ие
	A4eitung
fiir bildende Kunst und BRaukunst,
	Mnf tblatt.
	Organ

der deutschen Kunstvereine,
	Unter Mitwirkung von
	Sugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase
in Berlin — FGrster in Miinchen — Hitelberger v. Edelberg in Wien
		Ne 10.
	herausgegeben von Dr. F. Begers in Berlin.
	Sonnabend, den 5. Marz.
	Inhalt: Paul Delaroche’s ,Marie Antoinette“ und Louis Gallait’s ,Egmont und Horn*. W. Libke. — Ueber den Gang der christlichen Kunst in Spa-
	Kunstwerlke des Mittelalters In OQsnabriick.
	nien, von J. D. Passavant. (Fortselzung.) —
	Beiblatt. Versteigerung
Ner Libecker Kunstverein. —
	n Osnabriick. HI. W. Libke.

— eitung. Berlin. Diisseldorf. Trier. Salzburg. — Kunstvereine.
handels)s —  Biicher- und Zeitschriftenschau. — Anzeigen.
	Die Konigin schreitet aus dem Bilde auf uns zu. Ringsum
sparlich erleuchtete Riume, wo das grauende Morgenlicht kaum
mit dem Dammerdunst schwelender Lampen den Kampf zu be-
ginnen wagt. Mihsam erkennen wir in dem Diister die Gestal-
ten der Manner, in deren Seelen weit triber noch die Fackeln
wiister Leidenschaften flackern. Nur auf die edle Gestalt der
stolzen Gefangenen fallt — man weiss nicht, von wannen —
ein bleicher, kalter Morgenstrahl. Er bringt ihr den Kuss des
Todes.

Hart neben ihr tauchen, halb verschwimmend in die allge-
meine Dunkelheit, zwei bewaffnete Manner hervor, die der Ver-
urtheilten als Eskorte dienen. In diesen ist es dem Maler wohl-
gelungen, jene blutige Zeit zu schildern. Der jiingere von
Beiden mit gebieterischer Haltung und abwehrend ausgestreck-
tem Degen scheint ebenso jeder Regung des Mitleids den Zu-
gang zu seiner Seele zu verwehren. Das ist der Reprasentant
jener eisernen Schreckensmanner, in deren Brust der Fanatis-
mus fiir eine eingebildete Idee jedes Mitgefiihl fir wirkliche
Schmerzen versteinert hatte. Der dltere, der mit gekreuzten
Armen sein Gewehr an die Schulter driickt und etwas gesenk~
ten, nachdenklichen Blickes einherschreitct, hegt neben dem
starren Republikanismus noch rein menschliches Empfinden im
Busen, wenngleich das eherne Pflichtgefiihl es verstummen
macht. Zur Seite aber, hyanenhaft tber die trennende Brust-
wehr vorgebeugt, stiert mit bluillechzendem Blick eine scheuss-
liche, einzahnige Megire des Terrorismus das edle Opfer an.
Gleichsam um die verlelzte Weiblichkeit in ihr ewiges Vorrecht
milden Erbarmens wieder einzuseizen, erscheint neben der Furie
ein junges Madchen, dessen thranenschimmerndes Auge und
fiehend ing Anschauen der Dulderin hineinwurzelnder Blick uns
	mit der entmenschten Menschheit wieder versohnt.
Cewiss sind diese Gegensitze wirkungsreich, gewiss mit
	feiner Meisterschaft vom Kistler angelegt und durchgefuhrt,
Wie aber ist es mit der Hauptfigur des Bildes bestellt? Der
Maler hat in ihren Kopf die ganze Bedeutung der Situation zu-
sammenzudringen gesucht. In sorgfaltigster Modellirung hebt
	er sich sowohl von dem einfach schwarzen Gewande und dem
10
	Versteigerung der Friedlinder’schen Sammlung zu Leipzig. — Aelt
istverein. -- Auswahl von Neuigkeiten des deutschen Kunsthandels.
	Paul Delaroche’s ,,Marie Antoinette“ und Louis Gallait s
,femont und Horn.“
	Nicht der rein dusserliche Umstand, dass diese beiden
Bilder in kurzer Aufeinanderfolge uns in Deutschland vorge-
fiihrt worden sind, veranlasst die gemeinsame Besprechung der-
selben. Tiefer liegende Gesichtspunkte sind es, im Wesen
beider Werke begriindete, die zu solcher Doppelschau unwill-
kiirlich агапоеп. Beiden Meistern ist so mancher verwandte
Zug eigen. Beide schépfen gern die Stoffe zu ihren Darstel-
lungen aus dem Strome vaterlandischer Begebenheiten; Beide
greifen am liebsten nach den mordbefleckten Blattern der Ge-
schichte, bei deren Berihrung schon die Scele in bangem Schau-
der erbebt. Nur dass der Belgier das Gebiet des Grausigen
betritt, der Franzose die Seite des Larmoyanten ausbeulet,
jener Blut, dieser Thranen malt. Im Uebrigen aber begegnet
man in beiden Meistern innerhalb homogener Sphare so ent-
scheidenden Gegensatzen, dass die Versuchung nahe genug
liegt, dieselben in Worten abzuspiegeln.

Unter solchen Gegensidizen wollen wir nicht etwa Das ge-
meint haben, dass der Eine uns aristokratische, der Andre ple-
bejische Gewallthaten schildert, denn darin sehen wir keinen
Unterschied. Naher kommt man dem Mittelpunkt der Sache,
wenn man erwagt, dass Gallait den Moment nach der That
auffasste, Delaroche einen Augenblick des Vorher auf die
Leinwand bannte. Der Franzose spekulirt hierin mit raffiniren-
der Berechnung auf die tiefsten Saiten menschlicher Empfin-
dungsscala. Er zeigt uns das zarle Weib, zeigt uns eine der
héchsigestellten ihres Geschlechtes, verlassen von Allem, was
der Schwachen zur Stilze, zum Trost gereichen kinnle, um-
ringt von den Furien des Hasses, der Rachgier, zeigt sie uns,
mil gebrochnen Schritten dem unabwendbaren blutigen Verhang~
niss enlgegenwankend, unrettbar verloren. Das ist das Schwert
des Damokles, ist der angstigende Alp eines Traumes, der uns
einen theuren Menschen in drohender Gefahr vor Augen fihrt,
	wihrend cin Bleigewicht die zu Hilfe eilenden Glieder Jahmt.
ТУ dJahrgang.