Freisinnigkeit, welche denn auch die Behérde selbst auszeichnet,
wird es sogar den Fremden erméglicht, sich die bedeutendsten
Kunstwerke, vorzugsweise die Werke alintirnbergischer Skulp-
tur, in Abgiissen iiber den Originalen, anzueignen.

Das wesenlliche Verdienst um diese Art der Vervielfalti-
gung der niirnbergischen Kunstschilze, die so dem Studium
mittelalterlicher Kunst ein Allgemeingut werden, gebiihrt zu-
nichst den tiberaus thaltigen Mannern Fleischmann und L.
Rotermundt. Ersterer, Besilzer der durch ihre Fabrikate
‘seit Jahren bekannten Papiermaché- Fabrik, fiihlte sich, unge-
achtet eines Alters von 74 Jahren, noch thatkraflig genug, um
in Gesellschaft seiner Sdhne, neben seiner umfangreichen Fabrik,
eine Gypsgiesserei im grossartigen Maassstabe anzulegen. In
Verbindung mit L. Rotermundt, dem Bildhauer und -Schnitzer,
dessen Namen langst iiber die Stadt Nirnberg rihmlichst hin-
ausklingt, hegann er vor etwa einem Jahre mit kleineren Ver-
suchen der Art. Der lebendige und kraflig fortschreitende Geist
Rotermundl’s indess begniigte sich bald nicht mehr mit ‘blossen
Versuchen, und schon nach einigen Monaten wagte man sich an
gréssere Reliefs und Statuen, indem man von ihnen eine ela-
stische Leimform abnahm und vermittelst dieser Abgiisse fertigte.
Einen bedeutenden Aufschwung erhielt alsbald. diese Formerei
durch eine ausgedehnte Bestellung von Seiten des britlischen
Museums, das unter anderen, grossartigen Arbeiten auch einen
vollstindigen Abguss von dem Portal der Lorenzkirche verlangte.
Die Unternehmer, hierdurch ermuthigt, verstérkten ihre Thatig-
keit nun um so mehr, und weit davon entfernt, vor etwaigen
Schwierigkeiten, die sich ihnen bei derartigen, massigen For-
men darbieten dirften, zuriickzuschrecken, betrachtelen sie
solche Aufgaben vielmehr als zumeist gecignet, ihre Kraft zu
prifen und ihren Ruf fester zu begriinden. Dieser englischen
Bestellung folgten sehr bald andere, nicht minder umfassende,
von. denen ich hier nur einen ausgedehnten Auftrag des Herrn
_Generaldirektors v, Olfers far das Berliner Museum und einen
zweiten, abnlichen des Herrn Staatsrath und Direktor Thom-
sen fiir das Museum in Kopenhagen erwahnen will.

Ich hatte bei einer diesjahrigen Anwesenheit in Nirnberg
Gelegenheit, die in der Anstalt herrschende Thatigkeit naher
kennen zu lernen, und muss die grosse Sorgfalt riihmen, mit
welcher R otermundt die Reinigung der zum Abguss bestimmten
Originale, wie insbesondere die ganze Manipulation des Formens
iiberwacht. Mit wahrem Vergniigen beobachtete ich, wie man
cine anscheinend plumpe Figur vom Portal der Lorenzkirche
von ihrer hundertjihrigen Tinche befreite. Nach und nach,
unler fortdauernd behutsamem Ablésen von Staub und Kalkfarbe
erleble sie eine formliche Wiedergeburt, und nach etwa drei-
stiindiger Arbeit zeigte sie sich als cin reizendes Werk von
héchster Zartheit und Vollendung. Dieses Beispiel aber beweist,
dass gleichzeitig mit dem Fortblihen dieser Fabrik auch die
zum Theil sehr iibertiinchten Werke alinirnbergischer Skulptur
eine Auferstehung feiern werden. Mége denn die Fleisch-
mann—-Rotermundt’sche Formanstalt ihrer Vaterstadt zu
Nulz und Ehre und dem ausheimischen, kunstliebenden Publi-
	kum zur wissenschaftlichen Férderung, schaffend fortschreiten.
H. Weiss.
	Becker, ein hollandischer Numismatiker.
	Im Verlaufe dieses Winters wird hier in Amsterdam ein
hichst merkwirdiges und bedeutendes Kabinet antiker und mo-
derner Minzen zur Versteigerung kommen; man sagt, dass der
Katalog, mit dessen Anfertigung man gegenwartig beschaftigt
ist, an die 15,000 Nummern zéhlen wird.
	Der Sammier des Kabinels, Becker mit Namen, starb be-
reits vor mehreren Jahren; nach Allem, was ich von diesem
Manne vernehme, bietet derselbe ein héchst frappantes und ori-
ginelles Bild eines leidenschaftlichen Numismatikers, welches
an die Schépfungen Hoffmann’s und anderer Romantiker erin-
nert, so dass ich nicht umhin kann, Ihnen etwas Naheres dar~
liber mitzutheilen.

