Die ubrigen Manner neben und hinler ihm gehéren anderen
Lebensstellungen, verschiedenen Sphiren der Bildung und des
Berufes an. Der Altliche Birger nebenan, dessen Kérper durch
langjahrigen ruhigen Genuss wohlerworbener Giiter eine statt-
liche Fille erlangt hat, vermag trolz angeerbter und durch Ge-
wohnheit ausgebildeter Gemithsruhe die tiefe Bewegung nicht
zu unterdriicken, die der schmerzliche Anblick in ihm wach
ruft. Helle Thranen Jaufen ihm tiber die Backen, und die rund-
	lichen Hande umklammern, wie nach Fassung ringend, den
Schaft seiner Lanze. Bildet dieso Gestalt efnen vollkommen
	durchgefihrten Gegensatz zu der des Commandanten, so ist der
Contrast Beider zu einer dritten nicht minder gross. Das ist
cin junger, bliihender Mann mit ausdrucksvoll schonem Gesichte,
der noch nicht gelernt hat, seine Empfindungen zu ziigeln. In
leidenschafilichem Aufwallen scheint er sich zuriickwenden zu
wollen: ihm sagte es mehr zu, statt resignirendem Betrachten
sich zu fiberlassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Auch die tbrigen, weniger hervortrelenden Personen sind
nicht minder scharf charakterisirt, von dem alten Graubart, der
in iberstrOmender Bewegung mit der Hand nach den Augen
zuckt, bis zu dem vorn die Gruppe schliessenden jingeren Bir-
ger, in dessen Mienen das lebhafteste Entselzen sich malt. In
allen diesen Mannern lasst derselbe Gegensland dieselben Sai-
ten der Empfindung erlénen, aber die Tonart eines Jeden ist
verschieden je nach dem Alter, dem Temperamente, dem gei~
stigen Gesichtskreis. Es lasst sich keine feinere, genauere
Uebereinstimmung des ganzen Kérperlichen mit dem Ausdruck
des Kopfes denken. Und welch bewundernswirdige Physiogno~
mik liest man in den verschiedenen Handen! Mit grossem Ge-
schick wusste der Maler gerade solche Mannichfaltigkeit der
Charaktere hier zusammenzustellen, wie sie véllig geeignet
scheint, ein ireffendes Bild der Stellung und Bedeutung jener
cinflussreichen Gilde zu entfalten, ein Mikrokosmos des ge-
sammten flandrischen Volkes zu sein. So schildert sie Egmont
selbst in Géthe’s herrlichem Drama: ,,I[ch kenne meine Lands-
leute. Es sind Manner, werth Gottes Boden zu betrelen; ein
jeder rund fir sich, ein kleiner Konig, fest, rihrig, fahig, treu,
an alten Sitlen hangend. Schwer ist’s, ihr Zulrauen zu ver-
dienen; leicht, zu erhallen. Starr und fest! Zu dricken sind
sie, nicht zu unterdricken.“

Diesen flandrischen Mannern gegeniiber verhallen sich zwei
andre Personen am jenseitigen Ende der Bahre in beobachten-
der Weise. Auf den ersten Blick erkennen wir in ihnen die
Vertreter einer andern, und zwar der spanischen Nationalitat.
In gemessnem Abstand von jener Gruppe fixiren sie dieselbe
mit ruhig forschenden Blicken, die zwar wachsam jede Aeusse-
rung der machtig aufgerthrien Empfindungen verfolgen, jedoch
nicht mit dem tiickisch lauernden Schlangenausdruck des Spions.
Mit feinem Takt hat hier Gallait das Gehassige, Absichtliche zu
vermeiden gewusst, so nahe es vielleicht einem beschrankteren
Darsteller gelegen hatte, die beiden Gruppen zu Reprasentanten
banaler Gegensatze von gut und bése, edel und unedel zu ver-
wenden. Und wie hat der Kunstler diese Séhne desselben Lan-
des unler einander zu charakterisiren gewusst! Der vordere
in blitzender Stahlristung ein schlachtengeharteter, wetterge-
braunter Krieger, dessen falkenartige Ziige scharf beobachtend
auf den Mannern der Schiitzengilde weilen, wahrend er beide
nervigen Hande auf den Korberiff seines Schwertes stiitzt. Fast
liegt ein Zug von Verwunderung in seinem Gesichte, denn ihm,
der sich sein Lebenlang nur mechanisch nach dem Willen sei~
nes Feldobersten bewegt hat, muss die freie Regung von Man-
nern, die sich im Kernpunkt ihres Selbstbewusstseins, ihres
nationalen Gefihles tédtlich getroffen fihlen, befremdlich уог-
	kommen,
	Anders sein Gefalirle, eine elegante, hofmannische Figur
in leichter Kleidung, ein rothes Baret auf dem kurzgeschornen
dunklen Haar, funkelnde Ringe an den Fingern der weiblich
feinen Hand, die nachlassig mit dem zierlichen Dolche spielt.
Er tritt etwas hinter den Krieger zurtick, und schon die Wen-
dung, mit der er hinter dessen Ricken hinweg die leidtragen-
den Birger beobachtet, hat etwas fein Bezeichnendes. In sei-

