Theilen nach der Hrrichtung der Kapelle wahrscheinlich ma-
chen. In vielen Fallen kénnen wir nachweisen, dass die Ver-
anderungeu und Fortschritte des Styls von den grossen Bauten,
von den Kathedralen, ausgingen; in noch mehrern, dass klei-
nere Kirchen noch lange die altere Form ihrer Hauptkirche
nachahmten, obgleich inzwischen schon andre Formen aufge-
kommen waren, Dass kleinere Kapellen den Ton der Neuerung
zuerst angeschlagen und der grossen benachbarten Kathedrale
zum Vorbilde gedient halten, ist daher mindestens ungewohn-
lich und wiirde eines entscheidenden Beweises bedirfen. Hier
aber beruht dieser Beweis ausschliesslich auf dem Verhillnisse
der Details des Doms zu denen der Kapelle wie der Kopie zum
Originale, welches ich, so gern ich mich dem sachverstandigen
Urtheile meines verehrten Freundes unterordnen michte, nicht
anerkennen kann.

Abgesehen von diesem mindestens zweifelhaften Verhiltnisse,
geht aus den beigebrachten Beweisen nach meiner Ansicht nur
soviel mit voller Gewissheit hervor: 1. dass der Dom als Ge-
woélbebau erst nach dem Jahre 1081 sei es friiher oder spater
begonnen, 2. dass die Gotthardskapelle in den Jahren 1115—
1136 erbaut ist, und 3. dass beide Gebéude eine Uebereinstim-
mung der Details zeigen, also unter der Herrschaft derselben
Geschmacksrichtung entstanden sind. Ueber die Frage, wel-
ches Gebaude zuerst, welches nachher gebaut sei, ist man auf
Vermulhungen angewiesen und da scheint es denn glaubhafter,
dass der Dom vorhergegangen sei. Ist dies aber der Fall, so
wird man ferner als wahrscheinlich annehmen miissen: 1. dass
zwischen dem Brande von 1081 und dem Beginne des jetzigen
Langhauses kein andrer Neubau entstanden und unlergegangen
ist, 2. dass man nach jenem Brande mit dem Neubau der Ka~
thedrale, als eines wichtigen und unentbehrlichen Gebdudes
nicht lange gezégert hat, 3. dass derselbe, wie bei einem so
umfassenden Bau in jener Zeit nicht anders denkbar war, sehr
langsam forlschritt, aber 4. wie gesagt, bei Errichtung der
Gotthardskapelle im J. 1136 vollendet war. Vielleicht kénnte
man noch weiter gehn und schliessen, dass der Dom schon vor
dem Regierungsantrilt Adalberts I. (1111) vollendet gewesen,
da dieser in der angefihrten Urkunde die Gelegenheit, sich der
Vollendung desselben zu riihmen, unbenutzt liess. Bleibt man
aber auch nur dabei stehn, dass der Dombau im Jahre 1136
vollendet war, so kann man, bei der nothwendigen Dauer des-
selben, nicht umhin, den Beginn und mithin die Anlage von
Pfeilern, die fiir Gewélbe bestimmt waren, an den Schluss des
11. oder den Anfang des 12. Jahrh. zu setzen. Bei alledem ist
freilich die Méglichkeit nicht zu bestreiten, dass die Datirung
des Verf. richtig und der Dom erst nach 1137 gebaut sei. Aber
wahrscheinlich ist es nicht und am Wenigsten so erwiesen,
dass es als Basis fir die Zeitbestimmung andrer Monumente
dienen kénnte.

Ich darf tibrigens nicht verschweigen, dass Herr vy. Quast
zufolge der Schrift sich der mindlichen Zustimmung des Herrn
Welter, der in dieser Beziehung von der in seinem erwahnten
Buche ausgesprochenen Ansicht abgeht, erfreut, Ein andrer
sachversténdiger und genauer Kenner des Doms, den ich, um
ihn nicht fiir eine miindliche Aeusserung verantworllich zu ma-
chen, nicht nenne, unterstiitzt dagegen die Annahme der spa-
tern Entstehung der Kapelle durch die Hypothese, dass dazu
zum Theil bereits vorbereitete Materialien, die auf dem Bau-
platze des Doms zuriickgeblieben waren, verwendet worden
sein méchten, was ich dahingestellt sein lassen will.

