An die Betrachtung dieser wichtigsten und umfangreichsten
Wandmalereien Westfalens mégen sich hier einige Nachrichten
liber Reste und Spuren ahnlicher Werke reihen, die besonders
geeignet sein werden, den ausgedehnten allgemeinen Gebrauch
solcher Ausstattung an Kirchen romanischer Zeit nachzuweisen.
Denn wenn sich in winzigen, sonst tiberaus schmucklosen Dorf-
kirchen des kunstarmen Sauerlandes sogar derartige Werke
nachweisen lassen, die unter der Tiinche deutlich hervorschim-
mern; wenn in Ohle an der Lenne die Apsis der Kirche den
thronenden Heiland, darunter vier grosse Figuren, an den Sei-
tenwanden des Chors abnliche Gestalten, an den Gewdélben ge~
malte Sterne zeigt; wenn im benachbarten Werdohl die ganze
Kirche Spuren von Bemalung verrath, namentlich in der Chor-
nische den auf dem Regenbogen thronenden Christus in rothem
Mantel; wenn in den Kirchen zu Plettenberg, Hiisten, ja
selbst in dem winzigen Kirchlein zu Heggen bei Attendorn
aihnliche Reste deutlich an Apsis, Pfeilern, Gewélben zu erken-
nen sind: so mégen diese Falle hinreichend darthun, dass in
romanischer Zeit die véllige Bemalung der Kirchen mit zur un-
bedingt erforderlichen Ausstattung gehérte. Wo man forschen
wird in den Monumenten jenes Styls, da wird man neue Belege
finden. Ich erwahne nur noch ahnlicher Beobachtungen in den
Kirchen zu Fréndenberg (Maria mit Engeln und anderen
Heiligen im Chor, im siidlichen Kreuzschiff ein Bischof); O pher-
dicke bei Dortmund (in der Apsis der thronende Christus, in
allen Theilen der Kirche Spuren; neben Christus deckte ich mit
leichter Mihe einen edel gezeichneten Kopf los, dessen gol-
dener Nimbus die vertieften Ornamente zeigt, wie in Methler);
Castrop bei Dortmund (in der Apsis); Ahlen (die Marien-
kirche war in allen Theilen mit Wandgemalden geschmiickt;
beim Ueberweissen hat man an der siidlichen Chorwand einen
weiblichen Kopf mit reicher goldener Krone frei gelassen);
Sendenhorst (wo ich an der Siidwand des Chores in kurzer
Frist einen Bischof losdeckte). Diese Werke sind meistens,
wie auch in Sendenhorst, wo ich zuerst Feineres vermuthete,
in roher, fast handwerklicher Art gemacht; allein sie bezeugen
doch die ungemein rihrige Thitigkeit im Gebiele der Wand-
malerei. Auch das Gemalde im Nordarme des westlichen Kreuz-
fliigels vom Dom zu Minster ist in ziemlich derber Weise
ausgefihrt und vermag nur durch seinen der Zeilgeschichte
entnommenen Gegenstand ein héheres Interesse zu bieten. Es
stellt ndmlich die Unterwerfung der Friesen unter die Landes-
	hoheit des Minsterschen Bischois dar.
Wie gross in jener Zeit die Lust am fréhlichen Farben-
	schmuck war, geht besonders daraus hervor, dass selbst аи$-
sere Theile der Kirchen durch Bemalung ihrer architektoni-
schen Glieder ausgezeichnet zu werden pflegten. Ich verweise
auf das Prachtportal der Jakobikirche in Kolesfeld, Spuren
ahnlicher Bemalung zeigen die Portale der Petrikirche zu Soest
und der Pfarrkirche zn Recklinghausen. Letztere enthilt
sogar das, was gewdhnlich die Skulptur auszufihren hatte, in
blosser Bemalung: am Bogenfeld naimlich den Gekreuzigten
sammt der Mutter und dem h. Johannes; darunter die Madonna mit
dem Kinde und zwei Heilige, wahrscheinlich Petrus und Paulus.
	CdAunstiiteratur.
	Auch die architektonischen Gheder des Baues zeigen durch-
gehends Bemalung. Sammtliche Gurte und Rippen sind mit
mannichfachen Arabeskenmustern geschmiickt. Gemalte Binder,
die eigenthiimlicher Weise ein Zickzack-Ornament darstellen,
begleiten der Lange nach die Rippen. Blau und Roth ist an
ihnen vorwiegend; letzteres meistens ein Zinnoberroth, jedoch
auch mit einer dunkleren, bis ins Braune hinabsteigenden Schat-
tirung. Die Saulen scheinen dunkel gefirbt zu sein; die Ka-
pitale heben die hervorragenden Stellen durch goldgelbe Bema-
jung von den schwarzbraun gemalten tieferen Theilen in cha-
rakteristischer Zeichnung ab. Dagegen scheinen die Arkaden~
siulen des Chores hell gewesen zu sein im Gegensatz gegen
die dunkle Farbe der unteren Winde. Die westliche Schluss-
wand des siidlichen Seitenschiffs zeigt in Stucco~Relief unter
der Ttinche eine prachtige Rose, darunter Wandarkaden auf
Saulchen; die des nérdlichen einen reich gebildeten Stern.

