leicht auf den Fenstersims aufgestutzt, in der andern ein klei- nes Gebetbuch; zur Rechten sitzt der Bischof, der ein grésse- res Buch auf dem Schoosse hat und jenen mit sorglicher Ge- berde von der Betrachtung dessen, was draussen ist und was seine Gedanken von der Verséhnung mit dem Schépfer leicht wiederum ablenken kénnte, zuriickzufiihren sucht. Ein son- derlich kunstreiches Studium der Umrisslinien ist somit in dem Bilde nicht vorherrschend, vielmehr das einfachste ruhigste Ne- beneinander, wie es sich eben-im Leben selbst gefiigt haben mochte. Eine charakteristische kinstlerische Wirkung hat Gal- lait hier mit Entschiedenheit in den speziell malerischen Mit- teln gesucht. Am rechten Rande des Bildes ist ein Betstuhl (der Brief, den Egmont in jener Nacht an Konig Philipp ge- schrieben, liegt darauf), und tiber demselben ragt ein Crucifix empor, welches die Kerze deckt, die ihnen die nachtlichen Stunden hindurch geleuchtet hat. So ist es das Kerzenlicht von der einen, das Tageslicht von der andern Seite und das Durcheinanderweben beider in der Mitte des Bildes, was dem letzteren den kinstlerischen Reiz und zugleich die eigenthiim- liche Stimmung giebt, auf deren Grunde der individuelle Aus- druck dieser beiden Gestalten und ihrer Gesichter, und vor- nehmlich der des edlen Verurtheilten, sich herausbildet. Fir die Nachbildung im Stich aber musste dies die er- denkbarst schwere Aufgabe gewahren. Es kam nicht auf ein einfaches Verhaltniss von Licht und Schatten und ihrer Ueber- ginge und jener lichten Schattenbetonung, welche wir Helldunkel nennen, an; Alles ist hier doppelt, von den beiden enlgegen- geseizten Seiten des Bildes verschieden gegeneinanderwirkend, zu einem lebhaften Wechselspiel der Téne und Lichthauche sich durcheinander schlingend. In der Malerei waren die Mittel zu solcher Kunst durch die Nachahmung der verschiedenen Lichtfarbungen gegeben; in der Zeichnung, im Stich musste es darauf ankommen, ob es mdglich sein werde, bei Abwe- senheit aller wirklichen Farbe durch die verschiedene Weise der Behandlung dennoch einen Hindruck zu erzielen, welcher dem der Farbungen entsprechend, welcher auch jene Wechsel- wirkungen der Farbenténe in sich aufzunehmen im Stande wire. Der Stecher des vorliegenden ‘Blattes hat hierin unsres Bediin- kens das Erreichbare erreicht, und dabei in einer Weise, der wir, da sie véllig ungesucht und ungekiinstelt ist, ganz beson- ders unsern Beifall schenken miissen. Sein linearer Vortrag ist im Wesentlichen tiberall gleich und zunachst nur je nach den stofflichen Unterschieden der dargestellten Gegenstinde im Einzelnen verschieden. Dabei aber hat er mit glicklichem Scharfblick die verschiedene Intensitat des verschiedengefarbten Lichtes, die grésseren oder geringeren Gegensalze zwischen Hell und Dunkel, welche hicbei stattfinden, die gréssere oder geringere Weichheit der Uebergange, welche dadurch veranlasst wird, ins Auge gefasst und hiernach das Gesetz seiner Taillen, far die eine und die andere Weise der Beleuchtung und fir das Durcheinanderspielen beider, geregelt, So ist in der That ein gu- ter Theil jener — wenn der Ausdruck erlaubt ist: musikalischen Lichtwirkungen des Gemildes auf den Stich tibergegangen. Hiemit und mit der energisch vollen Gesammthaltung, in welcher das Blatt gearbeitet, ist denn auch jene Poesie der Stimmung wiedergegeben, die bei der Betrachtung des Gemal- des, noch ehe wir den Inhalt desselben entrathselt haben, un- ser Gemiith ahnungsvoll erfillt. Von dieser Gesammthaltung und Stimmung nmschlossen, ist endlich alles einzelne Gegen- standliche in entschiedener Charakteristik durchgebildet, sowohl die Stoffe der Gewandung, als ganz