sprechender Weise belebt. Zur andern Seile des Heilandes bringt das benachbarte Feld mit der Ueberschrift ,, Angelus do- mini“ die sehr eigenthiimliche Darstellung eines Engels, der in hasligem Lauf, so dass des einen aufgehobenen Fusses ganze Sohle erblickt wird, herbeieilt, um ein Tuch zum Ablrocknen darzureichen. Diese Bewegung ist kihn und nicht ungeschickt durchgefiihrt; das Képfehen des Himmelsboten ist von lieblichem Ausdruck, umwallt von langen Locken. Wir kommen hier zur Wahrnehmung cines bedeutsamen Familienzuges, der die ganze bildende Kunst in Westfalen schon yon romanischer Zeit ab charakterisirt. Ihr ist die typische Auffassung, die hieratische Strenge, mit der die Kunst jener Zeit anderwarts aufzulreten pflegt, fremd. Slat dessen bemerkt man in ihren friihesten Werken — ich will nur an die durch die Bandel’sche Ab- bildung in Massmann’s trefflicher Schrift allgemein bekannten Skulpturen der Externsteine crinnern — bereits ein Streben nach Beobachtung und Darstellung der Natur und selbst ein Ringen nach dem Ausdruck dramatischer Bewegung. Mit wie feinem Sinn man diese Richtung bis in die Einzelheilen eines Werkes zur Gellung zu bringen wusste, zeigt recht klar und schén diese kleine Engelgestalt mit der gut motlivirten Gewan- dung, besonders aber dem yom Luftzuge zuriickgeworfenen Tuche, dessen Falten zugleich die hallenden Hinde deutlich errathen lassen. Die beiden anderen Felder enthalten dic Dar- slellung der Apostelfirsten, Petrus und Paulus mit den betref- fenden Ueberschriften, jener mit dem Schliissel, einem der 4l- testen christlichen Altribule, dieser nur mit einem Buche, merk- wirdiger Weise aber mit einer Glatze, die gewdhnlich — na- mentlich in der folgenden Epoche — dem Petrus vindicirt wird. Beide sind gleich Christus und Johannes nur Halbfiguren. Aus dem Schatze des Domes sind nun vor Allem finf Reliquienkasten aufzufihren. Darunter zunachst zwei aus romanischer Zeit, welche die Ueberreste der Heiligen Crispi- nus und Crispinianus enthalten. Sie sind in der gewdhnlichen Form eines rechteckigen, mit ziemlich hohem Dache bedeckten Gebaudes behandelt, dessen Seiten und selbst Dachflachen mit einer Menge Figuren in getricbener Arbeit aus starkem Gold- blech geschmiickt sind. Der eine Kasten zeigt die 12 Apostel, sodann an der einen Schmalseite den thronenden Christus, an der andern zwei Heilige, wahrscheinlich Crispinus und Crispi- nianus. Der andre enthalt 11 Apostel, den h. Crispinus (mit Ueberschrift, Buch und Krone), Christus und Maria als Him- melskénigin, beide thronend, sodann noch eine kleine Darstel- lung des Gekreuzigten mit Maria und Johannes zu beiden Sei- ten. Der Styl dieser Figuren unterscheidet sich vortheilhaft yon den meisten dhnlichen Arbeiten aus derselben Zeit: die Képfe sind yon tiichtigem Ausdruck, edel und gut geformt; die Gewandung ist die antikrémische in sehr fliessend weicher, zierlich reicher Behandlung. Eine Ueberfiille der, elegantesten, blihendsten Arabeskenverzierungen tiberwuclfert simmtliche Ge- simse und andre architektonische Glieder, namentlich auch die lisenenarligen Streifen, welche die Figuren von einander tren- nen. Diese sind auch gleich den tibrigen Theilen mit einer grossen Zahl edler Steine, sowie antiker Gemmen und Cameen geschmiickt. An dem einen Giebelfelde des einen Kastens fin- det sich gleichsam als Stellverireter einer stattlichen Rosette eine antike Camee von der Grésse cines Ginse-Lics, ein aus blauem Steine geschnittener Satyrkopf. Zahlreiche Inschriften in zierlich behandelten Majuskeln umzichen gesimsartig beide Kasten: aus der grossentheils zerstérten Inschrift des einen hebe ich nur den Anfang heraus, der den Inhalt des Reliquiariums anzeigt: ,,..... .um (se. Crispinum) capsa tenet hee et Cri- spinianum....