Obwohl der Kalk vielfach auflésend auf die Farben gewirkt
hat; obwohl an manchen Stellen der wahrscheinlich zum. Theil
lose gewordene Bewurf sammt seinen Gemalden bei einer fri-
heren Ueherweissung herabgeschlagen und durch neuen roh
ersetzt worden ist: so gewahrt doch das Ganze einen ungemein
prachtigen, imponirenden Eindruck. Was nun das kunsigeschicht-
liche Verhaltniss dieser Malereien, tiber deren Entstehung nicht
die geringste historische Nachricht bis jetzt entdeckt werden
konnte, zu denen der Nikolai-Kapelle in Soest betrifft, so glaube
ich sie fir jiinger als jene halten zu miissen. Die Erbauung
der Kirche 2u Methler scheint um die Mitte des XII. Jahrhun-
derts zu fallen. Wir haben keinen Grund zur Vermuthung, dass
diese Gemilde nicht die urspriinglichen seien. Vielmehr geht
aus der anderweiligen zierlichen Behandlung dieser Perle unter
den Dorfkirchen mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass man dem
tibrigen Schmuck auch den der Wandgemalde sogleich hinzu-
gefiigt habe. Sie mégen also bald nach der Mitte des XIII.
Jahrhunderts entstanden sein. Vergleicht man in stylistischer
Beziehung diese Wandgemalde mit denen der Nikolai-Kapelle,
so findet man genug Anhalispunkte zur Begrimdung dieser An-
sicht. Beiden ist die Grundlage der romanischen Auffassung
und Anordnung noch gemein; allein im Bestreben, die Gestal-
ten zu individualisiren, geht der Meister der Methlerschen Ge-
milde schon weiter, Allerdings zeigen die Kipfe einen gemein~
samen grossarligen Typus: lange, edel geschniltene Nase, weich
geschwungene Mundwinkel, grosse Augen von gewaltigem Aus-
druck, schén gebogene Brauen, das ganze Gesicht ein edles
Oval, Haar und Bart lockig in einfachen Linien, Dass dieser
Typus nicht dem gewodhnlichen Leben, nicht deutschen Physio-
gnomieen entlehnt ist, sehen wir auf den ersten Blick. Eine
direkte Einwirkung Italiens oder der Antike aber dafiir in An-
spruch zu nehmen, ware sehr miissig und unwahrscheinlich
zugleich. Vielmehr klingt aus jener fremdarligen, wundersamen
Grundform, ganz auf ahnliche Weise wie aus der Architektur
jener Zeit, das in der That dem Romanismus zu Grunde lie-
gende Prinzip uns in grossartiger Harmonie enigegen; aber in
dem Individuellen der Ztige, in dem Herausarbeiten der Cha-
raklere begriissen wir die ma&chtigen Regungen national -deut-
schen Kunstbewusstseins. So wird man auch in der bereits
beginnenden Modellirung der Gesichter und Gestalten, in dem
zum Kleeblatt gebrochenen Rundbogen der Nischen, und noch
tiefer vielleicht in dem grésseren Nachdruck, der hier im Ver-
gleich zum tibrigen Korper und im Hinblick auf die Werke der
Nikolai-Kapelle auf den Képfen liegt, die gemeinsamen Ziige
dieser fortgeschriltenen Richtung zu erkennen haben  ), —
	4) Ueber die Bedeutung der Wandmaleret Jener Zeit tberhaupt vergl.
einen Aufsatz von A. Simons, ,Farbenschmuck mittelaltriger Bauwerke“
‘m Jahrb. des Ver. fair Alterth. im Rheinland. Bd. X.
	Die romanischen Dome des Mittelalters xu Mainz, Speier
_ und Worms, kritisch untersucht und historisch Sestgestellt
durch Fr. v. Quast, Berlin (Ernst und Korn) 1853. 656 5.

und 6 Taf. — 24 Ser:
Von Karl Sehnaase.

Die drei obengenannten Dome gehéren bekannilich zu den