Ferner hatlen wir drei grosse Figuren-Compositionen zu
betrachten: Verherrlichungen Shakespeare’s, Schil-
lers und Géthe’s, zusammengeseizt aus den Hauptpersonen
der Dichtungen derselben, Am Scharfsten ausgepriagt sind dic
Figuren auf dem Shakespeare-Blatt; das Ganze ist grossartig,
imposant. Hochst poetisch ist ferner der Grundgedanke fiir das
Schiller -Blatt. Die Glocke, zum Weihallar gestaltet, ist der
Centralpunkt des Welllebens, von ihr aus geht Alles, durch
sie wird Alles harmonisch verbunden. Die Figurencompositio—
nen dieser in Farben fleissig ausgefihrten Dichterblitler haben
Wolfgang Miiller von Kénigswinter zu cinem Gedicht an den
Kiinstler begeistert, welches wir der Dusseldorfer Zeitung ent-
nehmen und im heutigen Beiblatte miltheilen. Selhst im Aus-
lande wird die eigenthiimliche Genialitaét, die Vielseiligkeit und
Meisterschaft in der Erfindung und Ausfiihrung dieser Aqua-
relle so hoch geschatzt und so lebhaft anerkannt, dass man
Scheuren allgemein den Arabesken-Kénig nennt!

Scheuren wurde 18{0 in Aachen geboren. Er ist der
Sohn eines Malers und Zeichnenlehrers, oder eigentlich eines
Universalgenics, das ihn schon als Kind angestellt hat, in der
Kunst allerlei Dienste zu Шип und zu helfen beim Malen auf
Holz wie auf Leinwand, auf Seide wie auf Papier, bei Gliick-
wiinschen und Bilderbogen, Kirchenfahnen, Transparenten und
Festdecorationen, Vergoldungen, ja sclbst bei Bilderrestaura-
tionen. Da der Papa sich aber bald tiberzeugt hatte, dass der
Sohn, eben so fleissig als geschickt, ein sehr tiberwiegendes
Talent und Erfindungsgabe entwickelte, so durfte derselbe auch
bald den Meister spielen, dessen Erfindungen nun die andern copi-
ren mussten. Als er im Jahre 1829 und 1830 auf der Aca-
demie in Diisseldorf sich zu einem soliden Kiinstler auszubilden
streblte, da prophezeihte der Direktor Schadow, dass Scheuren
ein sehr tiichtiger Historienmaler werden wirde. Durch die
Landschaften von Lessing und Schirmer ist dennoch die Nei-
gung fiir die Landschaft vorwaltend geworden. Wir kennen
viel meisterhafte Werke in dieser Gattung, die sich namentlich
durch Geschmack, und, man kann sagen, durch eine gewisse
Liebenswtirdigkeit in der Auffassung, durch Geist und Feinheit
in der Farbe auszeichnen. Von Scheuren’s Geschick ftir Radi-
rung giebt das 1842 bei Artaria erschienene Heft den besten
Beweis. Ucberall und gern dienstfertig und gefallig, hat er
oft ein eminentes Talent fiir Festdecorationen bewiesen, er ver-
steht es, Ernst und Scherz durch Geist und Humor zu wiirzen.

