auf den Arabeskenbogen hat sich mit kecker Turnerbewegung
— ein geistiger Gymnast! — ein kleiner Copernikus geschwun-
gen. Mit froh erstauntem Blick Iauscht er hinter einem Akan-
thusblatte und merkt etwas von dem Gesetze, welches geheim-
nissvoll die Bewegung der Kérper beherrscht. Zu seinen Fiissen
macht sich Gelehrtenhochmuth breit. Mit einem dicken Buche
unter dem Arme, gicht das Antlitz eines Asironomen, sein mit-
leidiges Achselzucken cinen Commentar zu den Worten: „Те
habe den ganzen Himmel durchforscht, die Sterne gezahlt und
nirgend einen Gott gefunden — nur Mechanik!

Diesseits der Himmelspforte aber rennt in Gestalt zweier
Himmelsstiirmer, von denen der eine in der Hitze die Pericke
verliert, Vermessenheit und Verbohrtheit mit eigensinnigem Trotz
gegen die chernen Pforten, nicht bedenkend, dass:

Geheimnissvoll am lichten Tag
1.8585 sich Natur des Schleiers nicht berauben,
	Und was sie Deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst Du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
	Viel sicherer ist es, in die Werkstatt des Geistes einzukehren
und mit ,tastender Waffe“ zu versuchen, was man ihr abge-
winnt. Mehr als der Versuch, die Thiir mit dem Kopfe ein-
zurennen, wird der Blitz aus der Elektrisirmaschine helfen, der
an -das Schloss der Pforte rihrt. Das Glasrad dreht mit be-
dachtiger Umsicht und mit zufriedener Gelehrtenitiberzeugung
ein mit einer Schlafmiitze bekleideter Physiker. Doch lasst auch
ihn der spottlustige Kinstler nicht ungeschoren; denn der Drath
der Maschine geht durch seine Schlafmiitze und die Spitze sei-
nes Blilzes biegt sich um an der ehernen Pforle, stalt sie zu
entriegeln.

Hinter dem -Empiriker aber sitzt der denkende Philosoph,
der auf seine Weise den Himmel zu sttirmen versucht. Stolz
baumt sich seine Perticke zu cinem Fligel auf, den hohen Flug
der Gedanken andeutend. Diese Form des Hauptschmuckes pa-
rodirt hinter derselben eine platzende Schote am Arabesken-
stengel. Das geslickte Rococohalstuch des Mannes und die Ge-
sichtsziige erinnern an Kant. Seine Rechte deutet auf die Stirn;
auf seinem Schoosse liegt ein Buch; darin steht geschrieben:
Cogito, ergo sum. Das sum ist aber hundertmal auf beiden
Seiten wiederholt, so dass man versucht ist, zu Gbersetzen: Ich
denke, also summt mir der Kopf.

Kine andre Art, zur Glickseligkeit zu gelangen, als durch
Nachdenken, ist nebenan dargestellt, wo sich eine Adeptenwirth-
schaft etablirt hat. Es ist immer eine sehr verbreitete Ansicht
gewesen, dass durch Gold die eine Halfte der Giter tiberflis-
sig und die andere zu haben sei. Nur Gesundheit und langes
Leben blieben noch immer zwei, wenn auch auf den Korper
beziigliche, doch unkdufliche Dinge. Ihr Besilz wurde daher
wie das Gold in den Laboralorien gesucht. Die strenge Arbeit
des Geistes, der sich selber Werkstalt, Werkzeug und Werk
ist, wird dariiber verachtct, und so darf es nicht Wunder neh-
men, wenn der Goldmacher dort, mit der Zange in der Hand,
mit einer Flasche voll ,ganz besonderem Saft* am Giirtel und
dem Schweisstropfen der Hitze und der Begicerde an der Stirn,
	die Biicher des Philosophen unter den Fusssohlen hat. Vor ihm  
	spielt das Feuer aus dem Kessel einer Zirbelnuss. In demsel-
ben steht ein Tiegel, dieser Fruchtschooss der gehcimen Wis-
senschaliler, der sie, wie cin Irrwisch, zugleich anlockt und
nas’fihrt. Das geschicht denn auch hier. Ein malilidses Teu-
felchen steigt aus dem Tiegel auf und richtet die Augen des
Adepten, in welchen sich ahnende Begier abspiegelt, auf einen
hochgehobenen, glanzend - strahlenden Karfunkel in seiner
Linken, so dass der Goldmacher nicht cinmal sieht, dass ihn
Mephistofeles unterdessen mit der Rechlen an die Nase greift.
		Den Teufel sptrt das Volkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen hitte.
	Der Genoss des Laboranten muss doch was merken, da cr mit
straubendem Haar und entsetzter Miene zuriickweicht, wie es
nothwendig geschehen muss, wenn kenntnissloses Herumtappen
Resullate sieht. Es wundert sich oder erschrickt; denn cs yer-
steht nicht den Zusammenhang zwischen den Bedingungen und
den Wirkungen. Als eine andere Anspielung auf die Erkemnt-
niss finden wir noch unten einen fruchtschweren Apfelzweig, mit
dem sich eben die beriihmte Muhme Schlange beschaftigt.

