-vollen offnen Ausdruck ihres bezaubernd lieblichen, von leich-
tem Lockenhaar umwallten Képfchens den Beschauer anblickt.
Diese oberen Figuren haben mit Ausnahme des etwas kurzen
Laurentius schlanke, grossartige Verhillnisse, die noch geho-
ben werden durch die hier einfacher gehaltene, wiirdevoll sty-
lisirte Gewandung, wahrend unten die Apostel zu kurze Korper
  und meistens zu unruhig behandelle Gewander haben.

In dieser nach oben zunehmenden Grésse der Gestalten
scheint eine woblberechnete Absicht des Kiinstlers zu liegen,
denn die Figuren Jer vier Gewélbkappen haben kolossale, alle
andren iiberbietende Verhallnisse. In der dstlichen, der Ge-
meinde zugekehrien Kappe thront Christus, von einem reichen,
reliefartig mit Stuck aufgelegten, vergoldeten Nimbus das Haupt
umgeben, in einem ahnlich behandelten grossen Medaillon, das
von zwei michligen knicenden Engeln gchalten wird. In den
Gesichtsziigen des Herrn sieht man deullich, wie hier die
selbstindig schépferische Kraft des Malers noch im Banne typi-
scher Ueberlieferung gehalten wurde, wahrend sie an allen
ibrigen Gestalten sich in voller Freiheit erging. Es ist die
althergebrachte, feicrlich strenge Auffassung der byzantinischen
Mosaiken: Janges Oval des Anilitzes, gespaltener Bart, lang
herabwallendes, in der Mitte gescheitelles Haar, lange, schmale
Nase. Die Rechte ist segnend erhoben. Seltsamer Weise ist
das ganze Gesicht schief gezeichnet.

Merkwirdig und abweichend vom Herkommen erscheint,
dass die vier Evangelisten, die an dieser Stelle stets den Hei-
land zu umgeben pflegen, fehlen, bis auf den einen Johannes,
der an der siidlichen Gewélbkappe zundchst dem Herrn darge-
stellt ist. Er halt ein Spruchband mit der in theils rémischen
theils gothischen Majuskeln ausgefiihrten Inschrift: ,, Ja princt-
pio erat verbum.“ Mehr als diese Worte bezeichnet ihn jedoch
die wahrhaft mystische, acht apokalyplische Tiefe, die erhabene
Schénheit des Gesichtes, das in edlem Oval von frei geschwan-
genen Locken umgeben ist, und dessen machtig grosse braunc
Augen mit den kihn geschwungenen Brauen wunderbar ergreifen.
Grésser und gewalliger mag niemals die Kunst den begeisterten
Scher der Apokalypse gedacht haben. Neben ihm steht ein
heiliger Bischof in reichem Gewande. Auf diesen folgt an der
westlichen Gewoélbkappe ein anderer Bischof; neben dicsem cine
Gestalt, welche die Hand mit ausgestreckter Flache vor sich
halt. An der noérdlichen. Kappe, dem Evangelisten gegeniber,
eine michtige, dem Anscheine nach weibliche Figur mit pracht-
voller Krone und langherabwallendem Schleier auf dem Hauple.
In der Hand halt sie eine Schriftrolle mit grésstentheils zer-
storten Buchstaben. Der Anfang laulet: QUI LUC ....T..
Sollte sie vielleicht das alle Testament vorstellen, gegeniiber
dem Reprasentanten des neuen Bundes? Neben ihr ist die h.
Katharina durch Diadem, Palme und Rad kenntlich. Alle diese
oberen Gestallen haben dic grossartigsten Verhiltnisse, edlen,
einfachen Faltenwurf und wiirdevolle Képfe. Jede dieser drei
Kappen ist durch ein aus dem Gewdlbscheitel gerade hinablau-
fendes gemaltes Architekturband halbirt.

