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	lichkeit weniger entschieden und nur theilweise ins Leben treten
konnte.

So trefflich Mabuse in den ihm zugeschricbenen Bildern
seiner ersten Periode erscheint, so ungeniessbar ist’ er als
Eklektiker, ein Umstand, der allerdings geeignet ist, einen
Zweifel zu erwecken, ob jene angefihrten trefflichen Werke
auch wirklich von ihm herriihren, da die stabilen Prinzipien
derselben mit der Méglichkeit einer spateren Aenderung auf
Kosten des Besseren im grossen Widerspruch stehen. — Wenn
es wahr ist, dass die Nicderlinder in der Regel auf Eichen-
holz, die Italiener auf Cedern- oder Palmholz u.s. w. malten,
so kann darin doch nicht mehr als ein dusserer Fingerzeig er-
kannt werden, der nicht selten auf andere Consequenzen fih-
ren mag, die zur Bestimmung eines fraglichen Kunstwerkes
behilflich sind. Aus dem vorliegenden Falle, dass das in Rede
stehende Bild No. 156 auf Cedernholz gemalt ist, glaube ich zu

dem Schlusse berechligt zu sein, dass der Kiinstler dieses Bild-
chen in Italien, vielleicht in Venedig zu einer Zeit gemalt, wo
der Einfluss der Meister dieses Landes hei ihm noch nicht Wur-
zel gegriffen hatte. In dieser Meinung werde ich noch dadurch
bestarkt, dass ich in diesem Bilde denjenigen Grad von stiller
Sammlung vermisse, wovon die Werke dieses Meisters in Ant-
werpen und Berlin Zeugniss geben. —.Auch ein anderes, in
der Manier abweichendes Bildchen, No. 157, vorstellend die
Verspottung Christi, mit unzweifelhafter Bezeichnung des Mci-
sters Mabuse, tragt mehr den’Ausdruck einer villigen Gefihls-
befriedigung, vorziiglich in Hinsicht der Modellirung der Kor-
pertheile, wozu eine gesicigerte Ruhe so erforderlich ist. Der
Mangel eines solchen Grades von Ruhe muss als Grund ange-
sehen werden, dass das Bildchen No. 156 nicht zu der Kraft
der Wirkung gelangt, die in den Antwerpener Bildern fast etwas
zu weit getrieben erscheint. Die hiernach sich anderweitig
herausstellenden Differenzen mégen die Veranlassung gewesen
sein, dass man dasselbe friiher einem anderen Meister zuge-
schrieben, namlich dem Antonello von Massina, dessen Pro-
ductivitat in Bezichung auf umfassendere Compositionen sich
nicht mit der des fraglichen Bildes messen kann.

Der cben besprochenen Richtung nahe stehend, sowohl in
Hinsicht der Geslaltung, als auch an Kraft der Modellirung, die
hier, trotz ihrer noch grésseren Steigerung, im Einklang mit
dem Ganzen steht, ist das wohl mit Recht dem Johann Scho-
reel zugeschriebene Bild No. 115, vorstellend Christus am
Kreuze, die Mutter Maria, Maria Magdalena und Johannes. In
diesem Bilde macht sich eine bedeutende Selbstandigkeit gel-
tend, welche der verschiedenen Einfliisse, die die alteren flan-
drischen und selbst frankischen Schulen ausibten, in einer
grossen Einfachheit Herr zu werden wussle. Ob es der Ein-
wirkung der italienischen Meister zuzuschreiben ist, dass der
Ton hier in der Farbung so ungewdhnlich tief angeschlagen
und ‘sich in den Linien des Terrains ein so ungewdéhnliches
Yersiindniss zu erkennen giebt, wage ich nicht zu entscheiden,
da keine sonstigen Spuren in diesem Werke vorhanden sind, die
dies bestaligen. Schoreel, urspriinglich ein Schiller des Mabuse,
ging zu seiner weiteren Ausbildung spiter nach Rom. Bei den
wenigen, ihm mit Zuverlissigkeit zugesehriebeneh Werken ist
mir es nicht bekannt, in wie weit er sich hier den Einflissen
hingab. Das obige Bild ist in seiner Gesammlwirkung von einer
wahrhaft ergreifenden, ernsten und schauerlichen Stimmung.
Der grossartigen Auffassung des tragischen Vorwurfs ist es an-
gemessen, dass die einfachen Massen der bergigen Landschaft,
wie in tiefer Trauer nur karg bewachsen und mit grosser
Ockonomie der Mittel behandelt sind. Durch eine kunst-
volle, tiefe Schattirung, die mit dem Vorzuge der niederlandi-
schen saftigen Klarheit beinahe ans Sehwarze grenzt, ist in
	jedem Korpertheile eine lebensvolle Existenz erzielt, die ftir
den Mangel an detaillirter Ausfiihrung reichlich entschadigt.
Auch dieses Werk beurkundet einen Wendepunkt in der nie-
derlindischen Malerei, da von der liebevollen, so anzichenden
Ausfiihrlichkeit hier zu einer Freiheit des Vortrages tiberge-
gangen ist, die nachmals in eine Routine ausartete, welche, mit
geringer Ausnahme zu Ende des 16. Jahrhunderts, die nieder-
lindischen Kunstwerke in hohem Grade unerquicklich machen,
bis endlich der gewallige Rubens mit strenger Kunstwissenschaft
eine neue Kunstepoche ins Leben rief,

