schloss und die ganze technische Fertigkeit des Landschalters
voraussetzte. Jedenfalls hat aber Laves sie ausdriicken wollen.
— Verseizte uns Letzterer mit seinem Stromiibergange in die
Zeiten, wo die Kaiserlichen mit Feuer und Schwert in den nie-
dersichsischen Landen hausten, so ruft Frederich in seinem
Bilde: Uebergang des dsterreichischen Occupations~Corps tiber
die Elbe auf preussischen Pontons, die Erinnerung an deren
jiingsten Besuch und damit eine Menge vergleichender Betrach-
tungen wach, mit denen wir natiirlich die Leser dieses Blattes
verschonen. Das genannte Bild lasst in Zeichnung und Colorit
Vieles zu wiinschen iibrig, und diese Aufgabe hat offenbar die
Krafte des Kiinstlers weit tiberschritten. Indess tibte die Neu-
heit und Bedeutsamkeit des Ereignisses, das strategische In-
teresse, welches der Stoff fiir Manche darbot, seine Anziehungs-
kraft aus, und es verfehlle das humorislische Talent seine Wir-
kung nicht, womit der Maler in der Anbringnng moderner Wal-
lensteiniaden das Ganze mundgerecht zu machen gewusst hatte.
— B. Wittkamp in Antwerpen hat unter der Bezeichnung:
»die Geusen“, eine Episode aus dem Kriege der Niederlander
gegen die Spanier im 16. Jahrhundert obne weitere Erlauterung
gegeben. Das Bild vereinigt die Licht- und Schaitenseiten der
heuligen belgischen Malerei. Ungefahr im Centrum des figu-
renreichen Bildes erblicken wir in stark perspektivischer Ver-
kirzung einen hinter den Schanzkérben von den feindlichen
Geschossen Getroffenen, dessen schwarze Kleidung auf hohen
Rang deutet. Die Kugel traf tédtlich, denn fahle Leichenblasse
lagert bereits auf dem entstellten Antlitze. Diesem zu Haupten
die gahnende Miindung eines Kanonenlaufs und ein Schanzkorb,
beides durch ein blau-weiss-rothes Banner zum Theil verdeckt
und zu einer improvisirten Rednerbithne umgestaltet. Eine lange,
hagere Gestalt, in schwarzem pelzverbrimtem Talare, ist be-
miiht, in begeisterter Rede die Rachegeister unter den Kriegern
zu enlflammen, die in Gruppen den Gefallenen umstehen. Dass
dieses ihm gelungen ist, lesen wir in den zorneniflammten Zii-
gen der bartigen Manner und ihren leidenschaftlichen Bewe-
gungen. Nur einer von ihnen ist an die Leiche herangetreten
und half, in sinnend ernster Betrachtung versunken, die Hand
des Todten gefasst. Ungeachtet der Kinstler in dieser Scene
eine vielseitige Kenntniss von der Physiognomik der Leiden-
schaften entwickelt und mit einem grossen Zeichnentalent jenen
den Belgiern eigenen Farbensinn verbunden hat, so vermag
dieselbe doch nicht den einheitlichen Eindruck einer histori-
schen Komposition bei uns zu hinterlassen, sondern wirkt ein-
zig als dekorationsmassige Gruppirung. Wir haben hier eins
von den zahlreichen Beispielen jener von Belgien ausgegange-
nen Geschichtsmalerei vor uns, die es unter Verzichtleistung
auf tieferen historischen Gehalt vor Allem auf theatralische Ef-
fekte absieht. In den geisterhaft gegen den klaren Abendhim-
mel sich abzeichnenden Umrissen des Redners, der in einer
exallirten Telegraphenbewegung die Arme erhebt, ist jene Ten-
denz bereits auffallend betont. Am entschiedensten tritt die-
selbe aber in der selbstgefilligen Sorgfalt hervor, mit der der
Kinsler alle Mittel aufgeboten hat, die erstorbenen Gesichts—
ztige mit dem Ausdrucke des Kadaverésen zu stempeln: die
schwarze Kleidung, die Anordnung der Fahne, auf der der Kopf
ruht, die todie Hand in der lebendigen, tragen alle das Ge-
prage raffinirler Berechnung. Alle, die Gallail’s letztes Haupt-
werk: die militairischen Korporationen von Brussel erweisen
den Grafen Egmont und Horn die letzte Ehre, geschen haben,
mussen den Einfluss dieser Richtung auf die Darstellung des
Todes in Wittkamps Bilde zugeben. — Ungleich ergreifender
wirken die durch eine gliickliche landschaflliche Slinmung ge-
tragenen psychologischen Gegensilze in dem mehr genrehaft
behandelten Bilde Wittkamp’s: Johann Parricida, Herzog von

