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	geordnet. Der Untere sieht, den Mund nach den Seiten 72а аш-
gerissen, wodurch am Halse. sich Falten erzeugen, die Augen-
brauen in der Mitte der Stirn heruntergezogen, héhnisch nach
dem Heilande hinauf; und halt ihm die rechte Faust mit dem
durch Zeigefinger und Mittelfinger gestecklen Daumen entgegen.
Wie aber seine Absicht mehr dahin geht, seine Grimasse und
Geberdé anzubringen, als seinem. Blick einen Zweck zu geben,
so entbehrt auch scin Auge, durch die Augenbrauen tiberdeckt,
des scharfen Umrisses und tritt ins Allgemeine zuriick. Hatte
Christus weiches Haar, so bedeckt diesen frechen, trotzigen
Kopf geziemend ein hartes dichtes, wo jedes einzelne Haar
eine sichtbare Dicke hat; es ist von hellbrauner Farbe.
Das Wenige, was: vom Oberkérper sichtbar ist, bekleidet ein
hellblaues Gewand, von einem doppelten Goldstreif eingefasst,
das am Arm bis oben hin heraufgestreift ist! Am Halse sieht
man. den Saum des Hemdes, wie auch am Ausschnitt des Ge-
wandes auf der Brust.

Der zweite Verfolger erscheint tiber dem ersten; der weit
aufgesperrte Mund, der die Zahnreihen entblosst, erzeugt ver-
haltnissmassige Furchen der Nasenfliigel und dusseren Augenwin-
kel; — mit geballter Faust holt er von oben aus und halt sie zum
Schlag bereit iber den Erléser. Sein Auge hat zu einer aus~
seren Handlung ein festes Ziel, es ist braun und trill scharf
aus dem Weiss hervor. .Er tragt eine alles Haar bedeckende
flache, violette Miilze; das wenig sichtbare Gewand ist grin,
am Aermel heraufgestreift und am Halse mit einem braunlichen
Pelz verbramt. ,

Den Hintergrund bildet ein grinlich weisser, mit Ocker
lasirter Ton. Das von links einfallende Licht beleuchtet das
Gesicht.des unteren Spélters und dessen Faust, vom oberen
die Kappe, Nase und den oberen Theil des Arms, die Quer-
fliche das Kreuzes und das Gewand Christi von der Schulter
an tiber.den ganzen Arm hin. Die Farbe ist im Ganzen kraflig
und. durchsichtig, wie die Zeichnung vortrefflich und bestimmt ist.

Im Kopfe des Christus ist die Carnation im Helldunkel ge-
halten, in jenem dem Leonardo eignen warmen, braunlichen
Ton, die Spétter und besonders der untere hal in den Schatten
ein mehr gelbbraunes Colorit, das im Licht ins Weisse iber-
geht; es veranschaulicht eine dicke Haut. Die Gewander, Ъе-
sonders das rothe, sind in den Schatten saftig, weisslich in den
		da dieselben schon friiher im Lokale des Kunstvereins ausge-
stellt waren, bereits im D. Kunstblatle ausgesprochen, Fried-
rich Kaulbach lieferte drei Damenportraits, die durch Natur-
treue verbunden mit geistiger Idealisirung sich auszeichnen und
J. Hiibner’s ,Landsknecht* giebt mit einfachen Mitteln die
Individualitét eines “bestimmten Charakters. — J. Stieler’s
conventionelle Auffassung und Ausfihruug vermag nicht, uns
Bewunderung zu enllocken, und besonders in seinen neuesten
Bildnissen macht sich dieselbe mehr und mehr bemerkbar; er
lieferte drei Nummern: Ein betendes Madchen,. Bildniss eines
Madchens aus dem bayrischen Gebirge und ein Tyroler Mad-
chen. — J. Bernhard’s Portrait einer Dame scheint noch nicht
ganz vollendet zu sein, —

Leider ist auch unter -den Portraitmalern Vogel von
	Vogelstein durch sem eigenes Bildniss vertreten.
я (Schluss folgt.)
	Mittheilungen aus Rom.

Von Ernst aus’m Weerth.
	(Kreuztragung des Leonardo da Vinci.)

