begegnet. Auch dort verliert man sich in Verfolgung des In- dividuellen bis in die pikantesten Eigenheiten hinein, ins Aus- tiifteln subjektiver Slimmungen. Und wie dort eine Verirrung ins lyrische Gebiet unmittelbar damit zusammenhangt, so wider- fahrt dem Schdpfer der , Marie Antoinelte* ein ahnliches Schick- sal, das Hiniiberschweifen in die Plastik, deren Stylbedingungen von denen der Malerei so weit verschieden sind. Daher ist es denn gekommen, dass die Hauptgestalt, anstatt durch innigen Seelenausdruck machlig zu ergreifen, beinah den unangenehmen Eindruck einer bemalten Wachsfigur macht, der die ganze tbrige Leinwand nur als kiinstlich préparirter Hintergrund dient. — In entschiedenem Gegensatz zu der Behandlung von Dela- roche hat Gallait seinen Stoff aufgefasst. Wir sehen uns in das niedrige Gewélbe einer Kapelle versetzt. Kein dunkler Hin- tergrund, keine gesuchten, gemachten Lichteffekte: scharf und klar in voller Tagesbeleuchtung stellt sich uns die Scene dar. Von der Linken zur Rechten, den grésseren Theil des Vor- etundes fillend, erstreckt sich die Bahre, auf welcher unter schwarzem Sammtluche die beiden Opfer des visernen Alba ruhen. Nur die beiden Képfe, bleich und von den gespensti- schen Schatten des Todes tberflogen, ragen aus dem Weiss der Kissen hervor. Eine schmale Blutspur bezeichnet den grau- -sigen Schnitt, der so viel mannlich bliihende Kraft jahlings von dem Leben trennte. Das Uebrige erzahlt uns das struppige, zusammengeklebte Haar, erzaihlen uns die starren, fast wilden Ziige, die nicht von langsam schleichendem Hinsterben reden, sondern mit jeder Linie das Wort ,,Mord* uns in die Seele schneiden. Nicht minder beredt ist die aristokratisch feinge- formte Todtenhand, die aus dem etwas verschobenen Bahrtuch sichtbar wird, und unwillkiirlich tiberrieselt es uns, wenn das Auge an dem unnatirlichen Abstand dieser Hand vom Kopfe wahrnimmt, welch unnattirlicher Gewaltstreich beide fir und zu cinander geschaffnen Glieder auf immer getrennt hat. Auf dem Bahrtuch liegt ein silbernes Kruzifix, das, durch seine Schwere das Tuch eindriickend, die Lage der Kérper neben einander bemerklich macht. So bedeutend indess die Form der beiden Kipfe ist, so wirden wir durch sie allein nicht véllig klar tber Das, was hier vorgeht, wenn nicht die Gruppen der Umstehenden durch ihre Theilnahme an dem Ereigniss uns den geistigen Inhalt des- selben vor Augen brachten. Ihre Képfe sind die nothwendige Erklérung zu der todten Sprache der beiden Leichengesichter. Zunachst am Fussende der Bahre sieben Manner der grossen Armbrustschitzengilde von Brissel. Sie haben die geliebten Todten nach dem Franziskanerkloster gebracht und sind eben im Begriff von thnen zu scheiden. Wie schwer wird dieser Abschied! Alles, was in Liebe und Hass, in Mitleid und Ent- setzen, in unterdritcktem Zorn und aufspriihender Rachlust die Mannesbrust bewegen kann, das bricht sich Bahn tiber die kraf- tigen Gesichter der flandrischen Birger. Voran der Comman- dant, eine edle Gestalt, in der schlaff herabhangenden Linken den Pfeil, das Abzeichen seiner Stellung, in der Rechten mecha- nisch das Baret. Sein Nacken ist gebeugt, als habe der Streich des Henkers ihn mitgetroffen; das schén profilirte Angesicht richtet sich thrénenlosen, aber gramverdiisterten Blicks auf die entstellten Zige der theuren Todten. Der heisse, verzehrende Seelenschmerz hat in seinem Auge die Zihren weggebrannt. So unverwandt ist sein Blick, als sollte cr fir immer den Stachel dieses Anblicks tief in die wunde Seele dricken. Mit Recht hat Gallait die Figur des Commandanten ganz heraustreten las—— sen. Er ist der intelligenteste der Gruppe: vor seinem geisti- gen Auge erhebt sich die grausige That in ihrer ganzen weit- greifenden Bedeutung; vorahnend schaut er den Rickschlag, den solche Akte blutiger Willkiir hervorrufen, die Schultern