zu geben, sondern durch sie fir ihren Reichthum an Ertinaung
und ihre unerschépfliche Phantasie einen leichteren und beque-
meren Spielraum zu gewinnen wussten. Allen dreien war das
bisherige Gebiet der Malerei viel zu enge, sie verschmahen
dasselbe zwar nicht in der historischen Gruppe, der Landschaft,
den architektonischen und Naturansichten, aber sie bewegen
sich lieber in dem Gewimmel der Menschenwelt; ihre Tummel-
plaize sind weite Gegenden, Schlachtfelder und Feldlager, Hafen
und Markte, Theater und Hallen; auch da, wo es auf einzelne
Handlungen oder Hauptpersonen ankommt, lassen sie es nicht
an einem Ueberfluss von Nebenfiguren oft bis in die kleinste
perspektivische Ferne fehlen. An Vielseiligkeit und Charakte-
ristik beiden weit tiberlegen, ist Hollar slets gemessen und
nalirlich, gleich entfernt yon Callots Neigung zum Abentheuer-
lichen und Fratzenhaften und seinen oft insektenartigen Men-
schenhaufen, wie von della Bella’s blendender, aber durch ihre
Einférmigkeit ermitdender Manier; seine saftige Nadel halt zwi-
schen der trockenen des ersten und der schillernden des andern
eine gliickliche Mitte. Uniibertrefflich ist er besonders in der
Darstellung haariger und wolliger Stoffe, von Pelzwerk, Ge-
fligel und dergleichen.

So schdtzbar, zugleich von dem historischen Gesichtspunkt
aus, die Werke der ebengenannten Meister, in Bezug auf Frank-
reich und Italien sind, so und in noch héherem Grade sind es
die des Hollar fir Deutschland, die Nicderlande und England.
Zur Geschichte des 30 jahrigen Krieges, des niederlindischen
Freiheitskampfs, der birgerlichen Unruhen und Kriege in Eng~
land bis zum Fall Karls [, sowie der Restauration Karls IT nach
Cromwels Tode und der nachfolgenden dortigen Begebenhei-
ten hat er vieles in bildlichen Darstellungen hinterlassen, was
beinahe den Werth gleichzeitiger Urkunden hat; fast von allen
Personen, welche in dieser Periode in Staat und Kirche, in
Literatur und Kunst sich auszeichneten, namentlich englischen,
aber auch vielen andern, besitzen wir achte Bildnisse durch ihn;
keiner hat seine Gegenwart nach Ort und Zeit in solcher Treue
und Mannigfaltigkeit abgespiegelt wie er. Als Kostumzeichner
verdanken wir ihm mehrere Sammlungen von Frauenzimmer-
trachten in ganzen Figuren oder Brustbildern, von denen die
unter dem Namen Aula Veneris bekannte, welche sich tber
Deutschland und andre europaische Vélker erstreckt, nicht ihres
Gleichen hat. Es war noch die kleidsamere Zeit des spanischen
Kostums und eignen Haars bei den Mannern, so wie der nach
den Provinzen und selbst nach einzelnen Stadten eigenthiimlichen
Verschiedenheit bei den Weibern, eine Zeit, welche nicht Jange
darauf dem Franzosenihum und den Periicken Platz machen
musste. In geometrischen oder perspektivischen Aufnahmen von
Stédten und Gegenden, tibertraf er alle seine Vorganger, den
gleichzeitigen Merian nicht ausgenommen, bei dem er anfangs
vielleicht gelernt hat und in dessen, leider nicht mehr nach
Verdienst geschatzten topographischen Werken sich noch manche
Spur von Hollar findet. Dieser lieferte nicht nur in seinen iiber-
aus grossen Prospekten von Prag und Kéln Meisterstiicke ihrer
Art, sondern eine grosse Anzahl von Plinen oder Totalansichten
deutscher, englischer und andrer europaischer und selbst ausser-
europiischer Stédte und merkwiirdigen Orte, jene nach eigner
Aufnahme, diese (mit Ausnahme von Tanger an der marokani-
schen Kiiste, wohin er zu dem Ende hingesandt wurde) nach
den besten Quellen. Hatte ihm ein industrieller Buchhandler,
wie de Bry oder Merian, dabei zur Seite gestanden, so wiirde
er durch diese Arbeiten allein bertihmlt geworden sein. Statt
dessen kamen sie einzeln, wie seine meisten andern, bald diesem,
bald jenem Kunsthandler in die Hande und geriethen so zer-
streut in Vergessenheit. Selbst seine, als die besten und ge-
nauesten gepriesenen Abbildungen von London vor und nach
	liche Chodowieky, in schlechte Hande gefallen. Des ganzen
	XVII. Jahrhunderts bei uns hat sich in dieser Beziehung noch
niemand angenommen, und doch steht ein deutscher Kiinstler
	an der Spitze desselben, welcher jetzt ein Stolz seines Vater-
landes ist, damals aber durch jesuitische Ketzerverfolgung und
durch den 30jahrigen Krieg aus der Heimath vertrieben, erst
in England, wie friher Holbein, eine bleibende Statte fand.
