152 Diisseldorf sagen. In einem miltelalterlich dekoririen Gemache sitzt auf weichem Polster die lebensmiide alte Mutter, an der cin Knabe sich schmiegt. Ihr gegeniiber ein siltsames, junges Weib, aus einer allen Chronik vorlesend. Durch das gedffnete Fenster hat man den Blick auf den Chor einer Abtei und den Kirchhof. Ein Geist des Friedens und der Festlagstimmung durchwehen das suille Gemach. — Das Portrait trat, wie gewoéhnlich auf der hannoverschen Kunstausstellung, mit numerischer Bescheidenheit aut. Unter den vorhandenen erwarben sich das lebensgrosse Portrait eines héheren Forstbeamten und zwei kleinere Familienportraits von C. Oesterley in Hannover durch eleganten Vortrag und spre- chende Aehnlichkeit grossen Beifall. Letztere halten wir etwas frischer und klarer im Tone gewiinscht. Gleiche Anerkennung wurde zwei lebensgrossen mannlichen Portraits von G. Berg- mann in Hildesheim zu Theil, von denen das Eine den Ober- Arzt der dortigen Irrenheilanstalt in seinem Arbeitskabinet, das Andere einen Lehrer im Taubstummeninstilut daselbst vorstellen soll. Indem sich in diesen Bildern, besonders dem lelzteren, liefere geistige Momente reflektiren, haben sie ebensowohl ein allgemein psychologisches wie persdnliches Interesse. Dieses lisst sich von den Portraits nicht sagen, die wir von L. Blanc in Berlin aus Diisseldorf auf der Ausstellung sahen. In diesen fanden wir die legitime Alllagsrichtung der Portraitmalerei ver- ireten, welche sich mit einer korrekten, méglichst sauberen Abschrift der Ziige begniigt, Alle, denen dieses das Endziel der Portraitirkunst ist — und leider ist dieses in Familienkrei- sen meistens der Fall —, mussten durch Blanc’s Portraits héch- lich angesprochen werden, zumal da er durch eine genrehafte Inscenesetzung derselben, eine miniaturhafte Ausfihrung der Stoffe und eine porzellanartige Klarheit der Carnation Manche zu bestechen wusste. A. Dankworth in Celle legte mit sei- nem Portrait eines alten Mannes ein lebendiges Auffassungs— und Darstellungsvermégen an den Tag, und auch von C. Dolitsch in Hannover sahen wir im Ganzen gute, wiewohl etwas haus- backene Portraits. Schon oben fanden wir Veranlassung hervorzuheben, dass die Landschaftsmaler, zu deren Besprechung wir uns jetzt wenden, den gehaltreichsten Beitrag zur diessjihrigen Ausstel- lung lieferten. Die moderne Landschaftsmalerei bildet iberhaupt insofern den interessantesten Abschuitt der deutschen Kunstaus- stellungen, als sich in ihr-die nationalen Elemente am Gesun- desten und Urspriinglichsten spiegeln und die Landschaftsmalerei der Quell ist, aus dem wir die Aufschliisse iiber das germa- nische Gemtithsleben in der Kunst am Reinsten und Unverfalsch- testen schopfen. : Obenan in dem Streben nach idealer Harmonie und _ styli- stischem Gehalte der landschaftlichen Composition steht C. Mor- genstern in Manchen mit seiner ,,Partie am Fusse der bairi- schen Alpen bei Murnau“. Hs ist ein Herbsttag, die Sonne neigt zum Untergange und vergoldet mit schrag einfallenden Strahlen ein spirlich gewaldetes, linienreiches Terrain, das sich teras- senformig in die blaue Ferne und die Wolkenbildungen verliert. Unmittelbar vor uns haben wir den Blick in das trockene, viel- fach zerrissene Bett eines zu winziger Kleinheit zusammenge- schrumpften Gebirgswassers. Eine herbstliche Diirre und Trok- kenheit Jagert auf der Vegetation, so dass man im ersten Au- genblicke sich unter einen siidlichen Himmel versetzt wahnt. Die landschaftlichen Umrisse, organischen Formen, Luft und Farbe, oder, was dasselbe sagen will, Gedanken und Empfin- dung verleihen dieser Composition einen inneren Rhythmus, eine Abrundung und Geschlossenheit, die als eine Welt fir sich auf uns einwirkte. Indem hier der Kiinstler die einscitige Betonung eines Moments oder einer Slimmung médglichst von der