besonders das Physiogno- mische in Handen und Képfen ). Egmont, von dem scharferen 4) Kopf uud Hinde des Bischofs, auf der schwierigsten Stelle des bil- Tagesscheine beleuchtet, tritt als die Hauptfigur dem Auge am Wirksamsten entgegen, und der geistige Ausdruck, das Zucken des tiefen Seelenschmerzes unter der Ruhe einer stillen mann- lichen Fassung, ist in diesem schénen Kopfe sehr gliicklich wiedergegeben. Auch wer den Inhalt der Darstellung nicht kennt und vielleicht der Ansicht ist, dass selbst ein Geschichts- bild ohne historische Voraussetzung véllig verstandlich sein miisse, wird vor dem Stiche wie vor dem Bilde die Ueberzeu- gung gewinnen, dass hier nach einer, in schmerzvollem Ernste durchwachten Nacht ein tragischer Morgen tagt. Wir freuen uns des Blattes, da es jene strenge historische Kunst, der Gallait sich gewidmet und die er zu so hoher Voll- endung gebracht hat, zunachst an diesem Beispiel weiteren Kreisen zur Anschauung bringt. Dem rechten Werke aber sind weitere Wirkungen beschieden, und so wollen wir hoffen, dass auch dies Blatt seinen Theil ktnstlerischer Mission erfiille. — Die Grisse desselben, oder vielmehr die des eigentlichen Sti- ches, ist c. 132 Zoll Breite bei 114 Zoll Héhe. FF, KMugier. BHiunstliteratur. Die hihere ZLeichenkunst theoretisch-praktisch, historisch und dsthetisch entwickelt т finfzig Briefen, enthaltend die Grundregeln der perspectivischen Wissenschaften, der Lehre vom Clairobscur, der Farbenlehre, eine Anweisung nach Gyps und nach dem Naturmodell su zeichnen, eine Charakteristik der Antike, A. Diirer’s und Raphael s, nebst einer Analyse der drei Hauptgattungen der Malerei und einem Urtheile iiber die neuesten Werke von Friedrich Overbeck und Peter von Cornelius. Von Dr. Johann Christian Elster. Mit 40 Holzschnitten, 2 colorirten Bldttern und 2 Registern. — Leipzig, Rudolph Weigel. 1853 (XX u. 2328. in 8). »Der Verfasser dieses Werkchens glaubt durch die Her- ausgabe desselben angehenden Zeichnern und Kunstjiingern, so wie auch manchen Lehrern, welche den Unterricht schon vor- gertickterer Schiller zu leiten oder zu ertheilen haben, sich nlitzlich zu machen. Insbesondere aber hatte er das jingere Geschlecht vor Augen, welches bei jugendlicher Frische des Gefiihls fir das Schéne sich sowohl die néthige Hinsicht in den technischen Theil der Kunst, als auch einen zunichst ausrei- chenden Ueberblick tiber das Gebiet der Malerei erwerben will. “ Es ist vornamlich die Absicht des Verf., wie uns das Vorwort, welches mit obigen Worlen beginnt, ferner belehrt: ,,Den fast nur obenhin geleiteten Zeichenunterricht auf bestimmte, durch- aus ktinstlerische Elemente zurtickzufihren, wobei es ihm denn wesentlich darum zu thun ist, durch eine ,,rationelle Ausbil- dung im Zeichnen“ auf die Erweckung des Schénheitssinnes und die Verfeinerung des Geschmackes einzuwirken, Er geht demnach von dem gewiss einzig richtigen Gesichtspunkt aus, dass das beste Mittel, diesen Zweck zu erreichen, darin be- steht, ,,dass man jeden Anfanger in der Kunst so unterrichle, als ob er ein vollkommener Maler werden sollte, da hier- bei das wahre Talent nicht nur am meisten gewinnen, sondern auch der blosse Dilettant nicht verlieren wiirde“. Den Inhalt des Werkes hat der Verf. nach dem systemali- des hefindlich, wo die beiden entgegengesetaten Lichtwirkungen zum spie- lenden Helldunkel zusammenfliessen, sind vielleicht (ohne indess weder die Totalwirkung noch den Ausdruck zu becintrichtigen) ein wenig zu hart behandelt. Die Thrainen auf der Wange des Bischofs sind wirklichen Thré- nen nicht ganz ibnlich; sie erscheinen mehr als das, womit die Thranen von den Poeten gern verglichen werden, —- als Perien.