Wie sehr er auch nach seinem Tode daselbst geschatzt wurde,
zeigt der, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in London
gedruckt erschienene und 1759 wieder aufgelegte Katalog seiner
Werke mit Lebensnachrichten von ihm, den G. Vertue, ein tiich-
tiger Stecher und fleissiger Kunsiforscher, abgefasst hat; seitdem
sind die Preise von Hollars Arbeiten, insofern sie England selbst
betreffen, dort zu einer fabelhaften Hohe gestiegen, wovon unser
Verfasser mehrere Beispiele gicbt. Vertue’s Katalog ist aber
jetzt nicht nur ziemlich selten geworden, sondern in jeder Be-
ziehung so oberflachlich und so wenig brauchbar, dass schon
deshalb die Abfassung eines besseren neuen dringend gewinscht
werden musste. Ein solcher Leiifaden ist grade bei Hollar um
so unentbehrlicher, als sein Werk zu den zahlreichsten, man-
nigfaltigsten und in mehr als einer Hinsicht belehrendsten gehort,
die wir iiberhaupt besitzen. Hollars kiinstlerischer Character
als Zeichner ist die innigste und treuesie Naturauffassung ohne
Manier und Schminke, die verstindigste, sorgfaltigste und sau-
berste Darstellung aller Gegenstande, die er vor sich sah.
Kunstgerecht weiss er sowohl ganze Gegenden und Stadic, wie
einzelne Bauwerke, geometrisch in den Grund zu legen, oder
perspektivisch mit allem Detail zur Ansicht zu bringen; seine
Landschaften, Marinen und Prospekte athmen malerisches Ge-
fihl und sind haufig an schénen Staffagen reich; seine Figuren,
Bildnisse und K6pfe sind der wahrste und gemiithlichste Abdruck
der Personen selbst; scine naturhistorischen Vorstellungen, be-
sonders Insekten, sind bewundernswerth und lassen kaum die
Farbe vermissen; nichts in der lebendigen oder todten Natur
ist ihm fremd geblieben, mit allem hat er sich auf’s innigste
vertraut gemacht. Was er in diéser Art nach eigner Wahl ge-
schaffen, gehdért zu seinen reizendsten Arbeiten, wie die Kostum-
bilder, die Frauenzimmerképfe in Medaillons, das Reissbiichlein,
die Rhein- und Donauansichten, die strassburger und englischen
Jahreszeiten. Wo er die Werke anderer Meister kopirt, ver-
rath er tberall ein bewundernswirdiges Eindringen in den Geist
und die Art seiner Vorbilder, migen es allere deutsche oder
italienische, von Dtirer, Holbein, Titian, Parmesan u. a., oder
spatere niederlaindische von Breughel, van Artois, Elzheimer
oder van Dyck sein. Hier ist der Werth seiner Blatter freilich
von dem ihrer Originale abhingig und er steht auch hier bei
Malern seiner eignen Wahl, wie die vorgenannten, am héchsten,
zumal da ihm in der berihmten Sammlung seines Hauptgénners,
des Grafen Arundel, und andrer damaliger Kunstfreunde, eine
Menge von trefflichen Gemalden und Zeichnungen zu Gebot stand,
die seitdem bis auf seine Radirungen grésstentheils spurlos ver-
schwunden sind. Schwerlich wirde er nach andern geringeren
Kiinstlern gearbeitet haben, ware er nicht durch Bestellung oder
andre Verhaltnisse und als Nothbehelf zuweilen dazu vermogt
worden; wo er so manierirten Malern, wie einem Peter van
Avont folgt, kann die Treue, der er sich auch hier befleisst
und die wir sonst so gern bei ihm wahrnehmen, sogar wider-
lich werden und lasst nur bedauern, dass er sein Talent auch
an so undankbaren Aufgaben hat verschwenden miissen, Ver~
gleichen wir ihn mit andern Kiinstlern, so ist er seinen berihmlten
	4eiigenossen, dem Callot und Steph. della Bella am nachsten
verwandt, die wie er, die Radirnadel statt des Grabstichels zu
ihrem Lieblingsinstrument machten und ihr nicht nur eine Selb—
standigkeit, welche die Hilfe des letzteren entbehrlich macht,