Von den flandrischen Meistern, die in Italien ihre Virtuo-
silat nicht mit dem Verlust ihrer Originalitét erkauften, sind die
Kiinstler Bernhard yon Orley und Michael Coxcie in

der Sammlung zum Theil erheblich vertreten, der Erstere durch
das Bild No. 149, Maria im Thron mit dem Christkinde, der
	Letzlere entschiedener durch die Kreuzabnahme No. 150, —
	wahrscheinlich ein Bildchen seiner ersten Periode, — und durch
eine Madonna mit dem Christkinde, Joseph, Johannes und ein
in der Luft schwebender Engel, der die Gruppe mit Blumen
bestreut, No. 154, In diesem lelzten Bilde macht sich die Higen-
thimlichkeit des Coxcie auf das insiructivste hemerklich. Wie
bei vielen Werken dieses Meisters, beruht auch hier der Kunst-
werth mehr in dem malerischen Verslindniss der Lebensbedin-
gungen der dargestellten Erscheinung, das sich im Allgemeinen
kundgiebt; die Auffassung des religiésen Vorwurfs selbst ver-
mag nicht, jene warme Begeisterung zu erwecken, in der selbst
die starren Formen der alteren Kunstperioden so sehr zum Her-
zen sprechen. — Hier ware vielleicht das durch den Stich be-
reits bekannte Bild No. 162, das heilige Abendmahl von Lom -
bard Lombardus zweckmiassig anzureihen.

Von Bildern, die unter italienischem Einfluss von nieder-
landischen Meistern herrihren, erscheint-mir das unter No. 152
als eins der bedeutendsten tiberhaupt. Es stellt vor: Maria mit
dem Kinde, Catharina und Barbara; die Erslere, unter einem
Baldachin, dessen Draperie von zwei Engeln gehalten wird, die
einen Anflug von der Manier des Francesco Francia haben.
Bei aller Achnlichkeit, die es sowohl in der Art der Composi-
lion, als auch in einzelnen Haupttheilen mit den Werken der
Leonardo da Vinci’schen Schule hat, ist es doch nicht aus
jenem Ekleklicismus hervorgegangen, durch welchen das direkte
Verhallniss des Bildners zur Natur oft eine so empfindliche Sté-
rung erleidet. Das ganze Bild macht daher den Kindruck, als
seies die feine Wiederholung eines italienischen Werkes er-
sten Ranges. Indess spricht dagegen die Art und Weise der
Ausfihrung sowohl, als auch die Erfindung des Beiwerklichen,
namentlich ‘aber ist es die Molivirung der Hande, welche die
Eigenthimlichkeit eines italienischen Meisters vermissen lasst
und zur Vermuthung beitrégt, dass man es hier mit einem nie-
derlindischen zu thun habe, der sich in einem ungewohnlichen
Grade die italienischen Formen eigen zu machen wusste, ohne
dabei seine eigene Anschauung aufzugeben. Mit dem Colorit
dieses interessanten Bildes hat es eine ahnliche Bewandlniss.
Bei dem hier vorherrschenden, allgemeinen Idealismus giebt es
sich gleichwohl als niederlandisch zu erkennen, obschon im
Einzelnen die Merkmale fehlen, die solehe Annahme rechifer-
tigen. Dieser Idealismus, sich jussernd in allgemeinen Tinten,
die mehr die Modellirung als das Colorit selbst zum Zweck ha-
ben, — das sich auf diese Weise gleichsam von selbst ver-
steht, — lasst die vielleicht sonstigen Eigenthtimlichkeiten des
Urhebers nicht zur naiheren Anschauung kommen. Auch die
Wahl der Localfarben der Gewénder neigt in eben der Art
nach der niederlandisehen Richiung hin, ohne den Meister be-
stimmter zu bezeichnen. Niehts desto weniger sind es yor-
nehmlich die beiden Meister Bernhard von Orley und Mi-