Anhaltepunkte fir den Gedanken gegeben sind, wie bei dem der ,,Stinde“, verliert sich die alte Kunst, selbst in ihren un- beholfensten und schwichsten Kundgebungen, nie in’s Unbe- stimmte, mannichfacher Auslegung Unterworfene. Stinde ist der Genuss der verbotenen Frucht und Kain’s Brudermord seine Folge; die alte Kunst, wie die Theologie, hat nichts anders an deren Stelle. Versuchung aber und Siinde sind vollstandig in den beiden Tafeln, die Placidus Braun nennt und die jetat feh- len, ausgesprochen. Dem vierten Bilderkreis (Erlésung) gehéren an: Simson, der den Léwen zerreisst und der die Philister schligt. Das Weib mit dem Kreuze, das Weib mit den Hiihnern, der war- nende Lehrer and der nach oben weisende Lehrer. Gern glaub’ ich, dass der Verf. Recht hat, wenn er in dem Weibe mit den Hiihnern die Kirche sicht, die ihre Kichlein lockt-und schitzt; nur in die Durchfiihrung der Symbolik auf das Detail der Dar- stellung (dass das Wandern der Frau die Ausbreitung der Kirche bedeute ete.) kann ich nicht felgen. Dagegen sind ,,ein war- nender, cin nach oben weisender Lehrer“ nicht im Geiste alter Symbolik, nicht gerechnet, dass sie nicht unter den Begriff der »Erlésung® fallen. Dafair giebt es nur die Propheten, die sie yerktindet, Christus, der sie gebracht, und die Evangelisten und Apostel, die sie bezeuget. Fir Christus aber kénnen al- lerdings Prototype eintreten und das grade ist das Wesen der altesten Kunst, ihn durch alltestamentliche Gestalten zu bezeich- nen, und in dieser Beziehung ist Simson hier gewiss richtig gedeutet. Das ,, Kreuz“ dagegen, in der Hand der iber Felsen steigenden Figur, bedarf erst noch einer Bescheinigung, da es auch einen blihenden Stab vorstellen kann. In den fiinften Bilderkreis (Kampf der erlésten Menschheit gegen die Stinde) stellt der Verf. den Centaur, das Weib mit dem Apfel und den Mann, mit den Schlangen kampfend. Auf- richtig, selbst wenn ich unter das profanian vulgus geworfen werden sollle! in diesen Kreis kann ich den geehrten Verf. nicht begleiten; er ist mir nicht — theologisch genug. Und sehr theologisch war die Kunst des Mittelalters! Nach voll- brachter Erlésung kennt die Theologie keinen Kampf, der durch die oben angegebenen Symbole ausgedriickt werden kénnte, am wenigsten cinen Kampf mit der Schlange, welcher Christus den Kopf zertreten. Die streitende Kirche hat es mit anderen Geg~ nern zu thun, mit Heidenthum, Unglauben, Abfall etc. Der Kampf mit der Siinde“ ware hier eine offenbare Tautologie ; denn das Thierische, die Genusssucht und die Schlangen haben wir schon einmal in diesem Sinne vor Augen gehabt, Dazu kommt, dass der ,,Apfel“ doch gar zu erbsenhaft fir diese Bedeutung ist. In der sechsten Bilderreihe (des Menschen Sieg tiber die Siinde) stehen der Mann mit dem Dolch mit und ohne Schild, der Mann mit der gebandigten Schlange, der gekrénte Held mit dem Schwert und der mit der Lanze. Auch hier verzeihe der geehrte Verf. den Widerspruch von Seiten der Theologie! Durch sie weiss die alte Kunst wohl von der Erlésung des Menschen von der Siinde, nicht aber von einem Siege des Menschen tiber die Sinde. Der Sieger ist allein Christus! Wohl aber stehen symbolische Figuren jezuweilen an seiner Stalt; nur nicht so unbestimmte, wie » ein Mann mit dem Dolch“ u. dgl., sondern feste Geslalten aus dem Testament oder der Legende. Sollte ich nun fir meinen Widerspruch gegen einzelne Auslegungen des Hrn. Verf. gezwungen sein, eigene an deren Stelle zu selzen, so muss ich mich zunadchst auf die Unvoll- standigkeit des Werkes berufen, von dem, wie gesagt, wenig- stens sieben Platten ganz unbekannt sind, die jedenfalls Licht auf die noch dunkeln Stellen der Thiire werfen wiirden. Ich kann auch nicht an eine gentgende