da sich keine solche finden: aber wir fragen nach der allerge-
wohnlichsten Wahrscheinlichkeit. Wie soll ein Land, dessen
Kunst- und Bauthatigkeit, so interessant auch immer, doch nur
winzig und unbedeutend im Vergleich mit der Englands ist; das
nur eine einzige hervorragende Cathedrale hervorgebracht hat,
wahrend England deren Dutzende besitzt: — wie soll ein sol-
ches Land die Wiege und der Heerd der mittelalterlichen Bau-
kunst gewesen sein! Die kurze Glanzzcit, welche der norwe-
gischen Architektur bestimmt war und die sich auf das XIII.
und den Beginn des XIV. Jairhunderls zu beschranken scheint,
nimmt den Verf. selbst Wunder. Betrachtet man sie aber als
das, was sie ohne Zweifel war, als eine fremdher auf diesen
Boden verpflanzte Blithe, so ist ihr schnelles Hinwelken leicht
erklarlich.

Was uns ferner zum Beweise grosser Bauthatigkeit und
baulichen Einflusses der Norweger mitgetheilt wird, schrumpft
bei naherer Betrachtung gar sehr zusammen. Die beiden ein-
zigen norwegischen Meister, die Hr. v. M. (siche 8. 36) nam-
haft zu machen weiss, sind Peter Steipper und Dagfind Bonde,
denen er einen Antheil an dem Kénigsschlosse zu Bergen, einem
Baue , von ausserordentlicher Schénheit* beimisst, worauf dann
weitere Schlussfolgerungen auf die Bedeutsamkeit der dortigen
Bauthaligkeit basirt werden. Nun vyergleiche man damit die
Anmerkung 8. 12, wo v. Holberg die Zerstérung des Schlosses
durch die Bagler im Jahre 1207 berichtet: ,,Es ward zwar noch
in demselben Jahre, heisst es da, von Dagfind Bonde und Pe-
ler Steipper in etwas wieder. aufgebaut, allein es ward
sofort wieder eingenommen und zum andernmale niedergerissen.*
Dies und der weitre Verlauf der Stelle, wo ausdriicklich der
Kénigssaal als hdlzern erwahnt und hinzugesetzt wird, dass erst
Hakon Hakonson einen steinernen Saal erbaute, legt sogar die
Vermulhung nahe, dass jene jedenfalls geringfiigige Restauration
nur ein Holzbau gewesen sei. Wo bleibt also die hohe Bedeu-
tung von Peter Steipper und Dagfind Bonde?

Ein andrer Dom des Landes, zu Stawanger, trigt ebenfalls
die deullichsten Spuren englisch-gothischer Bauweise, und von
den beiden bemerkenswerthesten Kirchen Schwedens, den Do-
men zu Lund und zu Upsala, steht fest, dass auch an ihnen
fremde und nicht etwa norwegische Baumeister gearbeitet ha-
ben. Schen wir uns ferner die Beispiele von angeblich nor-
wegischer Bauthaligkeit im Ausland an, so schwindet die Wich-
	tigkeit derselben ebenfalls vor unsern Augen. Auf 8S. 33 heisst
	es: ,,Die 5. Oraus-Capelie auf der Insel Jona soll von den
Norwegern erbaut worden sein. Und was wird als Beweis
dafir angefihrt? Die Mlustrirte Zeitung Bd. XVII, p. 214!
Bei der Roslin-Capelle in Scholtland, welche 1446 begonnen
wurde, wird die Abslammung vom Drontheimer Dom sehr wahr-
scheinlich gemacht; allein wieviel beweist dies eine constatirte
Factum fiir die ganze tibrige Baugeschichte, wenn man bedenkt,
in wie naher Verbindung Nord-Schotiland mit Norwegen stand!
Diese Roslin- Capelle, von allem, was der Verf. vorbringt, das
einzige Beispiel, welches eine Thatigkeit norwegischer Bauleute
im Auslande nachweist, wiirde dagegen die Ansicht von dem
viel spileren Bau des Drontheimer Domes unterstiitzen, wenn
sic, wie der Verf. sagt, ,,fast alle Eigenthtimlichkeiten und Style
des Drontheimer Kirchenbaues“ zeigt. Hallen wir hiermit zu-
sammen, dass der Dom im Jahre 1328 ,,durch Feuer betracht-
liche Beschadigung erlit* (S. 15); dass Erzbischof Eilif in dem-
selben Jahre ,Geldhiilfe zur Instandsetzung der Christkirche*
(d. i. des Doms) von den nordischen Bischéfen erbat (S. 19 An-
merk.); dass ferner die Kirche im Jahre 1431 eine noch erheb-
lichere Zerstérung durch den Blitz erfuhr, an deren Beseitigung
unter den Erzbischéfen Gauto und Erik Walkendorf (1474 bis
	1523) gearbeitet wurde: so regt sich die Yermuthung, ob nicht
	zumeist und zundchst auf England als Vorbild hinwies. Eng-
lisch ist die zweistéckige Anlage des Gebaudes mit den Gale-
riegingen und Triforien, dic sich sogar auf die Kapellen des
Kreuzschiffs erstreckt; englisch das auffallend geringe Breiten-
verhaltniss der Schiffe zu ihrer betrachtlichen Linge und der
gerade Chorschluss ; englisch der machtige Thurm auf der. Kreu-
zing und das Hinaustreten der Westthiirme tiber die Langen-
flucht der Scitenschiffe (vgl. Salisbury); englisch ferner ihren
	wesentlichsten Bestandtheilen nach die Bildung der Kapitaile und  
	andrer Ornamente (vgl. Lichfield und Salisbury); englisch die
unschéne und unzweckmassige starke Ausladung der Plinthen
und Basen (vgl. abschreckend hassliche Beispiele auf Taf. IX.
Fig. 8, 10, 30, 31), so wie die outrirle Geschmacklosigkeit
mancher Profile (vgl. Taf. IX. Fig. 3, 33 und Tafel VII. Fig. 8
bis 11).

