rilaten in Sachen der Kunst, hier in Beziehung auf Orgelbauten ganz im Allgemeinen bemerkte, das findet nun leider seine voliste Anwendung auf den dermaligen Bau der Orgel zu Ulm, denn, weit enlfernt, dem Minster, diesem grossartigsten Repra- sentanien der Bauperiode des vierzchnten Jahrhunderts, bei der jetzt vorhandenen gtinstigen Gelegenheit des Abbruchs der alten und der Erbauung einer neuen Orgel sein urspriingliches Recht wiederum angedeihen zu lassen, werden hier noch gréssere Sinden begangen, als man sich je zuvor, ja selbst in der schlimmsten Periode der Bauzeit, erlaubt hat. Wir wollen je~ doch unsere, sowohl auf eigene Anschauung, als auf die Bau- -geschichte des Mimsters, so wie auf die tiber den neuen Orgel- bau verdéffenllichten Berichte und Zeichnungen gestiilzte Anklage mit Griinden belegen. Durch die kihnere Ausbildung der Gewélbe -Construction wurde es méglich, die Kirchenschiffe breiter und héher zu fiihren, was zur natiirlichen Folge hatte, dass man ihnen auch eine grissere Linge verleihen konnte. Gerade die Grossartig- keit des Ulmer Minsters in dieser Bezichung, namentlich die schéne Verbindung seiner Thurmhalle nicht nur mit dem Mittel- sondern auch mit den Seitenschiffen — jener wesentlichen Ab- weichung des germanischen yom romanischen Baustyle — machten es zu dem wiirdigsten Zeugen jener Kunstperiode: der Thurm war nicht nur integrirender Theil der Kirche, sondern sogar des Mittelschiffes, dem hier auf diese Weise das schéne Ver- haltniss geworden, dass seine Breite ungefahr dreimal in der Hohe und sechsmal in der Linge aufging, welche Anordnung mit dem dreifach getheilten Facade-Eingang und den sechs- seitigen Pfeilern des Mittelschiffes sinnreich harmonirt. Es war dies eine Eigenthiimlichkeit, die vermége ihrer grossartigen Verhaltnisse tiber alle alteren und neueren Bauten weit hervor- ragte, und die selbst in jener Zeit, in welcher die gothische Baukunst ganzlich verkannt war, und welche Zeit wir mit einem gewissen Stolze ,die Zopfzeil* nennen, noch richtig gefaihlt wurde, wie aus einer, damals im Druck erschienenen Miinster- Beschreibung (E. Friks Beschreibung des Minster -Gebdudes, Ulm, 1718 8.10) zu ersehen ist, wo es wortlich heissi: Es ist aber dieser gewaltige Bau also angelegt worden, dass die Kirche sollte bestehen aus dreyen an einander geschlossenen Gewdlbern, doch dass das Mittlere noch so hoch als die beyde Seiten-Gewdlber wirde, selbiges auch durch den untern grossen Thurm durchgienge, oben aber der Chor in gleicher Breite an das mittlere Gewodlb stosse, und zwar héher wiirde, als die Seiten-Gewdlber, doch nicht so hoch, als das mittlere.* Und weiter S. 43: ,Da unter dem Thurm das grosse 141 / Schuh hohe Gewélbe durchgeht, so seye von selbst zu begreifen , dass der Thurm bis dahin als mit zu der Kirchen selbst gehdrend, gerechnet und geachtet werde.* Wenn auch zu Ende des finf- zehnten Jahrhunderts der Thurm auf seinen Seiten unterfahren, und damit die unmittelbare Verbindung der Thurmhalle mit den Seitenschiffen unterbrochen werden musste, so blieb doch noch immer die Vereinigung mit dem Mittelschiffe ungestért, und selbst damals, zur Zopfzeit, als man die vordere oder 6stliche Halfte der Thurmhalle mit der Orgel tiberbaute, zeigte sich we- nigstens noch so viel Riicksicht oder Kunstgefihl fiir die Grund- anlage und Eigenthiimlichkeit des Ulmer Minsterbaues, dass man nicht gerade alle Spuren der urspringlichen Anordnung verwischen, sondern doch noch eine, die westliche Halfle der Thurmhalle, offen belassen und damit auf den unter dem Portal eintretenden Beschauer einige Wirkung hervorzubringen suchte, So wurde durch diesen — immerhin bedauerlichen — Einbau, der bei dem spateren Erwachen eines besseren Kunstgefihls stets als ein ,unorganischer* und ,,widriger geschildert, und dessen Entfernung dringend gewinscht wurde, zwar wohl der