OSA Periode Holbeins des Jiingern, nur dass sie bei diesem Meister im consequentern Zusammenhang mit einer Gefiihlsweise steht, deren Grundzug eine noch selbsténdigere und naivere Naturanschauung ist. Die Ausfiihrung Holbeins ist anspruchlos und zugleich ideenreich, von der innigsten Liebe zu der Wahr- heit erfillt, die ihm am nichsten liegt; die des fraglichen Kiinstlers ist so gewitzigt als berechnend, sein Naturell steht in keinem so reinen Verhaltniss zur darzustellenden Erschei- nung und es hat den Anschein, als wollte cr es dem grossen Tizian gleichthun, ja, als suchte er ihn wo méglich noch zu libertreffen. So gross auch der auf diese Weise erzielte gei- ‘stige Fond sein mag, wodurch der Werth dieses Bildes gesi- chert ist, — ihm fehlt nach Lage der grossarligen Aufgabe die naturhistorische Aufkldérung der malerischen Idee, die sie in sich schliesst, ein Theil der Kunst, der von Tizian so wichtig erachlet wird, dass er die dussere Wirkung des Ganzen, die nur auf Kosten desselben gesteigert werden kann, oft zurtick- halt, woher es kommt, dass solche Werke leicht unterschalzt werden kénnen. Zieht man in dem fraglichen Bilde das Neben- sichliche in nihern Betracht, was bei Ermittelung eines Mei- sters um so bedeutsamer ist, als sich hier der Kiinstler am freiesten bewegt, wodurch seine Eigenthtimlichkeit mehr zu Tage trilt, so zeigt sich, besonders in der Auffassung und Behand- lung der Hinde und des Degengefaisses, die Anschauung und Gefiihlsweise eines deutschen Kiinstlers am unverkennbarsten; besonders bei dem letztern nahert sich die Eigenthiimlichkeit desselben um Vieles der des Holbein, was auch bei dem Trak- lament des goldenen Fingerringes der Fall, das von dem eines italienischen Meisters ganz abweichend ist. In Hinsicht der Farbung herrscht in den Handen eine wesentliche Yerschieden- heit von der des Tizian vor. Von der Menge Tinten, welche einer mannlichen Hand cigen, bei deren kiinstlerischer Darstel- lung sich Tizian die Mithe nicht verdriessen ldsst, sie schon in der Untermalung auf so interessante Weise vorzuberciten, wie man an seinem eigenen Portrails derselben Galerie sehen kann, ist nur wenig in dem fraglichen Bilde wahraunehmen, da die Carnation hier viel bequemer als nach der Individualitat aufge- fasst erscheint. Erst zu Ende des 16. und bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts sind es viele Bildnissmaler in Deutschland, die in solcher Weise die Hinde behandeln. Der Mangel einer wah- reren Farbung scheint daher zu rihren, dass man sich bei die- sem Theile mit Auffassung nur seiner allgemeinen Motive be- gniigle, ohne bei der Ausfihrung selbst die Natur wieder zu Hilfe zu nehmen, ein Umstand, der, wie es mich diinkt, auch bei dem fraglichen Bilde statifand. In den Niederlanden war um die erwahnte Zeit eine gewissenhaftere Auffassung der un- mittelbaren Natur vorherrschend, wahrend in Italien durch einen falsch verstandenen Idealismus sich die Kunst immer mehr und mehr auflockerte und in eine Willkiir ausartete, die man fir genial hielt. Ein niichterner Calciil, von dem ich bereits in dem fraglichen Bilde Spuren zu erblicken glaube, machte sich mil geringer Ausnahme allmalig in Deutschland geltend. Schon vor mehreren Jahren hatte ich dem Herrn Direktor der Galerie mitgethcilt, dass ich das fragliche Bild far ein Werk eines deutschen Meisters hielte, obgleich sich der venezianische Einfluss darin so geltend mache. Auf meiner letzten Kunstreise im vorigen Jahre fand ich diese Meinung dadurch bestatigt, dass ich in der Galerie des Louvre zu Paris, bei unwesentlichen Abweichungen, ein Portrait fand, das denselben Urprung ver- rith. Da mir unter allen Galerieen, die ich bis jetzt gesehen, keine vorgekommen ist, in welcher die italienischen Meister- werke mir