sien gelehrten Muthmassungen jener Epoche. Mit diesen. macht
uns zunachst das vierte Kapitel bekannt, Es enthalt somtt
treffliche Andeutungen tiber dic Denkweise des sechszehnten
und siebzehnten Jahrhunderts, tiber Zeiten, in denen man alt-
viterisch tren und um so gewisser von Zauberei und Hexen-
kiinsten der Vorfahren traumte, als man selbst noch in einem
starken Aberglauben befangen war. Dieser erstreckte sich
dann auch auf unseren Piisterich. Aber was noch mehr: es
gab dieser Findling den aufgesteiften Gelehrten jener Zeit viel-
fache, Gelegenheit, die von der Mehrzahl kaum verarbeitete,
allklassische: Literatur zur Erklirung seiner sellsamen Erschei-
nung zu benutzen, und so kam man denn frithzeitig darauf, je-
	  nen. harmlosen Piisterich mit dem ehernen Ochsen des Perillus
	und dem ehernen Pferde des Aruntius Paterculus zu verglei-
chen. Demnach stellte man verschiedéne Experimente mit ihm
an, dié, da sie hauptsdchlich darin bestanden, dass man den
hohlen Bauch des kupfernen Fremdlings mit Wasser fillte und
diés durch seine Mundéffaung verdampfie, seinen Namen ver-
anlassten. Gleichzeilig betrachtete man ihn als irgend ein un-
heimliches Werkzeug der heidnischen Vorzeit. Nach dem la-
linisirenden Sinne der damaligen Gelehrten begniigten sich
diese indess nicht mit jenem einfachen ,,echt deutschen“ Na-
men ihres Schiilzlings. Gleich wie sie ihre eigenen Namen
meist lateinisch umgestalleten, so auch tauften sie den Piste-
rich bald zu einem ,,Pustericius“, wodurch sich in der Folge
ein weites Feld fiir etymologische Forschung eréffnete. So er-
hielt dann auch allmahlig jener plumpe, kupferner Bursche mit
hohlem Kopf und Bauch nicht weniger als dreissig verschiedene
Namen, die sich jedoch sdmmilich, wie das finfte Kapitel
nachweist, als Ableitungen des urspriinglichen, wie z. B.. Bei-
sler, Bister, Pister, Bausterich, Bansterich, Peustart u. s. w.
ergaben. Die Altere Zeit verfehile jedoch dabei nicht, auch ge-
legenllich aus ,,Pusterus“ einen Bructerus u. A. zu machen.
Die mannigfachen Erlebnisse des nunmehr grindlich Getauf-
ten waren, wie aus der Schilderung des sechsten und der
	folgenden Kapitel erhellt, oft héchst qualvoller Art, ‚депп
	da er durchaus kein gewdhnliches Wesen sein durfte, so
musste er sich zu den yerschiedensten Versuchen, die seine
géttliche oder teuflische Abkunft bestatigen sollten, gebrauchen
lassen, An dem allen war, wie schon angedeutet wurde, vor-
zugsweise sein hohler Bauch schuld: indem man namlich ап-
nahm, dass ein. solcher Leib nothwendig zur Aufnahme von
Gegensténden mancherlei Art bestimmt sei, so fillte man ‘ihn
versuchsweise theils mit Wasser, theils mit Spiritus und ande-
ren Dingen, um dadurch zu einem bestimmteren Resultat ge-
wisser Wirkungen zu kommen, weshalb man ihm auch mit
Feuer und Karbatschenhieben zusetzle, ja selbst ihn zeilweise
fesselte. Was war nalirlicher, als ‘dass sich Pisterich dagegen
striubte und seinen Inhalt, sobald dieser ihm zu heiss wurde,
mit prasselndem Gelése, in Gestalt starker Vapeurs, von sich
gab, Aber gerade dies hatte man beabsichtigt — und vorlaufig
zweifelte man nicht mehr daran, seine urspringliche Bestim~
mung entdéckt zu haben. Hierzu kam, wie das noch heut bei
	  ahnlichen Gelegenheiten haufig der Fall ist, dass man die wahr-
	genommenen Kraftéusserungen des Unholds, wie solche das
siebente Kapitel ausfihrlich schildert, um vieles tbertrieb
und ‘sie als wunderbar und tbernatirlich ausposaunte. Wah-
rend nun Einige, wie schon bemerkt, das Geheimnissvolle des
Pisterich mit Zuversicht entdeckt zu haben glaubten, trat bei
Anderen ein um so grisserer Zweifel tber ihn an’s Licht und
yon Neuem verlor man sich in eine Menge mehr oder weniger
gehaltloser Hypothesen. Die Zahl derselben ist so gross, dass
sich hier der Verf. selbst gendthigt sieht, das achte Kapitel,
welches -dieselben naher beleuchtet, in fiinf einzelne Paragra-
	den, Girardet, Hebert, Ott, ©. Stokar, Zeller, — kei-
nes also von deutschen Kiinstlern!
