die Stimmung verkiimmern wiirde. Dies fiihrt aber sofort auf den Grund, weshalb ich es nicht bloss fir unndéthig, sondern selbst fiir schadlich oder doch ge- fahrlich halte, wenn diese Kiinstler darauf ausgehn, ihre Stoffe selbst zu wahlen. Die Empfanglichkeit fir das Poetische ist sehr viel verbreiteter, fallt sehr viel mehr mit der allgemeinen Begabung zusammen, als die fiir das Ideale im Sinne der an- dern Kiinste. Der Kiinstler, besonders der, welcher sich fir historische Stoffe berufen fihlt, wird sie. meistens in hohem Grade besitzen. Anidrerseits sind, wie gesagt, Geschichte und Sage schon dichterisch verarbeitet. Es kann daher nicht feh- jen, dass der Kiinstler beim Lesen und Héren der Geschichte von dem poetischen Inhalt einzelner Momente ergriffen und er- warmt wird, dass diese Erregung in ihm den Wunsch erweckt, sie mit seinen Mitteln darzustellen, dass seine getibte Phanta- sie ihm auch ein Bild vorfiihrt, seine Vorliebe ihn ther die kinstlerischen Mangel des Stoffs tauscht, bis sich zuleizt bei weiterer Ausfiihrung ergiebt, dass die Molive, die er liebge- wonnen, die ihn reizten, eigentlich unbildnerische waren. Man kénnte glauben, dass seine Ktinstlerische Begabung ihn vor solcher Tauschung schtiizen mtisse, indem sie beim Lesen der Geschichte die Vorgénge unwillkirlich in Bilder verwandelte und so ihre ktinstlerische Darstellbarkeit sogleich erprobte. Bei andern Kunstzweigen findet allerdings etwas Aehnliches statt. Karl Maria von Weber beschreibt irgendwo in einem Tagebuche oder Briefe, wie die Landschaft, die er auf der Reise durch- eilt, sich ihm sogleich in eine Melodienfolge verwandle, und ebenso kann vielleicht der Landschafismaler bei Anhérung von musikalischen Kompositionen sogleich ein Bild vor seiner Phan- tasie sehn. Allein wo das moralische Gefihl mitspricht (und dies ist ja bei dem Poelischen in der Geschichte immer der Fall), tritt diese Freithatigkeit der Phantasie schwerlich ein. Dies Geftihl ist zu stark, zu zwingend, es tberwaltigt, wenn es machtig erregt ist, den Kistler im Menschen und vermag ihn auf fremde Bahnen zw Ieiten. Diese Gefahr der Verleitung zu unbildnerischen Stoffen ist indessen noch eine geringe, wenn der Kinstler zufallig mit einem Stoffe in Berthrung kommt und von seinem Inhalte an- gezogen wird. Sie wird aber wberaus gross, wenn er sich verpflichtet glaubt, seine Stoffe nach solchen poetischen Riick- sichten zu wahlen, wenn er weiss, dass die Masse der Be- schauer zuerst nach dem Gehalte des Stoffs fragt, dass die Stimmfiihrer, dic Kritiker, mehr den Stoff als das Werk kriti- siren, mehr auf die poetische Poesie, als auf die davon ver- schiedene malerische sein, wenn der Erfolg von der méglich- slen Steigerung des Poetischen abzuhadngen scheint. Es ist fast unvermeidlich, dass er falsch wahle, und im Ringen mit den unerreichbaren Anforderungen einer seiner Kunst fremden Poe- sie sich die Méglichkeit raubt, die ihr verlichene geltend zu machen. Daher ist ihm der gegebene Stoff sehr viel giin- stiger, weil er ihm mit voller Freiheit gegenibersteht, sogleich mit seinen kiinstlerischen Riicksichten beginnt. Ist der Stoff durfiig, so kann er Gegensatze hineinlegen, die ihm eine hé- here Bedeutung verleihen. Hat dagegen der Besteller einen lberwiegend poetischen Stoff gewahlt, so ist der Kiinstler we- nigstens nicht durch seine eigne Vorliebe verleitet, er kann mit frischem Blicke auffassen, zugeben und abnehmen. Es ist eine, wie ich glaube, anerkannte