Hand auf leicht bewegtem Wasserspiegel, ist sogar mit einer, Tizian nicht unahnlichen Virtuositat gemalt. Eine verwandte Richtung vertreten ,,zwei Madchen“ von C. Becker in Berlin, von de- nen die Eine, eine ippige Blondine, augenscheinlich im Begriffe war, einen Liebesbrief zu schreiben, wahrend thre Freundin, tiber die Lehne des Sessels gebeugt, auf nahende Fusstritte auf- merksam macht. Das Bild ist mit grosser Geschicklichkeil ge- malt. — Die ,,Nymphe,, von F. Diirk in Miinchen ist eine halbnackte Weibergestalt von schénster Carnation, mit einem Kranze in dem reichen Haare, und ,,ein alter Mann, in einem Buche lesend“ von Klemme in Hannover nach einem guten Modele gewandt gemalt und wirkungsreich beleuchtet. Achnli- ches enthalt ,,des Malers Erholung“ von demselben. Auch »Hery de Gise“ von G. A. Schmidt in Hannover, ein schmuk- ker Ritter in cinem alterthimlichen Gemache besieht das Me- daillon der Geliebien, ist von glicklicher Farbenstimmung. Die handwerksmassige Dekorationsmalerei endlich hatte ih- ren Vertreter in einem ,, Kostiimbilde“ von Handwerk in Cassel, einem Schiiler Nahl’s. Eine reich geputzte Dame ist am Fenster mit Malen beschaftigt. Auf der Fensterbriistung liegt ein Pfauen- facher neben einem Leopardenfelle, Citronen, Messer u. dergl. An dem steinernen Fensterrahmen sitzen Schmetterlinge und Goldkafer. Der Mann hat seinen Gegenstand zn wahlen ver- standen! Das an Motiven reiche Kinder-, Familien- und Feiertags- leben hatte seine zahlreichen Vertreter gefunden. Da waren Kinder von Embde in Cassel, deren Machwerk nachgerade elwas schablonenmissig ausfallt, sodann zwei sinnig zarte Bilder von J. G. Meyer von Bremen .in Berlin: ,,Die schlafenden Kinder “ und ,,das erste Laicheln“, letzteres besonders sauber. Ferner ,,ein Familienbild“ yon H. ten Kate in Amsterdam, der Unterricht der Grossmutter“ von F. Kehls in Diisseldorf, » die Erwartung“ yon J. Eberhardt in Miinchen: Eine Frau im Kosttime des Mittelalters, so eine Art Elisabeth von Berlichin- gen, harrt, umgeben von ihren Kindern, des heimkehrenden Gemals. Man hat den Blick aus einem Zimmer der Burg uber eine romantische Gegend. Das Ganze ist poetisch im Geiste des Mittelalters empfunden und schén beleuchtet, aber wenig ausge- fiihrt. — Sodann von F. Wischebrink in Diisseldorf ,, die beiden Freunde “, ein kleines Kind theilt mit einem Hunde sei- nen Mehlbrei und ,,héiusliches Glick“, ein Bauernpaar erfreut sich an seinem in der Wiege ruhenden Kinde. In beiden Bildern der Widerschein einer sinnigen Gemithsrichtung. Endlich zwei » Sonntag Nachmiliage“ und ein ,,Feiertag“, drei Bilder, in denen mehr Gehalt und Ausfithrung, als man fast in den fabrik- massigen Darstellungen dieser Gattung anzutreffen gewohnt ist. H. Baethke in Miinchen fiihrt uns mit seinem Sonntag Nach- mitlage in ein Gebirgsdorf. Ein bliihendes Bauerweib sitzt auf dem Séller ihres Hauses, neben ihr ruht in der Wiege ihr schlafendes Kind. Sie ist mit Lesen und Stricken beschaftigt und ldsst den sorgsamen Blick socben auf dem kleinen Schlafer ruhen. Ueber die von Blumen und Weinlaub umrankte Veranda weg dffnet sich der Blick auf eine romantische Gebirgslandschaft mit einem Kirchdorfe. Schrag einfallende Sonnenstrahlen vergol- den hie und da Blatter und Kleider. — Auf dem anderen Sonn- tag Nachmittage von A. Breitenstein in Disseldorf thun wir einen Blick in ein, yon Gebauden und Planken umschlossenes landliches Gehéft. Vor einem Hause auf einem alten Baum- stamme silzen ein alter und ein junger Bauer im Gesprach, das Mitterchen daneben ist eben eingenickt. Auf der Treppe der Hausthir erblicken wir Burschen und Dirnen im Gespriche. Ueber die Planke weg das Dorf und waldige Higel. Das Bild ist reich an warmer Nachmiltagsstimmung und trefflich gemalt, Gleiches lasst sich itber den ,,Feierlag“ von А. Siegert in