bebt. Gelang es dem Kinstller nicht, mit der dadurch hervor-
gebrachten theatralischen Kérperbewegung einen ergreifenden
Ausdruck des vaterlichen Schmerzes zu verbinden, so vermochte
er mit der gewaltsam schreitenden Bewegung der Tochter, ihrem
ausdruckslosen Profile und der kleinlichen Drapirung ihres flie-
genden Gewandes ebensowenig den dramatischen Kontrast zu er-
reichen, welchen das Tragische des Moments nothwendig ver-
langle. —- Gehen wir von dem in das Jugendalter des Men-
schengeschlechts hinaufragenden Gebiete auf das unserem Em-
pfinden naher liegende historische Leben itiber, so fallt uns
zunachst eine gewaltige Komposition von C. Steffeck in Berlin
in die Augen, eine Episode aus der brandenburgischen Ge-
schichte darstellend: Albrecht Achilles, Kurfiirst von Branden-
burg, erobert mit eigener Hand eine Fahne, ein Bild, das mit
ungemeiner Kihnheit und Lebendigkeit der Darstellung eine
_Zeichnung verbindet, welche dem grossen franzésischen Schlach-
tenmaler Ehre machen wiirde. Der Kurfirst, eine Athletenge-
stalt, in slahlgrauem Panzer auf einem feurigen Schimmel, ist
den Seinigen vorausgesprengt und hat sich eben in eine Mélée
-eingelassen, deren Ausgang noch zweifelhaft erscheint, unge-
achtet seiner Streitaxt bereits der Fahnentriger selbst erlegen
ist und schwer am Kopfe getroffen ricklings tiber sein Pferd
zu Boden sinkt. Der wahrscheinlich im Ungestiime des An-~
pralls zersplitterte Fahnenschaft befindet sich zwar dem An-
schein nach erst theilweise in den Handen des Kurfirsten, denn
der untere Theil wird von dem zu Boden sinkenden Fahnen-
trager noch krampfhaft mit beiden Handen gehalten. Indess ist
auf dieser Seite der Ausgang des Kampfes nicht mehr zweifel-
haft und hat der Kistler diese kihne, etwas unwahrscheinliche
Situation wohl nur gewahlt, um der Sattelfestigkeit des Kur-
fiirsten ein Kompliment zu machen und zugleich die malerische
Wirkung der Komposition zu erhéhen. Wahrend so die linke
Seile des Kurfirsten frei geworden, ist er im Begriffe, gegen
einen beriltenen Angreifer einen Hieb zu thun, den dieser pa-
rirt. Das in diesem Augenblicke von den Handen seines Len-
kers ganz befreite Ross hat einen feindlichen Reiter niederge-
ritten. Dennoch aber stirmen von rechts und hinten neue Ge-
fahren auf den Kurfiirsten ein, denen er unfehlbar erliegen
wtrde, saéhen wir nicht in der Ferne auf der freien Seite des
Bildes den Beistand nahen, der in Gestalt mehrerer Knappen eili-
gen Laufs den Htigel hinansprengt. Wenngleich der historische
Werth dieses Bildes zu seinem Umfange in keinem Verhiltnisse
steht und im Grunde das Ganze auf einen ungeheuren Kunstrei-
tercoup hinauslaéuft, so kénnen wir doch der eminenten Zeich-
nung und der trefflichen Ausfiihrung unsere Bewunderung nicht
versagen. Selten haben wir so kiihne Pferdestellungen so cor-
rect dargestellt gesehen, seJien einen Kunstler gefunden, wel-
cher die Mimik dieses edlen Thieres in héchster Gefahr griind-
licher studirt und wahrer wiederzugeben verstanden hatte. Die-
ses Bild erinnert in mancher Beziehung an die durch Horace
Vernet begriindete Schlachtenmalerei, die es sich zur Aufgabe
stellt, einzelne Ziige aus den Kampfen des Kaiserreichs zu ver-
herrlichen, und wiirde deshalb in einer historischen Galerie
seinen Platz ausfiillen, welche eine ahnliche Bestimmung hatte,
wie die franzésische Nationalgalerie von Versailles. — Ein sei-
nem Umfange nach viel kleineres, seinem kiinstlerischen Werthe
nach aber mindestens ebenso bedeutendes Bild, die Schlacht
bei der Géhrde am 16. September 1813, hat unser talentvoller
Landsmann A. Northen aus Minden in Diisseldorf geliefert,
Hier galt es nicht, die That eines chevaleresken Firsten zu
verherrlichen, sondern der Heldenthat, welche einst der begei-
sterte Schlachtensanger der Freiheitskimpfe im Liede verherr-
lichte, im Bilde einen Denkstein zu setzen. Der Kiinstler hatte
	епеп 210й 2аг Darstellung sich gewahit, wo weder stralegi-
	landschaftlichen Leben zu erfrischen, welches Kistler wie
Schirmer, Busse, Kocken, Heinlein, Morgenstern und
Andere in den verschiedensten Stimmungen zu erfassen und
	meisterhaft wiederzugeben verstanden haben.
