Erstes Sonderheft.




DER ARARAT




Glossen, Skizzen und Notizen zur neuen Kunst


Zur Zeit der ungarischen Räterepublik durch zogen gefährliche Matrosen, das Bajonett gefällt, die Straßen Budapests und riefen in rhythmischen Abständen zu den Wohnungen der Reichen hinauf: „Zittre Bourgeois , Ein hundertfältiges „Zittre
Bourgeois ist das Werk George Grosz!
Was hier an den Wänden der Aus
stellung in Form und Farbe, Stoff und Inhalt exzediert, schrei
end und speiend, drohend und um sich
schlagend, ejakulierend und verwesend, taumelnd und ver
reckend: ist das Kunst oder demagogisches Manifest eines wütenden Spartakisten? Unbedingt beides.
Aber heute, wo das Stoffliche und In
haltliche dieser Bilder mit aufpeitschender
Aktualität wirkt, steht zu befürchten, daß man über Stoff und Gesinnung die künstlerische Gestaltung vergißt. Der Abstand vom reinen l’art pour l’art kann freilich nicht größer
An Oskar Panizza
(Sammlung Kintzhoff Wiesbaden)
genommen werden. Das, was man außerästhe tische Faktoren nennt vor. Haßgeborenes will Haß gebären, die Verachtung will den Insult des Ver
achteten. Aus der Dämonie des Has ses steigt die haar sträubende, in Ver
wesungsfarben schil
lernde Vision einer Menschheitszerset
zung auf. Sie um faßt alles Abscheu liehe, Verworfene, Verlogene , Geile, Mörderische, Gott verlassene, Natur
fremde, das in den
Eingeweiden der
Großstadt denProzeß der Fäulnis herbei
führt. Hier wird mit einem uns nichts er
sparenden Verismus registriert und kon
statiert, freilich nicht „objektiv , wie es die harmlosen Naturalisten vom Ende des 19. Jahrhunderts meinten, son
dern tendenziös, anklagend, nicht pathetisch, sondern satyrisch, im Geiste Juvenals, Petronius


George Grosz.