Kul tblat.
	Organ
der deutschen Kunstvereine.
	ewmiches
	Zeitung
fiir bildende Kunst und Baukunst,
		Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldorf — Schnaase
		in Berlin — FOrster in Munchen —
	E.itelberger v. Edelberg in Wien
	herausgegeben von Dr. F. Eggers in Berlin.
	Sonnabend.
	den 4. Juni.
	Anhalt: Das Urtheil Salomons, Oelgemilde von Franz Schubert. W. Liibke. — Ein Besuch in Deger’s Werkstatt. A. y. E. — Martino da Udine.
	Aus ungedruckten Beitragen zur Kunstgeschichte von E. Harzen, —
	Prachtwerk. Album Sr. Maj. des Kénigs Ludwig I. von Bayern,” herausge-
	geben von Piloty & Loehle. F.E. — Zeitung. Berlin. Miinchen. Bremen. Dublin. — Kunstvereine. Kunstverein zu Munchen.
	Beiblatt. Ег@агиие gegen den Linkischen Bericht tiber die Leipziger Versteigerung am 19. Marz d. J. von Dr. W. Ackermann, Prof. —
Lithographie, Luther auf dem Reichstage zu Worms am XVIII. April MDXXI Oelgemilde yon E. Jacobs, auf Stein gez. von C. Clauder, Е. Е. —
	Kunstanzeicen.
	Bticher- und Zeitschriftenschau.
	Zeitung. Karlsruhe. Schleswig. Stockholm. — Veremssitzungen. —
	Das Urtheil Salomons,.Oelzemalde von Franz Scnubert.
	Kin schonerer Stoff, die Gerechtigkeit und Weisheit dar-
zustellen, mag nicht leicht gefunden werden, als jener ein-
fache Vorgang, den uns die heilige Schrift im ersten Buch der
Kénige mit ihrer schlichten Erzahlung so ergreifend vor die
Seele fiihrt. Ist es doch die Mutterliebe, die in ihrem heilig-
sten Besitzthum gekrinkte, welche durch den Ausspruch des
gotterleuchteten Kénigs in ihre ewigen Rechle wieder eingeseizt
wird. Daher das tiefe, rein menschliche Interesse, welches man
dieser Schilderung nie versagen wird; daher auch die oft wie-
derhglten Versuche der Kiinstler, den Vorgang durch bildliche
Darstellung zu verewigen. Es ist einer von jenen Stoffen, die
nicht zu erschdpfen, denen immer neue Seiten abzugewinnen
sind, die weder veralten noch erkalten. Die Weisheit des
Richters, die liebende Angst der rechten Mutter, der trotzige
Gleichmuth der falschen, das Staunen der Umstehenden, — wel-
cher Reichthum von Motiven, von wirkungsvollen Gegensatzen,
und dazu, welch’ ungebrochne, ungemischte, der bildenden
Kunst Ausserst. vortheilhafte Einfachheit der Empfindungen!

Eben diesen Gegenstand wahlte man denn auch zur Aus-
schmiickung des Schwurgerichts- und Stande-Saales in Des-
sau, und Franz Schubert erhielt den Auftrag, das Bild fir
seine Vaterstadt zu шей. Ез 151 121 Е. breit und 7} F. hoch
In der Mitte auf einem um einige Stufen erhéhten Thron, zu
dessen Seiten zwei goldene Léwen ruhen, sitzt der noch ju-
gendliche Kénig. Lichtbraune Locken umwallen sein Haupt,
auf welchem die Krone glanzt. Die kraftige Jinglingsgestalt
umhiillt ein blaues, goldgeséumtes Gewand, uber welches der
rothe, edelsteingeschmickte, goldverbramte Mantel sich breitet,
Die lebhafte Bewegung hat den Mantel auf die Seite gleiten
lassen; denn wahrend die Linke ruhig das Scepter hilt, weist
nach der Gruppe, die zur Rechten des Thrones den Vorgrund
fiillt, gebictend die Rechte hin, um dem Henker Ejnhalt zu thun.
Dieser, eine blihend kraftige, halb nackte, halb von einem
- Schurz umhiillte Mannesgestalt, hat eben mit dem Schwerte aus-
ТУ. dahrgang.
	geholt, um an dem lebenden Knaben, den seine Linke empor-
halt, den Urtheilsspruch des Kénigs zu vollzichen. Die Mutter
aber, die knieend ihre Sache yor den Thron gebracht hat, ist
in jaher Seitenbewegung dem Vollstrecker des harten Befehls
in den Arm gefallen und deutet mit angsterfillter Geberde nach
ihrer Gegnerin hin: ,.Ach, mein Herr, gebet ihr das Kind le-
bendig und tédtet es nicht“, So ist also die gerechte Sache schon
entschieden, und die vorgebliche Mutter, getroffen von der Gewall
der Wahrheit und dem cignen Schuldbewusstsein, ist riicklings
zu Boden gestirzt, Entsetzen im bleichen Angesicht. Das blass~
bionde Haar, das in tippiger Verwirrung sich gelést hat, das
fahle Gewand, das halbgedffnet den Kérper umfliesst, verstarkt
noch den unheimlichen Ausdruck der starren Ziige. Es ist ein
ergreifendes Bild der zu Boden geworfenen Liige. Zwischen
beiden Frauen liegt am Boden das gestorbene Kind, von blau-
lichen Schatten des Todes iiberhaucht. Hinter der falschen
Mutter sitzt auf einem Schemel ein junger Schreiber, einen
Griffel in der Rechlen, auf dem Schoss einen Pergamentstreifen
entrollend, in welchem er die richterlichen Spriiche des Konigs
yverzeichnen soll. Sein jugendliches Gesicht wendet sich mit
dem Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit, in welche sich Stau-
nen mischt, nach diesem hin, als wolle er die Worte ihm von
den Lippen lesen. Mehrere zuschauende Aelteste, die nach
dieser Seite die Scene schliessen, sprecken in lebendiger Ueber~
einstimmung mit ihren Charakteren den Antheil aus, den ihnen
der Vorgang einflésst. Der vordere begleitet das ehrfurchis-
volle Staunen seines Gesichts durch ein Ueberraschung ausdriik-
kendes Ausstrecken seiner Rechten; der folgende, ein scharf-
sinniger Kopf, wagt bei sich mit emporgehobenem Zeigefinger
der an die Brust gedriickten Hand die gltickliche Klugheit des
Urtheils; ein andrer vertritt mehr die Empfindung stummer,
glaubig hinnehmender Bewunderung, wahrend der vierte wi!
leuchtendem Blick und aufgehobener Rechten nach Oben, dem
Quell aller menschlichen Weisheit, deutet.

Diese Composition, klar und tbersichtlich in der Anord-
nung wie sie ist, tnd einfach wie eine ernstere historische
	  Auffassung des Gegenstandes sie heischte, zeichnel sich zu-
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