DIE GESTALTUNG DER MODERNEN DRUCKSACHE.
Eine Zeitfirömung löfi die andere ab und bringt immer wieder einen neuen Stil hervor, der fich in allen Zweigen der Kunfi und des Gewerbes ausbreitet und fleh nach feiner Entffehungszeit dann fo lange behauptet, bis er wieder von einer neuen Zeitfirömung verdrängt wird. Der Stil ifi der Ausdruck der jeweiligen Wirtfchaftslage und Gefamfmeinung eines oder mehrerer Völker einer Zeit. So zeigt uns z. B. der Barockfiil des 17. Jahrhunderts das Gefchnörkelte und Verlchrobene, im Rokokofiil, der 1720—1770, zur Zeit Ludwigs des XIV. und XV., herrfchte, trat das Gefchmückte, Gefchwungene und Graziöfe zutage. Der Jugendfiil mit feiner reichen Anwendung pflanzlicher Motive ifi wohl den älteren Kollegen noch in Erinnerung. Die wildbewegfe Kriegs- und Nachkriegszeit übertrug fich auch auf den Stilwillen. Diefes Unruhige, Exzentrifche, Ineinanderverarbeifete fehen wir deutlich im Expreffionismus. Die vergangenen Jahre, die im Zeichen des Rationalifierens und Sparenmüffens flanden und noch fiehen, haben ihren Ausdruck in einen neuen Stil gelegt, den „Stil der Sachlichkeit“. Heftig angefeindet von Berufenen und Unberufenen, hat er fich doch fietig weiter
verbreitet und man kann wohl jept behaupten, daß diefer Stil der abfirakten und klaren Form überall Eingang gefunden hat.
Für alle diejenigen, die beruflich abhängig vom Zeitfiil find, war es eine Zeit des Umlernens und des Schritt -vor- Schritt- Mitgehens. Wahrlich nicht leicht für viele; gefirauchelf ifi dabei mancher. Im Kunfi- und Buchgewerbe hat man tüchtig ge
arbeitet, um dem Gefchmack der Gegenwart in den Erzeugniffen gerecht zu werden. Nach und nach hat im graphifchen Ge
werbe eine Läuterung der Druckfachengefialtung fiattgefunden. Eine gewiffe Ubereinfiimmung in der Auffaffung ifi zu beob
achten und man kann fagen, dal? die Gefchmacklofigkeiten in der Anwendung der fetten Punkte, Kreife, Ringe, Balken und
Ecken heute fafi verfchwunden find. Führende Leute aus dem graphifchen Gewerbe haben fich auf die neue Zeit umgeflellt, find den Erforderniffen des Zeitgefchmacks auf den Grund ge
gangen und haben ihre Erkenntnis dann in die breite Maffe der Werktätigen getragen. In den Verbänden der graphifchen
Arbeiter, in typographifchen Vereinigungen, an Fach- und Meifierfchulen lehrt man die Gefialtung der Druckfachen im neuen Stil und die Früchte diefer Bemühungen find einwand
freie, im Charakter der Sachlichkeit gehaltene Druckfachen.
Die graphifchen Fachorgane haben durch die Veröffentlichung folcher Mufierarbeiten einen erheblichen Anteil an der Ver
breitung des Stilwillens in unferem Gewerbe und dies muh ganz befonders anerkannt werden. Mancher Kollege auf dem Lande hätte ohne die Fachorgane nicht mit der Zeit gehen können.
Alles fchmückende Beiwerk, wie ehedem Blättchen und Blütchen, find verfchwunden: es herrfcht jept Schrift, Linie und Fläche. Als am befien zum neuen Stil paffender Schriftcharakter ifi die Grotesk anerkannt worden. Wirklich fchöne Garnituren find von den Schriftgießereien auf den Markt ge
bracht worden und haben Eingang gefunden in alle modernen Buchdruckereien. Neuerdings hat man noch die alten Egyptienneformen der neuen Zeit dienfibar gemacht. Viele Kunffjünger jedoch fiepen ihren Ehrgeiz darein, mit anderen guten Antiquafchriften und fogar mit Frakturfchriften den Anforderungen des neuen Stils zu genügen; es gelingt dies oft ganz gut. Was ehedem bevorzugt war (Symmetrie) ifi jept verworfen; es wird afymmetrifdi gearbeitet. Die richtige Erfaffung des neuen Stils erfordert beim Druckfachen-Entwerfer einen ausgeprägten Sinn für Raumaufteilung. Viele find gerade in diefer Hinficht zur Erfolglofigkeit verurteilt, da fie den Sinn, der den Stil erfi macht, nicht richtig erfaßen können.