Hart neben diesen Scenen, die alle von MitteIn und Wegen
reden, wie die Menschen Gottes und des héchsten Gutes theil-
haflig werden wollen, yon den guten, wie von den verkehrten,
wird ein Beispiel gegeben, von den Irrwegen des Aberglau-
bens, als dessen Symbol die Hexenprocesse gelten. Da liegt
ein armes Hexlein, jammerlich zusammengeschnirt, in dem Dor-
nengewinde, Der bdse Geist steigt ihr eben aus dem Munde
und blickt mit arger Verwunderung auf das Protokoll, welches
ein Ménch tiber diese Begebenheit aufnimmt.

Sahen wir in den Pilasterstreifen-Figuren zur Linken des
Hauptbildes und zu Anfang des dasselbe bekrénenden Friestheiles
in dem Bischof und dem Herzog die Reprasentanten des Kam-
pfes der kirchlichen Macht mit der weltlichen, so sehen wir in
den Schlussfiguren die innere Entzweiung der Kirche. Ein Ver-~
treter des Papstihums und ein protestantischer Seelsorger tref-
fen hier sehr unceremonidse zusammen. Wir missen beken-
nen, dass wir lieber gesehen hatlen, wenn dieser Zwiespalt in
den beiden Figuren nach Art der Reprasentanlen des Plato und
Aristoteles wiedergegeben worden ware, welche an der grie-
chischen Seite vorkommen, stalt dass sie, wie hier geschieht,
wie die Bécke die Képfe aneinander stossen. Aber auf der-
gleichen kommt es Kaulbach nicht an, er meinte wahrscheinlich
andeuten zu miissen, wie der Kampf um philosophische Systeme
stets in Worten, Kampf um Religionssysteme aber nur zu oft
	in feindlicher Begegnung mit den Waffen sind ausgefochten wor-
	den. Noch ahnlicher sieht ihm aber, dass er hierdurch hat aus~
driicken wollen, wie wenig Gewicht er auf diese oder jene
Glaubensformen lege. Das tritt um so deutlicher hervor, wenn
man auf das sich hier anschliessende Finale des ganzen Frieses,
auf das Stick blickt, welches tber den Thiirfiguren der Kiiste.
thronen wird. Dies ist eine wahre Apotheose der Kunst. In
der Milte ein wunderschéner Knabe mit einem Anfluge von Goe-
thephisiognomie. Er halt ein Buch mit der Inschrift , Faust
und einen Schreibstift. Von der einen Seile naht sich ihm ein
Engel, von der anderen Mephistofeles mit unterwirfiger Geberde.
Links von ihm sitzt ein sehr gedanken-stirniger Knabe mit
Biichern, von denen eins ,tiber den Ursprung der Sprache* be-
tilelt ist; es liegt etwas vom Grimm’schen Ernst in seinen Zi-
gen. Links von dem Dichter ein anderer Knabe mit einem
Hauch von Humbolds-Physiognomie. Er tragt den Erdglobus
mit hocherhobenen Handen tber seinem Haupte. Ein kleiner
Herakles mit Lowenfell und Keule fiaihlt mit der einen Hand die
Balance nach und warnt mit der andern: ,Hére Du, ich hab’s
mir auch ’mal versucht, es ist just nicht so leicht*. — Ein
Engel mit einem Lorbeerkranze, von dem auch Zweige zwi-
	schen den zuletzt genannten Mannern spriessen, die sie zu er-
ringen, nebst Disteln, die sie zu tiberwinden wussten, schliesst
	den ganzen Reigen, der im Ganzen allein 142 Menschenfiguren
enthalt. Wir ersparen uns dicse Jetzte Prachtgruppe noch aus-
fiihrlicher zu beschreiben, da wir das Vergniigen haben wer-
	den, sic unsern Lesern abbildlich mitzutheilen.
(Schluss folgt )