 

 
	Schwaben, nach der Ermordung Kaiser Albrecht’s I. Der flie-
hende Morder ist dargestellt, wie er der Fihrung cines kleinen
Bauermaidchens auf verschneitem Gebirgspfade folgt. Im Hin-
tergrunde schwirrt leisen Flugs eine gespenstige Eule, die Ra-
cherin heimlicher Unthat andeutend durch die Scene, wahrend
in der Seele des Mérders das bése Gewissen scheu emporbebt
vor dem Heulen des Sturmwinds: Ein ergreifender Gegensatz
zu der kindlichen Unschuld in den Ziigen der kleinen Fihrerin,
die mit stummer Frage tiber den Grund der entsetzlichen See-
lenangst sich nach dem Fremdlinge umschaut. Die Gelungen-
heit in der Schilderung der Scelenstimmungen und deren Bezie-
hungen zu der ztirnenden Natur, sowie eine meisterhafte Har-
monie der Farbe machten dieses Effektbild zu einem der уог-
ziiglichsten der Ausstellung. — A. Schmitz in Frankfurt a. M.
zeigte in seinem Bilde: , Bertha, Gemahlin Kaiser Heinrichs IV.,
bittet den Papst Gregor VII. im Schlosse Canossa um Gnade fir
ihren biissenden Gemahl*, eine gewisse Affektation des Aus-
drucks und der Bewegung, und L. Tiersch in Minchen liess
uns durch die Interesselosigkeit seiner Scene aus dem fran-
zésischen Religionskriege kalt. — W. Volkhart in Dissel-
dorf offenbarte in einer Scene aus dem Bauernkriege: ,, Die
Grafin Helfenstein biltet vergeblich um das Leben ihres Ge-
mahls“, ein tiichtiges historisches Talent und ein lebendiges
Darstellungsvermogen. Die mannlichen Charakterképfe sind wahr
und treffend gezeichnet, die Weiber weniger gelungen im Aus-
drucke des leidenschaftlichen Schmerzes. (Fortsetzung folet.)
	Die neue Orgelstellung im Minster zu Ulm.
	In unserem friheren Artikel tiber die Restauration des
Miinslers zu Ulm (No. 42 d. BI. vom vor. Jahre) haben wir uns
ein Urtheil iiber den, von der Restaurations - Aufgabe getrennten
Orgelbau deshalb noch vorbehalten, weil wir damals beabsich-
tigten, uns tiber diesen Gegenstand erst dann zu dussern, wenn
das Werk seiner Vollendung naher geriickt sein werde. Da
nun aber dieser Zeitpunkt nach 6ffentlicher Mittheilung aber-
mals in die Ferne gertickt wurde, wahrend dem der Bau doch
grosses Interesse aller Orten in Anspruch nimmt, glauben wir
mit der Veréffentlichung unserer Kritik um so weniger noch
linger zuriickhalten zu sollen, als es dem kunstverstindigen
Publikum gegentiber nicht absolut nothwendig ist, jenen Zeit-
punkt abzuwarten; vielmehr darf angenommen werden, dass
das geistige Auge des Sachversténdigen den Gegenstand in
seinen wesentlichsten Beziehungen zu erfassen und deshalb
schon geniigend zu beurtheilen verstehe, wenn es denselben
	auch nur nach seinen Grundlagen Kennt.
Um gleich von vorn herein den Standpunkt zu bezeichnen,
	von welchem aus wir den fragiichen Orgelbau betrachten, be-
rufen wir uns auf Kugler’s Pommer’sche Kunstgeschichte, wo
der Verfasser S. 62 sehr treffend sagt: ,Als eine sehr gross-
artige und schéne Anordnung aber, die mit dem Beginn des
vierzehnten Jahrhunderts erscheint und fortan in den pommer-
schen Kirchenbauten, bis auf wenig einzelne Ausnahmen, bei-

behalten wird, ist dic Hinrichtung zu Dbezeichnen, dass die
Thirme nicht mehr als isolirte Bautheile an die Kirchen anlehnen,
sondern sich im hohen Bogen gegen das Innere 6ffnén, dass
solchergestalt cine weite Vorhalle des inneren Raumes vor-
handen ist, die auf verschiedene Weise (je nachdem Ein Thurm
oder zwei Thiirme angebracht sind) mil dem Mittelschiff sowohl,
wie zumeist auch mil den Seilenschiffen in Verbindung stehi.

Leider wird diese Halle gegenwirtig meist tiberall durch die
	Orgelbauten ausgefullt, so dass thre Wirkung fur das Innere
verloren gcht.“ Was Kugler, bekannllich eine der ersten Auto-