umhiillenden weissen Tuche, wie von dem Hin- tergrund und den tibrigen Gestallen ab. Die Wirkung ist denn auch in der That frappant, und lange vermag das Auge Nichts zu sehen, als einzig dies von der Kerkerluft zwar gebleichte, sonst aber fast zu volle, zu glatte Gesicht, dessen Ziige schreck- haft gegen das mit frithzeitigem Weiss gemischte Haupthaar contrastiren. Sonst aber zeugen nur die leidensmiden Augen von den Schmerzen, die das ungliickliche Weib erduldet. Die einst in Lebenslust als erste Sterne eines glinzenden Hofes stralten, sind halb gebrochen, diister tiberschattet von den kum- merschweren, thranengerétheten Lidern. Sie mégen Nichts mehr schauen, da ihre ganze Welt erloschen ist. Um den Mund aber zuckt bittrer Hohn, und die feinen Lippen zieht der Entschluss, der angestammten Wide im letzten Augenblick Nichts zu ver- geben, krampfhaft zusammen. So vortrefflich die Charakteristik dieses Kopfes durchge- fihrt ist, so wenig entspricht der Eindruck der beabsichtigten Wirkung. Um es mit einem Worte zu sagen: anstatt des dra- matischen Pathos trat uns eine mit allen Mitteln der Technik herausgearbeitete lyrische Stimmung entgegen, die, je langer man das Auge auf dem Bilde weilen liess, desto mehr in’s Haltlose zerfloss. Diesen ausschliesslich lyrischen Charakter finden wir in der Grund-Anlage des Bildes, in dem Zurick- drangen aller andern Personen, die im Halbdunkel verschwim- mend nur dazu da sind, die Auffassung der Hauptfigur zu mo- tiviren; in dem Hervorheben dieser letzteren durch Hiilfe der Perspektive, der Modellirung und eines kinstlich arrangirten Lichteffekts, der beinah symbolisch die Gegensitze des Guten und Bésen anzudeuten scheint; besonders aber darin, dass es dem Kinstler nicht hat gelingen wollen, in seinem Werk eine Idee zu verkérpern. Kein einziges Gesicht ist der Vertreter von Prinzipien, jedes hat nur seine in subjektivster Beschrankt- heit befangenen Gefiathle auszusprechen, am meisten die Kénigin. Da ist weder das demiithige, goltergebene Fiigen in den Willen der Vorsehung, wie es einem Martyrer, noch die klar bewusste Haltung des Reprasentanten eines angefeindeten Prinzips, wie sie der durch die Revolution entthronten Fiirstin zukame: Nichts als der geistig unfreie Hochmuth, der kleinliche Troiz eines untergeordneten Geistes, der in den Begebenheiten der Geschichte nur jene Momente zu begreifen weiss, die ihn in seinem indi- viduellsten Verhalten berihren, der in dem Weltgeschichtlichen nur Privatgeschichlliches sieht, Man missverstehe uns nicht, als ob wir Unerreichbares vom Kinstler forderten. Nicht wir, er selbst hat sich das Unmég- liche zur Aufgabe gestellt. Anstatt aus wohldurchdachter Com- position uns jene Zeit sowohl, als diesen besondern Moment mit seiner Springflut machtig widerstreitender Leidenschaften entgegen leuchten zu lassen, soll dies eine unglickselige Frauen- bild uns den herzerschiitternden Jammer jenes Augenblicks allein darlegen. Dies war die Klippe, an der des Malers Kunst schei- tern musste. Es lag aber wohl im Wesen dieses Stoffes die Nothigung fir den Kiinstler, ins eigenste Gebiet lyrischer Stim- mungsmalerei sich zu verlieren. Kein tragischer Conflikt, kein Aufeinanderplatzen kampfender Ideen liess sich darin zur An- schauung bringen, denn immer wird man in dem Hinschlachten eines unglicklichen, wehrlosen Opfers, das ohne eigentlichen Grund blinden Leidenschafien fallt, wohl einen Gegenstand der Geschichtschreibung, auch etwa der Dichtkunst, nimmermehr aber der bildenden Kunst erblicken. Es verdient als bemer- kenswerlther Zug unsrer Zeit erwahnt zu werden, dass derselbe Mangel an dramatischer Kraft, an der Kunst, aus den Faden verschiedner Charaktere ein lebendig bewegtes Ganzes zu weben, die Individuen im Reflex grosser Ideen, allgemeiner Beziehun- gen aufzufassen, auch auf dem Gebiet dramalischer Pocsie oft