ten Hand, eine Schriflrolle, sellner cin Buch. Шегш, sowie
in der durchaus rémischen Gewandung, in der eigenthimlichen
Art, mit welcher der Mantel getragen, mit welcher durch festes
Umziehen desselben um den zusammengebogenen Arm ein Sinus
hervorgebracht wird, zeigt sich die lebendige Nachwirkung der
antiken Kunstanschauung.

Dagegen bekundet die freie Individualisirung der Gestalten
und der Képfe unwiderleglich das Walten einer so selbststin-
digen, originalen, urwiichsig frischen Kinstlernatur, dass wir
unbedenklich hierin die ersten michtigen Spuren des germani-
schen Geistes ansprechen missen. Es ist in diesen Gestalten,
die lebensgross sich von der Wand heben, eine Macht der Er-
scheinung, eine Lebensfille, eine bei aller statuarischen Ruhe
doch tief begriindete, fein niiancirte Bewegung, die nur einer
wunderbaren Verschmelzung realen und idealen Sinnes, die nur
dem Héhenpunkt einer vorhergegangenen langen Entwicklungs-
reihe zuzuschreiben ist. Ja, in einigen Gestalten erscheinen
jene Eigenschaften in so edler Weise harmonisch verbunden,
dass wir diese fiir den méglichst hohen Ausdruck des kinst-
lerischen Wollens und Konnens jener Zeit ansehen miissen.
In scharfer Bestimmtheit, als habe der Maler sich die nackten
Kérper erst hingezeichnet, bevoreer sie mit dem Gawande be-
kleidete, setzen sich die cinzelnen Glieder an einander; die
Gewandung, weit entfernt, wie so oft in der Malerei des spa-
teren Mittelalters, den Kérper unkenntlich zu verhillen, legt in
treuem und doch freiem Anschluss die Formen der Gestalt, ihre
Ueberginge, ihre Bewegungen dar. Dabei ist mit Glick auf
grosse, klare Flichen hingearbeitet, die von einem vielfach
complicirten, im Allgemeinen gliicklich motivirten Fallenwurfe
begrenzt und hervorgehoben werden. Der Eindruck dieser Ge-
wandung ist daher ein ungemein reicher, wenn auch hin und
wieder etwas tiberladener, ja in gewissen scharfgebrochenen
	Linien selbst manirirter, selten jedoch unklarer.
(Fortsetzung folgt.)
	Пюре ев.
	Gestalt als Brustbild. Zeugt hier die zwanglose Verwendung
und Ausfillung des Raumes von feinem architektonischen Sinne,
so tritt derselbe nicht minder in der Behandlung der Fenster-
laibungen zu Tage. Diese enthalten an jedem Fenster zwei
Apostelgestalten, die statt der Architekturumrahmung einen schén
gezeichneten Arabeskensaum als Umgrenzung haben. Der obere,
im Halbkreis gewdlbte Theil wird durch ein Medaillon ausge-
ГАШ, das im Miltelfenster das Lamm mit der Siegesfahne, in
den beiden seillichen Fenstern Brustbilder umschliesst. Waren
somit zehn Aposte]l in der Apsis untergebracht, so bot die der
Nische vorliegende Wandflache, die den Chor perspektivisch
vertiefen half, an ihrer nérdlichen Seite Raum fir die beiden
letzten Apostel, die sich oben, ohne jene kleineren engelartigen
Gestalten, mit einer mannichfaltigen Archilekturbekrénung be-
gniigen miissen. Ihnen gegeniiber nimmt die siidliche Wand
den Patron der Kapelle, den h. Nikolaus, auf, der, in cinem
abnlichen Baldachin stehend, von zwei schwebenden gefligelten
Engeln die Tiara und den Bischofsstab erhalt, w&hrend unten
jederseits drei kleine schutzflehende Figiirchen, zum Theil
Frauen, sich an ihn wenden.