nem blassen, etwas friih gereiften Gesichte liest man zugleich
einen Nebuenzug, der darauf hindeutet, dass es zugleich ein
psychologisches Interesse ist, welches die Richtung dieser dunk~-
len Augen bestimmt, Ueberhaupt sind beide Figuren an Pragnanz
und herausholender Tiefe der Individualisirung vielleicht die
gelungenste Partie des Bildes, wie sie zugleich durch leuch-
tende Kraft der Farbe, durch meisterhafte Behandlung des Hell-
dunkels und der Modellirung sich den bewundernswirdigsten
Leistungen der alten Venetianer an die Seite stellen.

Endlich diirfen wir des jungen Ménches nicht vergessen,
der links im Hintergrund vor dem Altar an der einen brennen-
den Kerze die andre entztindet, damit die sithnenden Exequien
fiir die Hingeschiedenen beginnen kénnen. Gehért seine Hand-
lung wesentlich dazu, die Scene abzurunden und den Moment
in allen Beziigen véllig klar zu machen, so erinnert zugleich
der theilnahmlose, unbewegte Ausdruck seiner nicht unbedeu-
tenden Ziige an jene erhabene Objektivilét der ewigen Machte,
deren Vertreter er sein soll, die im wechselnden Strome mensch-
licher Leidenschaften das Bleibende, unerschiittert Verharrende
sind. —

Dies in Kurzem eine Skizze von dem materiellen Inhalt
des Bildes. Wie aber soll das Wort einer so bedeutenden,
gedankenreichen Composition gegeniiber auch nur im enifern-
testen vermégen, den wundervollen Organismus des Ganzen,
die tief begriindete Harmonie der Theile, die bis auf die letzte
Linie zu einander gehéren wie die Glieder eines Kérpers, zu
schildern? Darin eben liegt die Grésse dieser Gallait’schen
Schépfung, darin der Werth, den wir ihr als einem geschicht~-
lichen Bilde in des Wortes vollster Bedeutung vindiziren,
dass sie nicht auf sinnentéuschende Abspiegelung zufalliger
Wirklichkeit, sondern auf Darstellung der tiefer liegenden Wahr-
heit, des ewigen Gehaltes der cinzelnen Handlung ausgeht.
Selbst in den Képfen der Hingerichteten, so ergreifend sie den
Eindruck des gewaltsamen Todes uns vor Augen bringen, hat
der Kinstler alle jene entsetzlichen Ziige der Wirklichkeit mit
weiser Besonnenheit, mit reifstem Schénheitsgefiihl gemildert.
Der gesunde, jede Effekthascherei verschmahende Vortrag, die
Ruhe und Harmonie der Farbung theilt sich wohlthuend dem
Beschauer mit, weil sie eben ein Ausfluss des geistigen Lebens
des Bildes ist. Wie machtig, wie tiberzeugend aber spricht zu
uns der Seelenausdruck jedes Kopfes! Wie dient die eine Gruppe
zur innigen Ergdnzung der andern, wie der eine Kopf zur Folie
fiir den andern! Hier rollt sich uns ein reichgegliedertes, tief-
bewegtes Drama auf, in welchem jeder mitwirkenden Person
ihr volles Recht widerfabrt, jede sich so vollkommen ausspricht,
wie es ihrem Wesen gemiss ist. Nicht durch willkirliches Zu-
rickdrangen, skizzenhaftes Behandeln, dammriges Ueberschleiern
der einen oder andern Figur sucht der Kistler einer besonders
begiinstigten Lieblingsgestalt erhéhte Sympathieen zuzuwenden,
wie wir es bei Delaroche tadeln mussten: nein, in dem Masse,
wie jede geistige Potenz sich ihrer innern Bedeutung nach star-
ker oder schwacher ausspricht, liegt einerseits das Interesse,
welches wir an jeder nehmen, andrerseits die Harmonie, in
welcher Alle zu einander stehen, begriindet.

Wonach so oft in Rede und Schrift verlangt worden ist,
wir haben es hier: ein wahrhaftes Geschichtsbild, durchweht
	vom allmachtigen Odem des Geistes, durchpulst von den Herz-
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