Wie fast alle Miinzsammler, gehirte Becker der gewerbe-
treibenden Klasse an: er war Mitbesitzer eines fusserst fre—
quentirten Kolonialwaarenladens, in der Hoogstraat im hiesigen
Judenvierlel gelegen, unter dem Namen ,,de smeerige Toonbank«
(der schmierige Ladentisch) in ganz Amsterdam und der Um-
gegend bekannt und bertihmt. Durch sein Gewerbe selbst also
mochte Becker auf die Minzkunde gefihrt worden sein, wie es
denn frither, bevor Holland dazu tiberging, seine kursirende
Miinze umzuprigen, kein geringes numismatisches Talent erfor—
derte, die vielfachen, beschnittenen und abgenutzten Minzsorten
gehérig zu unterscheiden. Einmal als Kenner bekannt, wandte
sich Alles, was im Besitze unbekannter und seltsamer Geld—
stiicke war, an unsern Sammler, vom hausirenden Handelsjuden
bis zum heimkehrenden Matrosen, vom Mutterséhnchen mit sei-
nem Spartopf bis zur verarmten Biirgerfrau mit ihren lange
zurtickgelegten Denkmiinzen. In wenigen Jahren wuchs die
Liebhaberei zur uniberwindlichen Leidenschaft heran, und bald
war Becker in ganz Holland als Minzkenner berthmt: Becker
léste wie Keiner die schwierigsten numismatischen Rathsel, las
und entzifferte nicht nur die Inschriften lebender Sprachen, son-
dern auch der todten, die altpersischen, griechischen, chinesi-
schen, arabischen u. s. w. nicht ausgenommen. Und auch tiber
die Grenzen seines Vaterlandes hinaus verbreitete sich sein
Ruf; man konsultirte ihn von allen Enden der Welt und manche
archdologische Gesellschaft, wie die zu Madrid, machte ihn zu
ihrem Mitgliede. Mit seiner linguistischen Kenntniss soll auch
Becker’s Geschichiskunde Hand in Hand gegangen sein,

Und so haufte der seltsame Mann, sein Gewerbe emsig
fortsetzend, aber auch nebenbei mit Gold~ und Silberbarren
Handel treibend, in seinem ecngen Comptoir sitzend, Schatze
auf Schitze. Hier lebte er still und einsam seinen Studien und
— seiner Leidenschaft, ein cynischer Philosoph; weder die Freu-

den der Tafel reizten ihn — er selbst kochte sich von Zeit zu
Zeit eine Hand voll Reiss, seine Licblingsspeise, die ihm seine
eigenen Tonnen boten — noch die Freuden der Liebe und der

Geselligkeit, denn er war und blieb unbeweibt und seine Haus-
genossen waren angewiesen, die Thir hinter ihm zu verriegeln,
wenn Alles ausflog. So lebte er und so starb er. Man fand
ihn eines Tages ganz unerwartet todt auf seinem Lager liegend,
gekleidet in einem abgeschablen drmlichen Rock — im Zu-~
stande der gréssten Selbstverwahrlosung, die Hinde krampfhaft
geschlossen und Goldmiinzen fassend!

Aber seine bedeutende Miinzsammlung, die man blos vom
Hérensagen kannie, hinterliess er in einem wahrhaft chaoti-
schen Zustand: alle Ténnchen, Siebe, Schubfacher u.s. f. wa-
ren mit Minzen angefillt und es gelang nicht, trotz der eifrig-
sten Nachforschungen, etwas Schrifiliches von Becker’s Hand
liber die Sammlung aufaufinden.

Dass die Katalogisirung des Schatzes keine geringen Schwie~
rigkeiten bot, versteht sich von selbst; wie ich vernehme, haben
sich die hiesigen Miinzliebhaber in diese Arbeit getheilt und
somit dirfte der Minzkatalog einen interessanten Beitrag zur
numismatlischen Literatur abgeben.
	Amsterdam, im Oktober.