~. Die andere ist fir uns einigermassen wich-_ tiger, insofern sie uns den Stiffer dieser reichen Kunstwerke ~ In zwei Jateinischen Hexametern namhalt macht: » Laureet hoc ob opus Hermannum gratia Christi, Ut fieret sumptus capse qui contulit 456.“ Uebrigens ist der Styl beider Werke durchweg tbereinstim- mend, Ob diese Reliquiarien dieselben sind, welche beim Brande des Doms vom Jahre 1100 nach Iburg gefliichtet wurden, muss ich dahingestellt sein lassen; doch scheint mir die Feinheit der Arbeit cher auf das Ende des XII. Jahrhunderts hinzuweisen. Frihgothischer Zeit gehért der etwa 5 Fuss lange Regi- nenkasten mit den Reliquien der Heiligen dieses Namens. Er ahmt die Form einer dreischiffigen Kirche nach, deren Wande jederseils mit sechs sehr schlanken Saulen geziert sind, die durch Spitzbégen verbunden werden. Der mittlere, breitere hat eine Nasenfiillung. In diesen Abtheilungen haben ehemals Figuren gestanden, wahrscheinlich einerseits Christus und sechs Apostel, andrerseils Maria mit eben so vielen Aposteln. Auch die еше Schmalseite hatte Figuren, die andre dagegen bildet die Oeffnung des Behilters vermillelst eines mit reichem Stab~ und Masswerk geschmiickten Doppelportales. Auch auf beiden Dachseiten waren in Bogen je sieben Figuren angebracht. Simmt- liche Bildwerke sind, — ohne Zweifel ihres Goldwerthes we- gen, denn auch dieser Kasten ist mit Goldblech tiberzogen — fortgerissen, und die leeren Stellen nachmals durch bunte Steine ausgefiillt worden. Auch der hélzerne Kasten mit tlichlig ge- arbeitetem Eisenwerk ist schén und stylgemiss durchgefihrt. Noch etwas spiter ist ein andrer Reliquienkasten, der die Formen des reinsten, cdelsten gothischen Styles an sich traigt und demnach ins XIV. Jahrhundert zu setzen sein wird, wie der vorige ins XIII. gehért. Hier bilden Strebepfeiler die Ab- theilungen der Seiten, wie denn auch dieser in theils vergol- detem Silberblech circa 2 Fuss Jang und 1} Fuss hoch ausge- fahrte Kasten die Form einer Kirche nachahmt. Jedoch tritt hier, dem gothischen Charakter entsprechend, das Element bild- licher Darstellung mehr zuriick, um dem reizvollen Spiel geo- metrischer Formen Platz zu machen. Jedes der fiinf Seiten- felder hat ein gothisches Fenster mit vergoldetem Stabwerk und Drei- und Vierpdssen; ausserdem sind in den Ecken edle Steine angebracht. Nur das miltlere und die beiden aussersten Felder werden durch Statuen belebl; die Mitte nimmt ein Bischof ein, auf den Seiten finden sich gekrénte Jungfrauen, unter denen nur noch die h. Barbara an ihren Emblemen kenntlich ist. Die Dachflichen haben ebenfalls Fenster mit zierlichem Masswerk, jedoch im Rundbogen iberwélbt, eine Formenmischung, die uns an solchen Arbeiten nicht weiter befremden kann. Die Fi- girchen sind im edelsten gothischen Style durchgefihrt, dic Képfchen von schéner Bildung und lieblichem Ausdruck. Endlich ist noch der Cordulakasten zu nennen, der den Styl des XV. Jahrhunderts vertritt, in Anlage und Anordnung dem yorigen nahe verwandt. Eine in gothischer Minuskel ge- fertigte Inschrift sagt uns im zierlichen Versmass eines latei- nischen Hexamelers, dass der Kiinstler zu dieser Arbeit ein Jahr gebraucht hat: ,,Bochroit Nicolai custos domus hoe struit anno“. Ausserdem ruft ein andrer Hexameter die Heilige an, deren Gebeine der Kasten enthall: ,, Cordula corda juva que multis clauderis intra“. Jede Langseite hat drei Figiirchen: die eine die h. Cordula, Stephanus und einen anderen Heiligen mit Buch und Kreuz; die andre eine gekrénte Jungfrau mit der Martyrerpalme in der Mitte, zu den Seiten ein Papst und ein Heiliger. Die Figuren sind nicht so edel, wie die des vorhin erwahnten Kastens, aber doch noch wiirdig gefihlt und tiichlig ausgefiihrt. Dic Architektur zeigt reiche, brillante Formen, be- sonders die eine Giebelseite, welche ein prachtvolles Fenster mit zicrlichem Masswerk ausfillt. — So haben wir also an die-