Die weitern sehr lehrreichen nnd interessanten Bemerkun-
gen, welche der Herr Verf. tber die dem Langhause vorher-
gegangenen und nachfolgenden noch erhaltenen Theile des Doms
beibringt und bei denen ich ihm nur zustimmen kann, tibergehe
	Jveuten. Ueber den Scheiabogen lauft z.B. ein rohes, bloss in
einer einfachen Abschragung bestehendes Gesims her, beilaufig
gesagt von einer primitiven Einfachheit, wie sie sich nicht an
der Kapelle findet, das aber unter dem letzten Kreuzgewélbe
nach Osten hin fehlt. Es ist daher nicht undenkbar, dass bei
der hienach vorauszusetzenden (etwa nach dem Brande von
1137 vorgenommenen) Reparatur auch gewisse, den Details
der Kapelle ahnliche Theile, z. B. das Kampfergesims der Zwi-
schenpfeiler, eingesetzt und hinzugefiigt sein kénnen. Auch hier
aber ist diese Uebereinstinmung keine vollkommene, und wenn
der Verf. annimmt, dass bei etwaigen Abweichungen die For-
men des Doms zu denen der Kapelle sich ,wie die Kopie zum
Originale* verhalten, so gestehe ich, dass mir, namentlich bei
im Ganzen so rohen Formen, wie sie beide Gebaéude zeigen,
das Auge fiir so feine Wahrnehmungen fehli. Vielmehr schei-
nen mir die Details des Doms zum Theil (wie namentlich die
Deckplatten der Kapitale und jenes schon erwahnte Gesims)
roher und einfacher als die der Kapelle, zum Theil (wie na-
mentlich die Vergleichung der Basen, Taf. 1 Nr. 5 und 10, Taf.
2 litt. 1. ergiebt) edler und kraftiger. Auch dies letzte 18551
aber noch keinesweges auf eine jiingere Zeit schliessen, da, wie
der Verf. selbst wiederholt (z. B. Deutsches Kunstblatt 1852 S.
174). bemerkt hat, die romanische Baukunst des 11. Jahrh. von
einer gewissen sorgsamen Zierlichkeit ausging, wahrend man
im 12. Jahrh., verwGhnt durch haufigere Praxis, zu rohern For-
men gelangte. Und dies scheint gerade von den beiden ver-
glichenen Basen zu gelten; die des Doms haben noch mehr
von der Tradition der antiken Basis als die der Kapelle, wah-
rend im Uebrigen die Kapelle bei einer ziemlich leichtfertigen
Ausfihrung doch in allen Details einen grossern Anspruch auf
Reichthum macht. Jedenfalls aber Jiebte man im 12. Jahrh.
reichere Formen, und es ist daher nicht wahrscheinlich, dass
man, wenn der Dom spater erbaut sein sollte, die einfachern
Details der Golthardskapeile nicht zu tiberbieten getrachtet ha-
	ben solite.
Drittens der Brand v. J. 1137. Der Chronist Dodechinus,
	der Fortsetzer des Marianus Scotus, erwahnt seiner mit einer
gewohnlichen Formel (monasterium principale in Moguntia cum
aliqua parte civitatis combustum est), welche bei den Schrift-
stellern des Milttelalters, wenn sie ohne weitere, einen bedeu-
tenden Schaden andeutende Zusatze vorkommt, keinesweges auf
grosse Beschadigungen schliessen lisst ). Allein die Unbe-
slimmtheit des Ausdrucks schliesst freilich auch die Méglichkeit
nicht aus, dass der Brand so bedeutend gewesen, dass in Folge
dessen das ganze Langhaus und die mit ihm einen einzigen Bau
pildenden Theile erneuert werden mussten. Auch ist gern zu-
zugeben, dass der Mangel an Nachrichten iiber eine Herstellung
nicht nothwendig zu der Annahme Welters (S. 16 seiner Schriff)
fihrt, dass jener Brand nur kleinere Beschadigungen verursacht
habe. Allein in der That sprechen bestimmtere Griinde fir
diese Annahme. Bei einem so bedeutenden Brande, wie der
Verf. voraussetzt, halte die Gotthardskapelle, da sie zwar nicht
unmittelbar an die Mauern des Doms stésst, aber doch nur
durch einen Raum von wenigen Schritten von ihm getrennt ist,
nothwendig leiden miissen. Das ist aber nicht der Fall gewe-
sen, denn sie wurde am 30. Juni 1138 geweiht, ein Zwischen-
raum, der einen Reparaturbau, zumal da man bei der уогаи5-
gesetzten Zerstérung des Doms schwerlich sofort an die Haus-
kapelle des Erzbischofs gegangen sein wiirde, fast mit Gewiss-
heit ausschliesst. Jedenfalls schcint es mir an Griinden zu fehlen,
welche eine Entstehung des jetzigen Dombaues in seinen altern
	1) Bei dem Brande zu Mainz von 1191, der doch nur eme Herstellung
des Gewélbes herbeifahrte, heisst es in der Chronik des Bischofs Christian
	(Bohmer, fonies hist. Цегт. Пр. 207) ecclesia combusta est.