06$
	Zeitung
	fiir bildende Kunst und Raukunst.
	Organ
der deutschen Kunstvereine,
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Dusseldori — Schnaase
in Berlin — F@rster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien
			herausgegeben von Ог. Е. Eggers in Berlin.
	Sonnabend, den 9. Juli.
	Awhalt: Ueber den evangelischen Kunstverein. Fr. Eggers. — Das jiingste Gemalde Lessing’s, Dr. Martin Luther die papstliche Bulle verbrennend. W.
Martino da Udine. Aus ungedruckten Beitrégen zur Kunstgeschichte von E. Harzen. (Fortsetzung u. Schluss.) — Holzschnittwerk. Holzschnitte
berdhmter Meister etc. von Rud. Weigel. (mi Abbild.) Е. Е. — Zeitung. Wien. Amsterdam. Madrid. — Kanstvereine. Der Rheinische Kunst-

уегет. — Uebersicht der gegenwartigen und nichsten Ausstellungen. — Anzeige.
	Ueber den evangelischen Kunstverein.
	„В auet nur erst Kirchen, eh’ ihr sie mit Bildern
schmiickt!* — Mit diesem strengen Worte hat sich ein hoch-
gestelltes Mitglied der evangelischen Kirche yon unserm Verein
und dessen Zwecken abgewandt. Der Ausspruch klingt auf
den ersten Anblick logisch und beherzigenswerth, namentlich
dem Umstande gegeniiber, dass wir in den Zeitungen oft genug
den Aufforderungen begegnen, zum Bau irgend eines Goites-
hauses beizutragen, so wie den Klagen, dass diese oder jene
evangelische Christengemeinde sich bis jetzt vergeblich nach dem
Besitz einer Verchrungsstatte des Héchsten sehnt. Daher diirften
viele unserer Mitchristen geneigt sein, in jene Mahnung einzu-
stimmen, weshalb es nicht unzeitig sein méchte, sie naher zu
beleuchien, zumal dies erneuten Anlass geben wird, uns itiber
Zwecke und Absichten des evangelischen Kunstvereins auszu-
sprechen.

Der alte Erfahrungssatz, dass Einigung stark macht und
dass Tropfen zu Meeren werden, hat die Vereins~-Praxis her-
ausgebildet. So wie eine allgemeine Idee verwirklicht oder
	sefordert werden soll, so bildet sich ein Verein aus Solchen,
	denen neben ihren individuellen Bestrebungen, und am hautig-
sten im Kinklang mit ihnen, das Allgemeine am Herzen liegt.
Die Forderung nun, dass Einer allen Vereinen angehéren soll,
wiirde eben so sehr alles Vereinswesen aufheben und eben so
ungehérig sein, als wenn man von allen Vereinen die Verfol-
gung eines und desselben Zweckes fordern wiirde. Unméglich
kann also mit jenen Worten dergleichen gemeint sein. Eben so
wenig man dem Einzelnen den Anschluss an Vereinszwecke
empfehlen kann, die ihm als solchem fern liegen, eben so we-
nig kann man einen Verein schelten, der die seinigen und nicht
andere Zwecke verfolgt. Dies verdient kaum eine weitere Er-
érterung. Breiten sich nicht unsere Gustav- Adolph-Vereine
iiber das ganze protestantische Deutschland aus? Haben diese
segensreichen Institute nicht schon manches Golteshaus grtinden
helfen? Und werden nicht gerade die meisten Mitglieder des
evangelischen Kunstvereins auch dort ihr Scherflein beisteuern?
LV. dahrgang.
	 

Warum, wenn wir mit der einen Hand den Baustein zutragen,
sollen wir nicht mit der anderen den Altar schmiicken helfen?
Um Gotteswillen doch nicht diesen Zelotismus und. diese Into-
leranz, die fir ein Ziel auch nur immer einen Weg kennt. —
Ist es Euch wirklich um das eine Ziel zu thun, so freut Euch
doch, dass die Wege dahin so mannigfaltig sind, wie die Zun-
gen, die alle denselben Gott loben.

Vielleicht aber ist die Mahnung aus der Vorstellung her-
vorgegangen, dass unser Verein kein Bedirfniss sein, dass er
kinstlich gemacht, statt geworden, dass er nicht zeitge-
mass sein méchte.

Darauf dient zur Antwort, dass der Verein eben da ist.
So viel Bediirfniss als zu seiner Geburt gehérte, ist also vor-
handen. Ob zu seinem Wachsen und Gedeihen, das wird die
Zeit lehren. ,,Ist’s Menschenwerk u. s. w.* — Nur daran muss
an dieser Stelle erinnert werden, dass diejenigen, ihrem Be-
diirfniss nach, ihm eigentlich auch angehéren, die sich aus Man~-
gel an Vereinigungssinn abwenden, die sich deshalb abwenden,
weil er nicht gleich als eine geriistete Minerva dasteht, nicht
gleich Alles mit einemmale erfillt, die ihm nicht Zeit zum
Bliihen génnen, sondern gleich einen traubenschweren Wein-
stock haben wollen, die sich abwenden ferner, weil sie nur
blaue Trauben im Weinberge haben wollen und keine weissen,
nicht bedenkend, dass Niemand sie abhalten wird, den Reich-
thum unseres gemeinsamen Weinbergs durch das Pflanzen und
Pflegen der blauen Traube zu mebren. Ist diese besser, 50
kann es doch nur durch die That bewiesen werden.

Zunachst méchten die, welche uns den Bau der Kirchen
statt-ihres Schmuckes anrathen, daran zu erinnern sein, dass
der Verein nicht bloss die Kirchen schmiicken, dass er tiber-
haupt die Kunst fordern will. Sie wissen es selbst sehr wohl,
dass der Bau der Kirchen, der einfachsten, wie der geschmiick—
testen, wenig fordert, wenn christlicher Glaube und Sinn nicht
in die Hauser eindringen. Soliten nun die Blatter religiésen
Inhalts, die der Verein zu verbreiten beabsichtigt, die er den
Wohlhabenderen bietet, damit sie auch unter ihren minder be-
giterten Briidern die anregende Kraft christlicher Kunst wirken
lassen, nicht auch dazu beitragen, das kirchliche Element au
verbreiten, es in die Wohnungen einzufiihren? Sollte diese Tha-