Blick auf die lange, schone Gewolbe -Perspective unlerbrochen und das von dem Portalfenster ins Innere fallende Licht, so wie umgekehrt der Anblick auf das schiéne Fenster yon Innen her, geschmilert, aber es ging doch noch nicht alles verloren, was geeignet war einen grossartigen Eindruck hervorzubringen. Unter solechen Umstanden sollte man es wahrhaft als ein Ghick betrachten, dass der auf angebliche Baufilligkeit des Orgelwerks und dadurch herbeigefihrte, immer dringendere Nothwendigkeit einer durchgreifenden Reparatur der Orgel ge- stiitzte Beschluss der Errichtung einer neuen Orgel endlich der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Gelegenheit bot, nicht nur diesen, die innere Schénheit des Gebaudes schandenden Bau zu entfernen, sondern auch dem Minster zu dem ihm so lange entzogenem Rechle wieder zu verhelfen. Wir nennen es ein Gliick, dass der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vor- behalten war, einen Neubau zu unternchmen; denn wahrend der Kunstfreund bis dahin besonderen Hoffnungen eines besseren Zuslandes sich nicht hingeben konmte, ware man im Uebrigen schon mit einer efwas umfassenden Ausbesserung der vorhan- denen Orgel ‘und ihres Unterbaues zufrieden gewesen. Aber es sollle leider anders, es sollte noch schlimmer kommen, als es bereits vorher war! Oeffentliche Blailter liessen es zwar an Ermahnungen zu wirdiger Auffassung der neuen Aufgabe, so wie auch an Aufzihlung warnender Vorgange nicht fehlen, so namentlich die Kélnische Zeitung 1846 No. 183; dic Allgemeine Zeitung 1846 No. 299; das Evangelische Kirchen- blatt 1846 No. 47; der Schwabische Merkur 1848 No. 5; das Kunstblatt 1848 No. 14; das Ulmische Intelligenz-Blalt 1848 No. 72 u. 73 und die Ulmer Zeitung 1850 No. 87. Insbesondere sagle ein bekannter Kunstkenner in einem eigens dieser An- gelegenheit gewidmeten Schreiben im Evangelischen Kirchen- blatt a.a.O.: ,Ein Neubau der Orgel ist beschlossen und die Zeit ist erfillt, da Thurmhalle und Portalfenster in ihre Rechte eingesetzt werden kénnen.* Doch alle diese Stimmen verhallten, wenn auch nicht посевом, doch unbeachtet! — Wir wollen es daher versuchen, die Geschichte dieses Neubaues, die gewiss fir die Mit- wie fiir die Nachwelt von Interesse ist, in még- lichsler Kirze zu schreiben, miissen aber zum Voraus bemerken, dass wir bei unserer Beurtheilung nicht sowohi das Archilek- tonische oder das Decoralive des Neubaues fiir sich und an sich, als vielmehr sein Verhaltniss zum Ganzen im Auge haben, und dass wir den betreffenden Personen gegentiber unserer Darstellung tberhaupt nur einen rein objectiven Standpunkt zu Grunde legen. Nachdem die tiber das Minster zunachst geseltzte Verwal- tungs-Behorde, der Stiftungs-Rath in Ulm, den Beschluss ge- fasst Ване, eine ganz neue Orgel erbauen zu lassen (im Jahr 1843), betrante er den damals von ihm als Miinster- Baumeister angestelten Kénigl. Professor J. M. Mauch in Stuttgart mit der Aufgabe, eine dem Gebdude ,wiirdige* Stellung der Orgel auf- zufinden. Dieser stellte hierauf den Antrag, die neue Orgel an die innere Seite der westlichen Portalwand, welche bei einer Breite von 48 Fuss, eine Héhe von 90 Fuss unter der Sohlbank des Portalfensters hat, zuriickzustellen, so dass das Manual unter diesem Fenster und die Orgelfligel zu den Seiten des- selben sich aufbauten; der Orgelbalkon, ca. 30 Fuss hoch, wiirde sich an den beiden Seiten-Mauern der Thurmhalle bis gegen den mehrere Fuss vorspringenden Scheidebogen yortragen und so die drei geschlossenen Seiten der Thurmhalle, finf Acht- eckseiten bildend, umziehen. Die Windkasten sollten in die Hallen der Seitenschiffe versetzi werden. Das Ganze, auf schlan- ken Saulen von Gusseisen und leichtem Gebalke ruhend — die Bentitzung des Thurmzugloches fortan gestatlend — wiirde so- nach den Blick tiber das Innere beim ersten Schritt durchs Por- 46%