schon findet, das ist es auch nie gewesen. Man lasst es sich
nur aus Gewohnheit gefallen, nicht davon abgestossen zu wer-
den, weil der Eigensinn der Mode es so haufig und so viel vor
das Auge fiihrt, dass der leichtere Sinn dagegen abgestumpft
wird, gerade wie die Zunge in kurzer Zeit gewdhnt werden
kann, Medikamenten, die sie anfanglich widerlich fand, gleich-
giillig zu begegnen, um sie zuletzt angenehm 2u finden. Man
benennt auch jenes niedrige, leicht verfiihrbare und gew6hn-
bare Urtheil des Auges mit dem von der Zunge gebrauchten,
den niederen Sinnen angehdrigen Ausdruck: Geschmack. Die
Aesthetik kennt diesen Ausdruck nicht, so wie das mit Schin-
heitssinn begabte, gebildete Auge sich nicht durch principlose
Extravaganzen betriigen lasst. Ohne hier darauf eingehen zu
wollen, was die Tracht zu Anfang dieses Jahrhunderts so hiss-
lich gemacht haben kann — denn die heutige ist es nicht mehr
so durchaus, namentlich nicht bei jiingeren Leuten — Jeder
weiss, dass sie hasslich war. .
° Blaser also, von der einen Seite zwar begiinstigt, indem
der Kopf seines Originals keineswegs unbedeutend, im Gegen-
theil schén zu nennen ist, war es von der anderen Seite desto
weniger, indem das steife, ‘unschéne Kostiim die darankleben-
den Hindernisse auch ihm entgegenhielt. Er war also auf die
Mantelfigur hingedrangt. Ein faltenreiches Amtskleid, das der
Figur Wiirde und Ernst verleiht, ist freilich fiir die Bildhauerei
eine ganz zweckmiassige Einrichtung. Sie hat es daher ohne
Zweifel gern gesehen, dass die Neuzeit den Mannern der Wis-
senschaft bei uns wieder so eine Bekleidung zuertheilt hat.
Nur entzichen sich die so Ausgestatteten gern der Verpflich-
tung, es anzulegen. Die Nothwendigkeit, darin bei feierlicher
Gelegenheit erscheinen zu miissen, wird ein Grund fiir sie,
auf der Strasse in den Wagen zu steigen; sie zeigen sich nicht
dem Volke in ihrem Ornate, dem Zeichen ihrer Wiirde, sie wer-
den.ihm also unbekannt sein, wenn die Bildhauerei es vorzieht,
sie darin abzubilden. In dem vorliegenden Falle musste die
Kunst die Wiirde und den Ernst, die der Charakter eines fal-
tenreichen Amtskleides ist, wie gewdhnlich, von einem Klei-
dungsstiick borgen, das dazu bestimmt ist, den Regen und die
Kalte vom Kérper abzuhalten und das aus Griinden der Zweck-
massigkeit den Reichthum der Falten verschmaht. —
Betrachten wir jetzt die Figur naher. Der Kopf ist schin
und ausdrucksvoll, die Zige klar und wohlwollend. Die Hal-
tung ist ausserordentlich wiirdevoll. Die rechte Hand macht
die gemiassigte Bewegung eines ruhigen, tiberzeugenden Red-
ners, ganz so, wie man ihn ohne Zweifel in den Rathsversamm-
lungen hat machen sehen, so wie auch Solche, die ihn gekannt
haben, behaupten, dass seine Haltung und Stellung sehr glick-
lich durch die Statue wiedergegeben werde. Auf der Brust
liegt die goldene Ketle, das Zeichen der Amtswiirde, um den
Hals hat der Kistler mit Recht die Dekoration des Ordens der
steifen Cravattenschleife vorgezogen, dieser ungliicklichen Kari-
katur eines geschiirzten Halstuchknotens. Frack- und Westen-
kragen, diese schlimmen Erfindungen der Mode, die hoffentlich
auch einmal wieder ganz verschwindcn, so wie sie schon bis-
weilen sehr zusammengeschrumpft waren, liessen sich nicht ganz
yermeiden, wenn der Kistler nicht die ganze Brust mit dem
Mantel zudecken wollte, welches demsclben wohl seiner natiir-
lichen, nicht aber seiner kiinsllerischen, hier zur Anwendung
gebrachten Bestimmung naher geriickt hatte. Schade, dass sich
unsere Abbildung nicht herumdrehen lasst, wie das Modell des
Kiinstlers auf der Scheibe. Dann wirden unsere Leser bemer-
ken, wie sehr die hoheilliche Wirde der Gestalt und der Hal-
tung noch im Profil, besonders von der linken Seite geschen,
gewinnt. Was von vorne noch stéren kann, die kleinen Linien
des hervorblickenden, modernen Kostiims, ist dann verschwunden,
	Statue des Birgermeisters Franke von Magdeburg von
Gustay Bliser.
	(Hierzu eine artistische Beilage.)