Е. Steinle in Frankfurt a. M. hat auf dem Gebiete der
	religidsen Malerei, die wir zuerst ins Auge fassen, das einzig
Bedeutende geleistet. Seine Erweckung von Jairi’s Téchterlein
ist eine tief durchdachte Komposition, in der sich ein frommes,
mit zarter Empfindung ausgestattetes Gemiith offenbart. Chri-
stus, die Haupt- und Mittelfigur neben dem Todtenbette, auf
welcher, in weisses Leichentuch gehillt, der Koérper des dem
jungfraulichen Alter nahe stehenden Kindes liegt, ldsst einen
ernsten Gollesblick auf der Leiche ruhen, die unter dem wun-
derkraftigen Einflusse desselben und der géttlichen Berihrung
sich so eben auf ihrem Lager aufgerichtet hat. Die Erschei~
nung wird als das erste Zeichen wiederkehrenden Lebens von
dem Elternpaare zur Seite des Lagers mit freudigem Grauen
wahrgenommen, wahrend die Empfindungen der drei als Zeugen
anwesenden Jiinger im Riicken Christi mehr den Ausdruck ge-
spannter Neugier und frommen Mitgefiihls annehmen. Ein La-
cheln spielt um die Lippen der Wiedererweckten. Noch aber
sind die Ziige wie halb gebannt yon der Umarmung des Todes
und die von schwarzen Wimpern beschaiteten Augenlider ge-
schlossen. In langen Ztigen wallt das rabenschwarze Haar tiber
den Nacken herab und tragt dazu bei, den geisterbleichen Aus-
druck des Gesichts noch zu erhéhen. Wahrend der Kistler,
unserer Empfindung nach, in der Auffassung dieser Figur sich
nicht ganz von einer gewissen Sentimentalitat hat fern zu halten
gewusst, so schildert er mit desto ergreifender Wahrheit die
stirmischen Empfindungen, welche die Elternbrust beim Wie-
dererwachen des geliebien Kindes heben. Die Kérperbewe-
gungen, welche bei Beiden den Ausbruch leidenschaftlicher
Freude begleiten, sind nicht gewaltsam, sondern von stylvoll
gemessener Haltung. Nicht minder edel ist Christus gedacht,
dessen géttliche Ruhe in Geberde und Ausdruck die Handlung
centralisirt, wahrend die Figuren der drei Jiinger kein tieferes
psychologisches Moment darbieten, sondern mehr der bildlichen
Abrundung der Komposition zu dienen scheinen. Diese Dar-
stellang schliesst sich der durch Overbeck ins Leben gerufe-
nen Auffassung des religidsen Styls insofern an, als die Auf-
merksamkeit durch die méglichst andeutende, frescoartige Be-
handlung der Hintergriinde und Nebendinge auf die wenigen,
aber néthigen Figuren der Handlung im Vordergrunde concen-
trirt wird. — Der Engel des Gerichts und der Engel der Barm-
herzigkeit, von Jacobs in Gotha, trugen zu sehr das Geprage
des Weichlichen, Kastratenhaften, um feierlich zu stimmen, sind
ibrigens mit vielem Geschicke gemalt. — G. Graef in Berlin
behandelte in einem Bilde von ansehnlichen Dimensionen ein
oft besungenes alttestamentarisches Motiv von tief tragischem
Inhalte, bei dem jedoch, ungeachtet des Aufwandes vieler tech-
nischer Miltel, keine Saite unseres Mitempfindens angeklungen
ist, da die ganze Auffassung zu sehr in einer pedantisch-aka-
demischen Verstandesrichtung befangen ist, unter deren Ein-
flusse die Gefihlsausbriiche den Ausdruck eines theatralischen
Pathos unerquicklicher Weise angenommen haben: Jephtah,
Richter in Israel, nachdem er gelobt, wenn er tiber die Kin-
der Ammon siege, das Erste, was ihm aus seiner Hausthir
entgegenginge, Jehovah zu opfern, erblickt, siegreich heim-
kehrend, das Opfer in seiner einzigen Tochter. Jephtah, dar-
gestellt als eine unter der Last von Helm und Schild erdrickte,
stark im Geiste der David’schen Schule antikisirte Heldenge-
stalt, ist eben im Begriffe, die Schwelle seines Hauses zu be-
treten, als er, eingedenk seines furchtbaren Gelibdes, vor der
Umarmung seiner entgegeneilenden Tochter entsetzt zuriick-