Halberstadt. K. т.
	Die Frauenkirche zu Ingolstaat.
	Nach der im J. 1392 erfolgten Theilung Baierns in meh-
rere Herzogthimer, fiel das Land Baiern-Ingolstadt dem ritler-
lichen Herzog Stephan anheim. Seine Gemahlin Taddea war
die Tochter des Herzogs von Mailand, Barnabo Visconti.
Eine aus dieser Ehe entsprossene Tochter, die schéne Elisa-
beth, auch Isabella genannt, war bereits im J. 1384 mit dem
Kénig Carl VI. von Frankreich vermahlt worden. Sein Sohn
Ludwig, genannt der Bartige, cin slattlicher, ebenso geist-
reicher und kampfgewandter, als stolzer und starrsinniger Jing-
ling, nachdem er mehrere Fehden mit seinen Verwandten ge-
fihrt hatte, begab sich an den Hof seiner Schwester, der Ké-
nigin von Frankreich, wo er sich mit der reizenden Anna
von Bourbon, Tochter Johanns dela Marche, Wiltwe des
Grafen von Montpensier, Bruder des Kénigs von Navarra
vermahlte und die Grafschaft Mortain in der Normandie als
Mitgabe erhielt. In dicser Ehe erzeugle er zwei, jedoch im
varten Alter verstorbene Séhne. Ein driller, ebenfalls in Paris
	geborncr Sohn, Namens Ludwig, wegen sciner Missgestalt der
Hickerige genannt, war demnach zur Nachfolge im Herzog
thum Baiern-Ingolstadt bestimmt. Wahrend der Empirungen
und Kimpfe, die unter Anfiihrung der Herzoge von Burgund
und Orleans Frankreich zerfleischten, verband sich die Kéni-
gin Isabelle, bei der zuweilen in Wahnsinn ibergehenden
Geistesschwiache ihres Gemahls, hald mit der einen, bald mit
der andern Partei, wtithete mit Grausamkeit und tiberliess sich
jeder Ausschweifung. Ludwig der Bartige, welcher zu jener
Zeit in Paris seine Gemahlin nach kurzer Ehe verloren hatte,
brachte mit Hiilfe seiner Schwester, dic sich wohl im Falle
einer Flucht vor dem Hasse des Volks einen Schatz sichern
wollle, eine Menge, auf fiinf Millionen geschitzte Kleinode zu-
sammen, welche er nach dem im J. 1413 erfolgten Tod seines
Vaters Stephan, gliicklich nach Ingolstadt in Sicherheit brachte,
ungeachtet er nur milMithe dem empdérten Volke in Paris ent~
rann. Ап Pracht und Ucppigkeit gewohnt, umgab er sich bei
seinem Regierungsantritt mit einem héchst glanzenden Hofstaal
von sechshundert Grafen, Freiherren und Rittern und war in
kurzer Zeit mit seinen Nachbarftirsten, die er, in den Intriguen
und in der Staatskunst des Pariser Hofs bewandert, zu mei-
stern vermeinte, in vielfache Fehden verflochten. Im Besitze
der grossen Reichthiimer, begann dersclbe im J. 1425 den Bau
der Frauenkirche in Ingolstadt, welche am siidlichen Eingang
die Inschrift tragt:
Anno dni 1425 an dem 18 tag des mayen Ist gelegt worden
der erst stain an die Pfarrkirchen vnser frawen vnd Churad
Glaczl vnd hainrich Snelmilner sind die zeit pavmeister
gewesen.

Ist schon das Acussere der Kirche, ungeachtet ihrer bei~
den unvollendeten Thiirme und des Hauptportals, héchst impo-
sant, desto schéner ist in seinen harmonischen Verhaltnissen
das Innere derselben. Die drei gleichhohen Schiffe, deren mitt-
leres die doppelle Breite der Seitenschiffe hat, werden von
achizehn runden Sdulen getragen, an welchen diinne, ebenfalls
runde Saulchen vorspringen und nach zwei Seiten sich mit den
Gewdlbrippen kreuzend verbinden, Ausser dem Hauptportal an
der Westseite, befinden sich noch an jeder Langseite zwei
erosse Einginge. Der Chor hat einen fiinfseitigen Schluss.
Neben den Seitenschiffen sind vierzehn, erst in den Jahren 1510
— 25 vollendete Capcllen, deren Aussenmauern mit den Strebe-
	pfeilern in ciner Flacht stehen und jede mit einem grossen Fen-
	sler versehen ist. Die Gewdlbe. dieser Capellen bilden ejn
ktinstliches Gertiste und Geflechte von Gurten, mit herabhan-
genden Ornamenten in dem tiberladenen Styl der spdtesten Go-
thik. Die beiden Thiirme, welche nicht parallel mit der West~
fronte, sondern tiber Eck gestellt sind, haben ihre Vollendung
nicht erreicht. An dem siidlichen Thurm bemerkt man die An-
sitze von vier Eckthiirmchen. Das projeclirte Hauptportal zwi-
schen den beiden Thiirmen sollte drei Eingange erhalten, welche
ebenfalls unvollendet geblieben sind. Eine Reihe gleichzeitiger
Baurisse, welche im Pfarrarchiv und im Rathhaus zu Ingolstadt
aufbewahrt werden, zeigen die Thirme in ihrer Vollendung.
Der Hauptbau, wie er jelat steht, wurde bereils im J. 1439
vollendet und kostete tiber 500,000 Gulden. Das Innere der
Kirche hat die betrachiliche Lange von 270 Fuss baierisch. Die
Breile betragt 95 Fuss und die Héhe eben so viel. Die Ein-
ginge in die wohlverwahrten untern Riume der Thtirme befin-
den sich innerhalb der Kirche. Hier war es, wo Ludwig der
В. die aus Paris enlftihrten Schatze barg. In dem sitdlichen
Thurme steht noch dic etwa 14 Fuss lange, 4 Fuss breilte und
eben so hohe, mit-schweren Eisenbindern beschlagene Truhe,
welche zum Transport der Kleinode aus Paris nach Ingolstadt
	diente.
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