Ihrem nicht blos um die Stadt, sondern auch um die Pro-
vinz hochverdienten, verstorbenen Biirgermeister sind die Mag-
deburger im Begriff eine Bildsaule zu selzen. Wir haben un-
sern Lesern schon friher berichtet, dass Gustav Blaser in
Berlin den Auftrag erhielt, dieselbe auszufiihren und kénnen
heute eine Abbildung des eben fertig gewordenen Modells vor-
legen.

Die Portrailstatue ist heutzutage ein nicht unbedeutendes
Gebiet fiir die plastische Kunst. Es ist auf diesem Gebiete nicht
leicht, tiber die Anforderungen der Bewunderung, Verehrung,
Neigung u. s. w. fiir das Original, kurz tiber die Anforderungen,
die unser Verhaltniss und unsere Beziehung macht, diejenigen
nicht zu vernachlassigen, welche die Kunst stellt. Dieselbe ver-
langt zweierlei. Zuerst cinen bedeutenden, ich méchte sagen
meisselbaren Kopf, eine plastische Kérperhallung. Das ist alles,
was die moderne Skulptur von dem ganzen Kérper, wie ihn
die Antike als Gegenstand der Darstellung vor sich hatte, be-
halten hat. Ihr kommt darin gewohnlich die Natur entgegen,
mindeslens. was den Kopf anbetrifft; denn gelangt Jemand zur
allgemeinen huldigenden Anerkennung seines Volkes, so hat
inzwischen die Natur lingst eingewilligt, dem Antlitze des Ge-
feierten das Siegel der Bedeutsamkeit aufdriicken zu lassen, zu
der sich der Geist durchgearbeitet hat.

Schlimmer sieht es um das zweite Bedirfniss der Plastik
bei Portraitfiguren aus, wir meinen das der Gewandung. Denn
da wir uns eben nicht mehr antik kleiden, so ist nicht einmal
die Gelegenheit zu einer s. g. guten Gewandfigur im engeren
Sinne vorhanden. Unsere heutige Kleidung emanzipirt sich nicht
vom Kérper, sich ein eigenes Prinzip oder Gesetz, elwa das der
Draperie bildend. Der Unterschied ist, wie ein abgeschnittener,
oder ein schén aufgebundener und angeordneter Haarwuchs, der,
sich der absoluten Kopfform zwar im Allgemeinen anschmiecgend,
doch eigne Linien der Bewegung verfolgt. Bekannt ist die Aus-
hiilfe, welcher sich die Skulptur in Gestalt des Mantels bedient,
wodurch sie die s. g. Mantelfiguren erschaffen hat. Diesen hat
aber der realistische Sinn und die realistische Kunstrichtung der
Neuzeit durchaus den Krieg erklart. Man findet keinen Sinn
darin, eine Person mit einem Kleidungsstiick zu behangen, wel-
	ches sie im Leben nur stets momentan, bei schlechtem Wetter,  
	umgenommen hat; denn der Mantel gehért nicht mehr, wie selbst
noch zu Zeiten des Mittelalters, zu unserer vollstandigen Tracht.
Hochstens ist das nur bei Militairpersonen der Fall. Es ist den
Bildhauern auch gar nicht um den Mantel, denn sie haben wie-
derum alle Mithe, seinen eigenilichen Schnitt zu verbergen, es
ist ihnen nur um das Stick Tuch zu thun, damit sie drapiren
kdnnen.

In dem Drange nach Realitat hat Rietschel bekannilich
den kihnen Griff gethan, Lessing den Mantel von den Schultern
zu ziehen und ihn im blanken Roccoco zu zeigen. Aber dieses
Roccoco hat noch immer mehr Anspruch auf kinstlerische Gel-
tung, als die Trachten nachher. Sie werden spater unleidlich.
Man hort mitunter als cine merkwiirdige Erscheinung anerkennen,
dass der Geschmack sich uns unter den Hinden wandele, dass
	wir uns mcnt von derjenigen Veranderlichkeit des Sinnes frei
	machen konnen, welche uns heute als hasslich verdammen lisst,
was wir vor einem Monat noch schén gefunden haben, weil es
alle Welt trug; dass wir namentlich jiingstvergangene Moden
hasslich finden, altere dagegen oft gar nicht so sehr. Dies ist
aber ein Irrthum. Denn was ein gebildcter Sinn heute nicht