Erklarung gehen wollen, ohne zugleich die Ordnung und den Zusammenhang der Tafeln zu bestimmen. Aber auch dies héngt von dem Inhalt der feh- lenden Platten ab; wie die Richtung, in welcher das Ganze zu lesen, ob von oben nach unten oder von unten nach oben, so- dann ob jede Thiire fir sich oder beide wie Eine Tafel. Des- senungeachtet will ich versuchen, auf die Stellen zu zeigen, die mir unzweifelhaft oder wenigstens deullich genug erscheinen. Ich folge demnach, wie ich schon gesagt, der Grundidee des Hrn. Verf. (mit Ausnahme der beiden letzten Ausfiihrungen), wenn ich sie auch ein wenig anders fasse und mich so aus- driicke: Das Thema der Bildwerke an der ehernen Dom- thire von Augsburg ist das allgemein christliche Dogma, dass durch die Stinde der Tod in die Welt gekommen und dass beide durch Christus und nur durch ihn zu unserm Besten tiberwunden worden. Fir die ,,Siinde“ ist die bekannte Erzdhlung aus der Genesis genommen von der Erschaffung des Menschen, seiner Versu- chung und seinem Fall. Wir haben dafir die (verloren gegan- gene) Erschaffung Adam’s, die der Eva und die Belehrung (nicht Slarkung“) der Eva iiber den Baum der Erkenntniss mit den Schlangen und den Baum des Lebens; denn dafiir nehme ich den zweiten, zu dem die Végel fliegen, nach dem der Bar langt (nicht wie der Verf. fiir die Verfiihrung zur Sande), Dem wiirden die verloren gegangenen Bilder des Siindenfalls und die Verfluchung der Schlange (No. 31) folgen. Aus und nach der Siinde kommt der Tod, (der Lowe, der ein Reh wiirgt). Das Heidenthum gewahrt keine Rettung (der Centaur, wie deut- lich ihm auch das Ziel gezeigt, schiesst vergeblich nach dem Lowen). Aber gereitet soll die Menschheit werden; Noah (No. 26) 1556 von der Frucht des Weinstocks, nachdem in der Stindflut der Tod alles Lebende verschlungen. Sieger aber ist Christus tiber Sinde und Tod, wie Moses die Schlangen schlagt (No. 17), die die Priester Pharao’s ihm vorgeworfen (vielleicht No, 2), wie Simson die Philister schligt und den Lowen erwiirgt (No.16. 6). Christus ist Sieger, wie Josua (No. 18), wie David (No. 11) und die Kirche wahrt die Erretteten (No. 33). Sechs Tafeln und das ,,vielleicht No. 2“ eingerechnet, sieben Tafeln, bleiben hierbei noch unerklart und gerade sieben Tafeln fehlen, dic méglicherweise die Erklarung geben wtirden, Wohl konnte man noch Muthmaassungen hegen; der Mann mit dem Becher kénnte zu Noah gehéren; doch deuten die verhillten emporgehobenen Hande auf ein Opfer; der Mann mit dem bliihenden Stabe kénnte Aaron sein und sich auf die unbefleckte Empfangniss hezichen; doch getraue ich mir nicht, diesen Vermuthungen einen Werth beizulegen. Die Untersuchung itber das Alter der Thiire fihrt den Verf. auf die Geschichte der Kirche, fir welche er drei Bauperioden annimmt. Die erste Kirche, davon noch Reste vorhanden sein sollen, stammt von Bischof Zeiso 678—708. Diese Kirche stirzte 994 ein und Bischof Luitolf begann 995 einen Neubau, der 1065 vollendet und eingeweiht worden. Der dritte Bau, eine Erweiterung und Gothisirung der Kirche, fallt in 1321 — 1431. Ich tibergehe hier die Hinzelheiten der Baugeschichte, wie des Verf. Ansichten tiber die Anlage und den Styl der Kirche und bemerke nur, dass die Anlage eines Chors in We- sten schwerlich ohne eine gleiche in Osten staltgefunden hat, und dass wahrscheinlich der Dom, wie der in Fulda, in St. Gallen, Bamberg, Gernrode etc. von Anfang an eine Doppel- chorkirche gewesen. Da der Verf. nun irgend eine vierte Bau- zeit nicht annimmt, die Beschaffung der Thére aber jedenfalls mit einem der drei Baue in Verbindung stellt, so bleibt ihm natirlich dafiir nur der zweite zur Verfiigung. Die Chronisten setzen sie zwischen 1047 und 1072, was ungefahr auf diesclbe