Thatsache, dass der bildende Kimstler keine ginstigere Basis fiir die Entwicke- lung seines Talentes hat, als eine fiir eine bestimmte Raumlich~ keit berechnete Aufgabe. Die bildende Kunst gewinnt gleich- sam auf dem miitterlichen Boden der Architektur erhéhte Krafte. Also eine sogar zwiefache Beschrinkung, ricksichts des Gegen- standes und in der Oertlichkeit, ist vortheilhaft. Dies, dtinkt mich, ist sehr geeignet, uns iiber das Verhaltniss des Kiinstlers zu seinen Stoffen und tber die eigentliche Aufgabe der kiinst~ lerischen Erfindung aufzuklaren. Wenn Cornelius berufen ist, eine kénigliche Grabstitte zu schmiicken, wenn er dann den alibekannten Inhalt der Apokalypse in grossartiger Weise auf- fasst, mit andern christlichen Gedanken sinnreich zu einem grossen kiinstlerischen Gedichte verwebt, so ist damit Erfin- dung, kiinstlerische Poesie im hohen Grade gegeben, aber sie Iehnt sich an den Gedanken der Bestellung, an die Raumlich- keit des beabsichtigten Gebaudes an. Wenn Kaulbach die Auf- gabe hat, die Vorhalle eines der Kunst aller Vélker gewid- meten Gebéudes zu einer geistigen Vorhalle der Geschichte zu gestalten, wenn er dann die inhaltsschweren Ueberlieferungen ins Leben ruft, ihre inneren Beziehungen, ihre vorbildliche Bedeutsamkeit anschaulich macht, sie dem gegebenen Zwecke gemass ordnet, so ist da wieder des Erfindens und Schaffens genug, aber doch keine Wahl des Stoffs, sondern nur der gei- stigen und kiinstlerischen Mittel fiir seine Darstellung. Die kinstlerische Erfindung aussert sich also nicht in der Wahl eines méglichst poetischen Stoffes, sondern darin, dass sie in jedem Stoffe héhere Ideen auffindet und mit der Kraft ihrer Mitlel zur Anschauung bringt. Freilich werden Bestellungen dieser Art nicht Vielen zu Theil, und es kann nicht die Meinung sein, dass die anderen Kistler, die sich zur historischen Kunst berufen fihlen, sie ruhig abwarten, bis dahin die Hande in den Schooss legen sollen. Allein es giebt der Stoffe genug, die ein fir allemal gegeben sind. Zunachst und vor Allem die religidsen, dann die allgemeinen weltgeschichilichen, auf der volksthiimlichen Auffassung der Geschichte beruhenden, im weiteren Sinne des Worts ebenfalls religidsen, endlich auch die sonst schon be- kannten, der eigenen Geschichte des Volks angehérigen Mo- mente. Diesen altbekannten, in der kiinstlerischen Tradition bereits vorhandenen Stoffen gegenitiber findet sich der Kiinstler in derselben Lage, wie bei bestellten Aufgaben. Hier kann er, indem er ihnen nach seiner Individualitét und nach den Bedirf- nissen seiner Zeit neue Gesichtspunkte abgewinnt, seine kinst- lerische Poesie, seinen Gedankenreichthum, bewihren. Da findet allerdings auch cine Entschliessung, eine Wahl statt, aber in ganz anderem Sinne des Worts, eine Wahl, wenn ich so sagen darf, ohne Initiative, eine Hingebung an einen der viclen Stoffe, die sich selbst darbieten. In diesem Sinne nannte ich die Be- geisterung des bildenden Kiinstlers eine mehr weibliche, als die des Dichters, und glaube dass diese Metapher eine nicht unrichtige ist. Allerdings ist strenge genommen jede Begei- sterung, auch die dichterische, weiblich, sie giebt sich hin, empfangt; in letzter Instanz ist eben nur Goit der Herr der Schaffende und Gebende. Aber ein Mehr oder Weniger, ein verschiedenes Verhalten zu den geistigen Quellen ist nicht bloss denkbar, sondern gewiss auch vorhanden. Ich erkenne endlich sehr gern an, dass die Regel, die ich au 3 ? el ? A an 1