Die cigenthiimliche Verbindung des Chors mit dem Oktogon
erinnert, wie der Verf. richtig bemerkt, an die ahnliche An-
lage der Cathedrale von Canterbury, und wohl mag, obschon
auch zu Drontheim diese Anordnung aus der Benutzung einer
vorhandenen, alteren Anlage herverwuchs, eine Reminiscenz an
jene berilhmte Cathedrale stattgefunden haben. Doch war vor-
zugsweise die Cathedrale zu Salisbury das Vorbild, das man
beim Umbau des Doms zu Drontheim im Auge gehabt zu haben
scheint. Bekanntlich wurde diese Kathedrale von 1220 —1260
erbaut. Hr. v. M., der das nahe Verhaltniss der beiden Kir-
chen hervorhebt, will dem Drontheimer Dom. die Prioritat ein-
тбитеп, da, wie er Seile 33 bemerkt, ,,angenommen werden
muss, dass unter zwei Kunstwerken, von denen das eine Nach-
ahmung des andern ist, das voratiglichere nur das Original sein
kann“. Diesen Ausspruch miissen wir in seiner allgemeinen Fas-
sung wiederum als nicht zutreffend bezeichnen. Was heisst denn
bei zwei Bauwerken — und mit solchen allein haben wir es
zu thun —, das eine sei ,,vorztiglicher“ als das andere? Die
Hauptbedingungen, die bei einem Bau in Betracht kommen, als
Construklion, Gesammtanlage, Delailsausfihrung, Technik, Ma-
terial, wic verschieden sind sie und von welch’ zufalligen Vor-
ausselzungen abhangig! Die Originalitat eines Bauwerkes hangt
nicht von der grésseren oder geringeren ,,Vorztiglichkeil einer
oder mehrerer dieser Grunderfordernisse ab. Sie spricht sich
vielmehr, unabhingig von denselben, durch den Geist der Con-
ception und der Formen aus, und Beides finden wir in der Ca-
thedrale zu Salisbury primitiver, selbstindiger, als im Dom zu
Drontheim. Wir haben bereits oben letzteres Gebdude zu cha-
rakterisiren versucht und mtissen hier wiederholen, dass es
uns seiner Anlage und Durechfihrung nach auf der Nachahmung
englischer Vorbilder zu beruhen scheint.

Oder soll man den Ausspriichen des Hrn. v. M. beipflichien,
der in ciner weitlaufigen Auseinandersetzung nicht allein zu
beweisen sucht, dass das Oktogon des Doms zu Drontheim auf
den Umbau des Chors der Cathedrale zu Canterbury eingewirkt
habe, sondern auch, dass die Cathedrale zu Salisbury ) und
mit und nach ihr die ganze englisch-gothische Architektur von
Drontheim ausgegangen sei? Wir bedauern aufrichtig den da-
bei gemachten Aufwand von Geist und Scharfsinn; denn was
hilft die feinste Beweisfihrung, wenn die Pramissen unrichtig,
wenn das Fundament des ganzen logischen Gebaudes unzuver-
lissig ist? Wir kénnen nicht mehr nach den Griinden fragen,—
	1) Die bekannte Nachricht, dass Bischof Richard Poor ,,:corkmen {rom
beyond the seas“ zum Bau der Cathedrale au Salisbury berafen habe, will
der Verf. §.33 nur auf norwegische Bauleute bezogen wissen; mit welchem
Rechte oder aus welchem Grunde, ist uns unyerstandlich, Warum ein ,Nor-
mann, wenn er yon jenseits des Meeres sprach“, damit Frankreich nicht
gemeint haben solle, sehen wir nicht ein; noch weniger, warum dieser
	Ausdruck gerade auf Norwegen za beziehen sei.