In der nérdlichen Scitenapsis zeigt sich die Gestalt Johan-
nes des Taufers. Er halt in der Rechten eine Palme, das Zei~
chen seines Martyrerthums, in der Linken mit dem Mantel zu-
sammen ein Medaillon mit der Darstellung des Lammes. Diese
Gestalt mit der edel molivirten Gewandung, dem liefsinnigen,
fast schwarmerischen Ausdruck der dunklen Augen, dem schonen
  Oval des Kopfes ist eine der schénsten. Ihre Verhaltnisse sind
etwas kleiner noch als die der Apostelfiguren des Chores. Die
siidliche Nische enlthalt einen Heiligen nebst Bittenden, in der
	Anordnung an den h. Nikolaus in der Soesler Kapelle erinnernd.
(Schluss folgt.)
	rizontalsims niederlaufendes Fenster die ganze Bildwand in zwei
Hallten. Diese Flachen enthalten nun in zwei Reihen tiber ein-
ander Dildliche Darstellungen; in der unteren die Apostel, und
zwar paarweise geordnet, an jeder Seite des Fensters zwei; in
der oberen dagegen nur je eine Figur. Die Anordnung ist eine
ihnliche wie in der Nikolaikapelle zu Soest, so zwar, dass ge~
malte Saulchen die Baldachine und thurmahnlichen Architektu-
ren tragen, welche den Geslalten als Rahmen dienen. Ueber
(ler unteren Reihe bildet ein gemalles horizontales Band die Basis
fir die oberen Figuren, die in dbulicher Weise unter Baldachine
gestellt sind. Petrus und Paulus, kenntlich durch Schlissel
und Schwert, haben ‘auch hier den vornehmsten Platz an der
der Gemeinde gegenitiberliegenden Ostwand erhalten. Ueber
ihnen sieht man an der einen nérdlichen Seite des Fensters den
Erzengel Gabriel in hastiger Eile nahen, um der Jungfrau Maria
die Botschaft vom Himmel zu verktindigen. Seine Gewander
fliegen, die Fliigel sind ausgebreitet und fillen in geschickter
Weise den eng begrenzten Raum; der eine Arm ist zerslort,
die Rechte aber begleitet mit bedeutungsvoli aufgehobenem Fin-
ger die Botschaft des Heils. Gegeniiber steht die h, Jungfrau
in prachtvollem, golddurchwirktem Purpurgewande, das als
Schleier die Stirn mit bedeckt; sie halt in demithiger Bewe-
eung halb erschrocken, halb abwehrend die offnen Hinde vor
sich, dem Beschauer entgegen. Zu Fiissen neben ihr eine
grosse Blume, wahrscheinlich eine Lilie.

Die Apostel an den beiden anderen Seiten sind nur hin
und wieder durch Embleme bezeichnet; dagegen driickt sich in
ihren Képfen der Charakter in noch entschiednerer, ja zum
Theil machtvollerer Charakteristik aus, als an den Aposteln der
Nikolai-Kapelle. Man glaubt hier das Streben nach Individua-
lisirung auf einer noch fortgeschriltneren Stufe zu erkegnen.
Die Gewandung ist auch hier die altrémische und zwar eine
nicht minder reich drapirte, Doch erscheint der Faltenwurf, so
sehr er sich den Kérperformen anschliesst und den Bewegungen
folgt, nur selten in so edler, grossarliger Stylisirung wie an
den Gestalten der Nikolai~Kapelle; dfter bemerkt man hier ein
schwiilstiges, unklares, unschdnes Wesen. Auch sind die Ge-
birden hier minder ‘frei; vielmehr nehmen die Arme vielfach
gezwungene Haltung an, und die Hande, erstaunlich ungeschickt
und unrichtig gezeichnet, sind zu gezierten Gesten verwendet,
die allerdings von dem Streben, die nebeneinandergestellten
Figuren in lebendigere Wechselbeziehung zu bringen, aber auch
yom Misslingen dieses Versuchs Zeugniss ablegen. Gleichwohl
sind manche Figuren sehr schén und grossartig drapirt, wenn
auch keine einzige hierin das Beste der Nikolai-Kapelle erreicht.
Die Képfe dagegen haben meistens eine Kraft, einen Ausdruck,
eine Wiirde, den wiederum kein Kopf in jener Kapelle erreicht,
zum Mindesten nicht tibertrifft.

Die oberen Darslellungen der Siid- und Nordseite, die der
auf der Ostseile -gemalten ,,Verkiindigung“ entsprechen, ent-
halten nur einzelne Heilige, deren Beziehungen zu dieser Kirche
oder ihren. Sliflern sich nur theilweise angeben lassen. So ist
die durch Diadem, Palme und den von ihren Fitssen zertretenen
Drachen kenntliche h, Margaretha dic Schutzpatronin der Kirche.
Eine andre Heilige, durch ahnliches Diadem und goldgewirktes
Gewand ausgezcichnet, ist leider theilweise zerstért. Nur noch
der h. Laurentius an der Stidseile ist zu erkennen, mit reich-
geschmiicktem Levitengewande angethan und in der Linken einen
kleinen Rost, wahrend die Rechte wie lehrend oder betheuernd
erhoben ist. Sein Gesicht, von edlem Oval, zeigt einen unge-
mein schonen Schnitt und seheint heitre Ruhe zu lacheln. Auch
die beiden eben erwahnten weiblichen Gestalten haben edle,
ausdrucksyolle Gesichter; die h. Margaretha ist bescheiden et-
was zur Scite gewandt, wahrend die andre Heilige mit dem