So verslindlich im Allgemeinen simmtliche Darstellungen
sind, so zweifelhaft bin ich tiber die Erklérung der zu Haupten
der Apostel angeordneten kleineren Figuren. Dass sie Engel
seien, ist nicht wahrscheinlich, da ihnen keine Fligel verliehen
sind; selbst ob sie weibliche oder mannliche Personen bezeich-
nen, ist unklar, obwohl ersteres eher zu vermuthen steht. We-
nigstens wirden dafiir die weiblich feinen bartlosen Gesichter
sammt dem langen Lockenhaar sprechen. Ihre Bekleidung be-
steht, wie die simmilicher Apostel, aus der altrémischen, Un-
tergewand und Mantel. Die beiden in den Fensterlaibungen
angeordneten halten je einen Reichsapfel und das Scepter in
Handen; das auf dem Reichsapfel befindliche Kreuz hat bei
der einen zwei, bei der andern nur einen Querbalken. Ob
damit eine Personifikation der geistlichen und weltlichen Macht
gemeint ist? Von den tibrigen vieren sind zwei mit Diadem
und Scepter geschmiickt, die dritte hat einen Kelch, die vierle
einen Palmzweig in Handen. Alle sind durch runde Nimben
ausgezeichnet. Ware von den Gemilden Nichts erhalten ausser
diesen kleinen Figitirchen, so wiirden sie allein hinreichen, eine
hohe Vorstellung von dieser Kunstbliithe, von dem edlen Styl,
der feinen Empfindung dieser Werke zu erwecken. Die Kopf-
chen sind yon liebenswirdiger Anmuth, einige sogar in Haltung,
Ausdruck und schéngeschwungenem Fall des reichen Locken-
haares von bezauberndem Reiz. Dazu kommt, dass nicht etwa
ein herkémmlicher Typus schematisch wiederholt wird: viel-
mehr begegnet uns in der verschiedenen Motivirung der Ge-
biarde, der Kérperwendung, welchen die Gewandung und die
prachlige Lockenfiille sich harmonisch anschliesst, eine Feinheii
kiinstlerischen Gefiihles, die zur Bewunderung hinreisst.

Steigen wir mit unsrer Betrachtung zu den Gestallen der
Apostel nieder, so erkennen wir sofort denselben Geist edelster
Individualisirung in noch bedcutungsvollerem Walten wieder.
Auf den erslen Blick gewahrt man klar, dass dem Meister die-
ser Bilder die Persdnlichkeiten der Apostel als bestimmte Cha-
raktere vor Augen standen, denen er hier den enlsprechenden
Ausdruck zu geben bestrebt war. Nicht aber bediente er sich
dazu der in spaterer Zeit so beliebten Bezeichnung durch Em-
bleme: nur Petrus halt auch hier seine miachtigen Himmels-
	schliissel, und Paulus — die beiden Apostelfirsten befinden
sich an der Wandung des mitUleren Fensters, tiber ihnen im
Medaillon das Lamm — fithrt das Schwert, mit welchem er
	enthauptet wurde. Ausserdem traégt nur Andreas ein kleines
Kreuz in Handen. Im Uebrigen halt Jeder in der Rechten oder
Linken, und zwar fast immer nur mit der vom Mantel umhiil-
	Derniers Moments du Comte dhgmont. Peint par
Louis Gallait. Tiré de la Galérie du Mr. Wagner &
	Berlin. Gravé par Achille Martinet. Disseldorf, Jutius
Buddeus , Editeur etc.
	Wir glauben voraussetzen zu diirfen, dass das Gemalde des
belgischen Meisters, welches dieser Kupferslich vergegenwar-
tigt und welches eine Zierde der Wagencr’schen Sammlung zu
Berlin ausmacht, unsern Lesern entweder aus eigner Anschau-
ung oder durch Berichte, die friher iiber dasselbe erschienen,
bekannt sein wird. Es gehért zu jenen lragischen Scenen der
flandrischen Geschichte, in deren Darstellung Gallait seine Grésse
sucht. Es ist Egmonis letzter Morgen. Er hat die Nacht in
geistlichen Uebungen mit Martin Rithov, dem Bischofe von
Ypern, zugebracht; nun bricht das Tageslicht in das Fenster
herein; er ist aufgestanden und blickt durch die Scheiben hin-
aus. Wobei der Beschauer des Bildes allerdings soviel Historic
milbringen mag, um zu wissen, dass das Fenster des Gemaches,
welches Egmont die letzte Herberge gewahrt halle, auf den
grossen Markt von Briissel hinausging, und dass sich dort iiber
Nacht, — das letzte Zeugniss des unbeugsamen Willens seiner
Henker, — das Schaffot erhoben halite, welches fiir ihn und
fir Hoorn bestimmt war.

Diejenigen, die lediglich nur von einem plaslischen Auf-
bau der kiinstlerischen Composition wissen wollen, werden von
der Anordnung dieses Werkes nicht sehr befriedigt sein. Zur
Linken steht Egmont, eine cinfache Knicfigur, die rechle Hand