KRuoliblart. Organ der deutschen Kunstvereine. a4eitung fiir bildende Kunst und Baukunst. Unter Mitwirkung yon Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldorf — Schnaase in Berlin — Férster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien herausgegeben von Dr. ЕР. Hegers in Berlin. Sonnabend, den 21. Mai. Inhalt: Johann Schraudolphs neueste Zeichnungen fir den Dom zu Speier. E. Fiérster. — Die Triumphpforte des Kaisers Maximilian von Albrecht Diirer. Sendschreiben an Hrn. R. Weigel von J. M. Thiele. — Kunstliteratur. Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte von Fr. Kugler. уу. Libke. — Zeitung. Berlin. Miinchen. Wien. Antwerpen. — Kunstvereine. Das 25jahrige Jubilium des Kunstvereins zu Halberstadt. — Kunstanzeige. lemik ins Leben rufen. Ein solcher Kunstler ist Joh, Schrau- dolph, eines Bauern Sohn aus dem Algaéu, aufgewachsen in den Schranken einer strengkatholischen Bildung, die zu tber- schreiten er nie das Bediirfniss geftihlt, dabei ausgeriistet mit einem grossen Talent, mit welchem er aber nicht im Bereich der Nachahmung alter Formen stehen geblieben, sondern das er in Uebereinstinmung mit dem Styl der Neuen deutschen Kunst, allerdings in ihrer strengen Weise, ausgebildet hat. Beauftragt noch von Konig Ludwig mit der Ausmalung des Speirer Domes ist er gegenwartig unter den Auspicien des Кб- nigs Max, der das Werk auf seinen Elat tibernommen, dabei, die letzte Hand daran zu legen. Es sind die Bilder des Mittel- schiffes, deren Reihenfolge allein noch zu vervollstandigen ist und fir diese hat Schraudolph im Laufe des verflossnen Win- ters die Zeichnungen gemacht. Die Gegenstinde sind theils aus dem Alten, theils aus dem Neuen Testament genommen und ftir Maria ist auch die Legende herbeigezogen. Dass bei der Ver- lreibung aus dem Paradiese die ersten Acltern bereits in dicke Schafspelze gekleidet sind, kénnte fast als cine Reflexionspoesie betrachtet werden, wenn nicht grade in solcher geistlichen Vor- sorge gegen fleischliche Versuchung cine grosse Naivetat sich kund gabe. Die Darstellung tibrigens gehdrt nicht zu den gliick- lichen, wie auch einige andere, z. B. das Opfer Noahs, das Ge- sicht Mosis vor Gott im feurigen Busch, ausser der schénen Anordnung und Zeichnung nichts besonders Auffallendes haben. Entschieden aber tritt der Kiinstler in den Kreis eigenthtimlicher theologischer Anschauungen ein, wo es darauf ankommt, das Alle und Neue Testament in unmittclbarer Verbindung zu zci- gen, namentlich den Worten der Propheten eine sinulich wahr- nehmbare Auslegung zu geben. Zunichst ist es der 110. Psalm : Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rech- ten bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Fiisse lege,“ in welchem —— auf die Autoritét von Christus selbst — (nach Ма!- thaus 22, 44) mit dem zweiten ,, Herr“ der Messias, also Chri- stus gemeint, und somit der Blick in eine mehr als tausendjah- rige Zukunft von David gethan ist. Die Dunkelheit in der Sprache des Psalmisten hat der Kinstter mit Hilfe unsrer Theologen zer- slreut und den heiligen, kéniglichen Sanger dargestellt, mit der Harfe an der Vorhalle seines Palastes knieend vor einer Vision, 91 Johann Schraudolph’s neueste Zeichnungen fir den Dom zu Speier. Die christlich -religidse Kunst in unsern Tagen ist nur in zwei Richtungen denkbar: ihre Meister sind von der Strémung der Zeit, die am fihlbarsten in der deutschen Literatur von Lessing an sich kund gibt, entweder berithrt, oder sie sind es nicht. Der diese unsere Literatur belebende Geist ist kein un- bedingt christlicher, wenigstens kein kirchlicher und gilt dess- Ва Vielen als ein unchristlicher. Die christliche Kunst, die sein Hauch getroffen, wird sich entweder mit ihm zu verséhnen suchen und stellt sich dann leicht ausserhalb der Kirche; oder sie tritt ihm friedlich entgegen und sucht mit den Bildern ihres Glaubens seine Lehren zu entkraften. In keinem dieser beiden Fale ist ihr Wirken unbefangen frei. Ihre Werke sind nicht unmittelbar aus der Empfindung hervorgegangen, sondern Kin- der der Reflexion. ,Es gibt so viele gottlose Menschen,* sagt sie, ,,die nicht mehr an den Teufel glauben; denen wollen wir ihn an die Wand malen!“ Ein solcher Teufel wird nun zwar Niemanden holen, aber wer statt seiner einen blossen Gegen- stand der Versuchung, oder die Stinde in allegorischer Gestalt neben den Versuchten stellen wollte, ware zugleich unverstan- den und kalt. Dennoch ist hier allein, d. h. im Kampf oder in der Uebereinstimmung mit dem Genius des Jahrhunderis, der Weg aufgethan fir die religiédse Kunst in ihrer freien Entwicke- lung. Wohl aber geht daneben ein anderer hin, und auf dem- selben auch hier und da ein Kinstler, dem das, was er von Ju- gend auf in der Schule gelernt und gcehért hat, von Adam und Eva, und den Wundern der Speisung und von dem Geheimniss der Wandlung oder der unbefleckten Empfangniss , so natiirlich ist, wie die Geschichte seiner Aeltern, oder das Wunder vom Wachsthum einer griinen Pflanze aus einem scheinbar trocknen und todten Korn. Es ist nun gleichgillig, ob man den Stand- punkt ешез solchen Kinstlers fiir richtig halt oder nicht, ihm Wirksamkeit zutraut oder nicht: er hat jedenfalls den Vorzug unmittelbarer Darstellungsgabe vor denen voraus, die ihre Ge- stalten nur mit dem Zauberspruch der Philosophie oder der Po- IV. Jahreang. Е