so sicher bestimmt erschienen, als dic des Louvre, so war ich gespannt, aus dem Catalog die Angabe des fir mich so fraglichen Meisters zu ersehen. Sie lautet auf Jan Calcar welche in ihrem Wesen und ihrer Bedeutung nicht so zweilellos allgemein bekannt sein méchten, ein erliuterndes Wort einge- schoben wirde, welches den Zusammenhang, worin die Ein- zelnen mit der Geschichte stehen, noch enger machen wurde. Zu warnen ist vor kleinen, nicht aus objectiver Anschauung entspringenden Ausfallen, wie sie in der Lebensbeschreibung Nettelbecks vorkommen, so wie wir schliesslich noch um sorg- filtigere Correctur bitten. Der Erfolo, den diese erste Lieferung bereits gehabt hat, zeugt fir die Volksthtmlichkeit des Unternehmens. Noch ehe die zweile erschienen ist, ward eine zweile Aullage des ersten Heftes nothwendig. Wir wiinschen dem Verleger ein gleiches Gliick in seinem tibrigen, niitzlichen und anerkennungswerthen Wirken. 1 Fr. Eggers. Kritische Untersuchungen iiber ein fragliches Portrait in der Bildergalerie des kéniglichen Museums zu Berlin. Von Wi. Unger. Unter den Bildern der Galerie des konighichen Museums zu Berlin, deren Urheber noch nicht ermittelt sind, ist es schon seit langer Zeit ein Portrait, No. 190, angeblich aus der Schule von Bergamo, das fiir mich von Interesse war, da es, unter dem Einfluss des gréssten venezianischen Bildnissmalers her- vorgegangen, gleichwohl eine Selbstandigkeit erkennen lasst, deren nationaler Charakter mich immer nach der Gegend von Nieder -Deutschland hinwies. Die Art und Weise der Aus- fiihrung des Kopfes und besonders der Hande und des Degen- gefisses steht der Gefihlsweise eines italienischen Meisters eben so fern, als auch der eines niederlindischen, da die in diesem Bilde vorherrschende, allgemeine Idealitat fiir den ersteren zu speziell verfolgt erscheint, wahrend fir den niederlandischen diese Spezialitaten einen zu allgemeinen Charakter tragen. Dass sich der Einfluss des Tizian dabei gleichwohl so bemerklich macht, liegt mehr in der Auffassung des Ganzen; besonders ist es die stillfeierliche Sammlung des Kiinstlers ciner Erscheinung gegeniiber, deren geislige Bedeutung er eben so tief wieder- zugeben trachlet, als er sie empfunden, die zuniachst fir das lizianische Schulprinzip spricht. Wenn indess dieses Streben bei Tizian selbst von jener grossmeisterlichen Sicherheit unter- stiitzt wird, die den Werth des Einzelnen nur nach dem gei- sligen Inhalt des einheitlichen Ganzen misst und malerisch be~ stimmt, so macht sich hingegen bei dem fraglichen Bilde be- merklich, dass es dem Kistler nur sehr wenig. um die Fak- ‘ttoren des Ganzen zu thun ist, obschon er es sich schr ange- legen sein lasst, dem Gesammlinhalte ahnlicher Werke des grossen Meisters zu entsprechen. In diesem sorglichen Eifer geschieht es bei ihm, dass die Ausfithrung so weit getrieben wird, dass daraus zu entnehmen ist, diese Ausfihrung an sich erwecke im Kiinstler mehr Interesse, als das, woriiber sie Auf- schluss zu geben hat; auf diese Weise verschliessen sich ihre stilistischen, erklirenden Zwischenraume und der kiinstlerische Zweck: durch die Art der Ausfihrung fiir die stillen Rathsel der Natur malerische Fingerzeige zu geben, geht verloren. So ist namentlich der Kopf des fraglichen Bildes behandelt, woher es zugleich kommt, dass die Prinzipien der Farbung, die auch wieder in ihrer Gesammtheit die tizianische Schule beurkunden, als solche kaum zu erkennen sind. Aehnlich verhalt es sich mit der Zeichnung oder der Begrenzung der Formen tberhaupt, deren iiberaus correcte Bestimmung im Vergleich zu Titian zu kinstlich erscheint. So wenig es auch den Anschein haben mag einen dussern Anlass dazu zu finden: das Bild gemahnt zugleich an die Eigenthiimlichkeit einzelner Werke der mittlern