	Haunstliteratur.
	Der Piisterich xu Sondershausen,. kein Giitzenbild. Ип-
lersuchung. iiber dessen urspriingliche Bestimmung von Mar-
lin Friedrich Rabe. Mit einer Abbildung. Berlin 1852.
Ernst und Korn (Gropius’sche Buch- und Kunsthandlung).

V1 und 234-8, in 8

Nachdem uns der Verfasser im Vorwort mit dem kupfer-
nen Gegenstande seiner Untersuchung, den er in einer, dem
Stoff angepassten, launigen Weise mit einem »Findling* ver-
gleicht, ,,dessen Herkommen und frithere Verhaltnisse ganalich
unbekannt sind u. s. w.“, паВег vertraut gemacht hat, geht er
ihm selbst in sechszehn Kapileln, die mit Anmerkungen reich
ausgestatlet sind, griindlich zu Leibe, indem er aus Allem, was
брег Шип gemuthmasst und geschrieben worden, ein genaues
Bild von seinen wirklichen und angefabelten Eigenschaften ent-
wirft und ihn dann endlich in sein urspriingliches Recht, als
Diener der christlichen Kirche, wieder einsetzl. — Folgen wir
dem Gange der Untersuchung:
	Das erste Kapitel ist ein wahres Quellen- Compendium.-
	In diesem fihrt der Verf. die gesammte, weitschichtige Litera-
tur vor, die sich seit einer Reihe von fast drei Jalirhunderten
tiber: den betreffenden Gegenstand gehauft und ihn allmahlig zu
einer so ausserordentlichen Wichtigkeit erhoben hat, dass es
sich noch heut verlohnt, eine umfassende Abhandlung, wie die
vorliegende, dariber auszuarbeiten. Das Ganze. ist mit wahr-
Ван bewunderungswiirdigem Fleisse chronologisch geordnet,
das Einzelne seinem Inhalte nach kritisch gesichtet und somit
fiir die, in den folgenden Kapiteln enthallene Specialforschung
der sichere Grund und Boden gewonnen. Wie mit der Piste-
rich-Literatur, so werden wir auch mit den kiinstlerischen
Leistungen, die sich. darauf beziehen, den mannigfachen, ge~
zeichnelen und plastischen Piisterich-Portraits in einer den
Stoff erschépfenden Weise bekannt gemacht. — Im zweiten
Kapitel steht uns die nahere Bekanntschaft des Gefeierten be-
yor. Hier erblicken wir ihn in seiner dusseren, nackten Be-
schaffenheit nach Gestalt, Grosse, Gewicht u.s. w. Mit wahr-
haft steckbrieflicher Genauigkeil. werden sowohl seine allgemei-
nen Eigenschaflen, wie auch seine ,besonderen Kennzeichen*
hervorgehoben, so dass wir schon hier Gelegenheil haben, an
den -vielseitigen ‘Contusionen, die ihm: periodisch durch Hiebe,
Stésse u. s. w. beigebracht sind und die sich selbst auf gewis-
sen ,unaussprechlichen* Theilen seines Kérpers durch schné-
des Flickwerk bemerklich machen, die Gefahrlichkeiten zu..ah-
nen, denen er auf seinem mehrhunderijahrigen Lebenswege
ausgesetzt war. Von besonderem Interesse sind auch bei die-
sen Kapitel die als Noten angehangten Quellennachrichten. Sie
iheilen nicht nur die mitunter héchst ergétzlichen Ansichten al-
terer Forscher tiber das Aeussere des Piisterich mit, vielmehr
noch belehren sie tber die Art der Verferligung solcher ku-
pfernen Bursche im Millelaller, tiber das Gussverfahren u. s. w.
in jenen friheren Zeiten. — Mit dem dritten Kapitel, wel-
ches sich tiber die Auffindung des Pisterich ausfihrlich ver-
breitet und die -Zeit derselben in die Mitte des sechszehnten
Jahrhunderts, den Ort dagegen in eine unterirdische Kapelle
des auf dem Kyffhiuser getegenen Schlosses Rotenburg verlegt,
beginnt die Schilderung seiner interessanlen, iiberaus folgerei~
chen Wanderung. Kaum hinausgetreten in die Welt, kniipfen
sich -gleich an sein eigentliimliches Erscheinen die mannigfach-