Von Allem, was die Verkaufslust in-letzter Zeit hervorge-
	zogen und dadurch der Kenntnissnahme zuganglich gemacht hal,
verdient ein Gemalde des Leonardo da Vinci vorziiglichste
	Aufmerksamkeit ). Ebenso aufklaérend tiber den Entwickelungs-  
	gang dieses Meisters ist das Bild als Kunstwerk von héchster
Bedeutung; es entbehrt weder eine gute Erhallung noch den
Charakter unbezweifelbarer Echtheit. Die ungefahr 252 rhein.
Zoll hohe und 21: rhein. Zoll breite Holztafel enthalt folgende
Darstellung der Kreuztragung.

Christus in halber Figur erscheint im Profil, von rechts
nach links gewandt und tragt auf der rechten Schuller das mil
beiden Handen umfasste Kreuz. Auf der Mitte des Kopfes ge-
theilt, fallt das weiche, kastanienbraune Haar, von dem halb-
bedeckten Ohre gesondert, auf Schulter und Nacken. Die Dor-
nenkrone umwindet- das Haupt, tiber dem ein kreisformiger
Nimbus schwebt, der von seinem Miltelpunkte aus vierfach so
getheilt ist, dass die Theilungslinien, ehe sie in die Peripherie
treten, sich je in zwei auswarts geschwungene Linien sondern,
die in den Kreis miindend, vier vergoldete Felder bilden; die
dazwischenliegenden Abtheilungen sind goldig punktirt. Ein
kurzer gespaltener Bart umgiebt das Kinn bis zum Munde, der,
schmerzvoll gedffnet, die Rundlinie der oberen Zahnreihe zeigt.
Zwei blutige Tropfen stehen auf der Slirn und dem Auge des
Dulders entgleitet eine blatige Thrane. Hingegeben in Resig-
nation seinem Leiden, senkt sich das Haupt nach vorn, das
Auge scheint seiner sichtbaren Umrisse benommen, denn, nach
Innen gerichtet, ist es nach Aussen nicht mehr thatig. — In
ernstem Zuge fallt das mit Goldverzierungen berandete hellrothe
Gewand von den Schultern tber die Brust, wo ‘es kaum das
enganliegende, violette Untergewand mit Goldsaum sichtbar
lasst und verhillt im weiten Aermel den linken Arm.

Zwei Verfolger im Angesicht und die Faust eines dritlen,
den man sich ausserhalb des Bildes denken muss, bedrohen
den Heiland. Von hinten fasst diese Hand gewaltsam in sein
langes Haar, zur Misshandlung bereit.

Die Képfe der beiden vorderen Spotter sind tiber einander
	1) Die von Young Ottley in seinem Werke: The Italian school of de-
sign ete, London 1828. in Facsimile gegebene Zeichnung einer Kreuztragung
des Leouardo in vielen Figuren gehért einer spadteren Zeit an, und hat mit
unserer Composition nichts gemcin.
	‘Ist: das Bild nun nicht in dem Grade modellirt, wie ‘dies
die spateren Werke des Leonardo aufweisen, so kann dies nur
ein Beweis sein, dass es aus seiner érsten Periode selbstin-
digen Schaffens herrtihrt; aus jener Zeit, wo er ‘die Werkstatte
des Verochio verliess. Wir haben fir diese Annahme noch
einen dreifachen anderen Beleg. Unser Bild zeigt cine so leb-
hafte, kraftige Farbe, wie sie beim Leonardo spiler nicht vor-
kommt, wohl aber Verwandlschaft mit der Art des Verochio
hat. — Alles, was wir von Leonardo besitzen, zeigt cinén Ent-
wickelungsgang von einer individuellen Auffassung zur idealen,
welche erstere Zeit sich charakteristisch in einem kleinen, weib-
lichen Portrait des Palazzo Pitti ausspricht ),- die Zeit eines
solchen Uebergangs glauben wir aber deutlich in der Kreuz~
tragung zu erkennen. Die Képfe tragen noch Anklange indi-
viduellen Charakters, aber mit grosser Freiheit gehen diese aul
in den Dienst der ktinstlerischen Idee.

Wer die Reihenfolge- der Studien nach abnormen und durch
Leidenschaft erregten Physiognomien: kennt, die wir von Leo-
nardo besitzen, — die zu erzeugen er allerlei Volks-Gelage
gab?), der wird nicht allein in den Spéttern des beschriebenen
	_1) Portrait der Ginevra Benci (No, 140).
2) Vasari: im Leben des Leonardo und Lomazzo Tratt, d. pitt, I. 1.