Man hat den unbedruckten Papierraum fchäpen gelernt und läßt ihn wirken. Die Sapgruppen, oft mit weitem Zeilenabfiand, werden feitlich gerückt und wohldurchdachf mit einer dem
perfönlichen Gefühl entfprechenden fiarken, meifi farbigen Linie oder Fläche gefchmückt. In die farbigen Flächen wird oft Negativfchrift hineingelegt, und man kann mit einfachfien Mitteln effektvolle Wirkungen erzielen. Abbildungen werden abfallend gefiellt und nicht mehr mit Randlinien verfehen. Die Verläufe werden bei Autotypien weggefräfi und eine farbige Fläche wird gern unter die Abbildung gelegt oder die Abbil
dung wird auf einen farbigen Sockel gefiellt. Auch zwilchen farbige und fchwarze Flächen oder fiarke Linien fiellt man die Bilder und erzielt mit diefer Gefialtung ein gutes gefchloffenes Bild. Mit abfallenden Linien arbeitet man mit Vorliebe und der flächig gehaltene, meifi negative oder aus Linien gefepte Initial ifi beliebt in der Anwendung.
Ubereinanderliegende, verfchiedenfarbige Flächen werden bei den mannigfächffen Gelegenheiten gefept und auch ge
zeichnet. Man kann auch ffilifierfe Blätter u. dgl., wenn fie gefchickt in die abfirakfe Form gebracht wurden, gut anwenden.
Firmenzeichen auf Briefköpfen werden aus Linien und geometrifchen Figuren zufammengefept und in die Ecke gefiellt oder nach feitlich oder auch nach oben abfallend eingerichtet. Öfters wird auf dergleichen Arbeiten ein Befiandteil des Sapes angefchnitten. Die Briefköpfe und -umfehläge werden vielfach nach den neuen Normungsvorfchriften (Dinformate) gefept und man hat mit den zur Verfügung flehenden Räumen fchon ganz gut umzugehen gelernt.
Der vormals nach den Regeln des Goldenen Schnittes bemeffene und auf die Papierfeite gefiellte Sapfpiegel beim Werkfap wird jept jeweils nach dem Gefühl befiimmf und oft weit heraus oder hinauf an den Papierrand gerückt. Den freien
Raum teilt man mit Linien auf oder fchmückt ihn auch nur mit einer großen oder farbigen Kolumnenziffer. Daß der Titel und der Umfchlag eines Buches auch neuzeitlich gefept fein muß, wenn der Inhalt den fachlichen Stil aufweiß, ifi wohl felbflverfiändlich. Es find aber noch genug Beifpiele zu fehen, wo diefe Einheitlichkeit zu wünfehen übrig läßt. Neuerdings läßt man den Titel über zwei Seiten gehen oder man heftet ein farbiges Blatt vor den Titel. Wie aus zahlreichen Beifpielen erfichtlich, läßt fich auch die Kurfiv zum neuen Stil gut verwenden.
Die Bevorzugung von Schwarz und Rot bei Gefialtung der Druckfachen im neuen Stil hat etwas nachgelaffen und kann man je nach der Art der Arbeit die verfchiedenfien Farbenzufammenfiellungen, befonders Blau und Grün mit Schwarz angewendet fehen.
Einzelne Worte oder auch Ziffern und ganze Zeilen fept man vielfach aus Linienmaterial zufammen. Auch der Negativ
faß entfaltet bei gewiffen Arbeiten feine Vorzüge. Der Bleifchneider kann jept öfter feine Handfertigkeit zeigen, da man alle möglichen Dinge in die abfirakfe Form bringt, damit fie den Gefchmacksanforderungen genügen.
Auf alle diefe Eigenheiten muß der Druckfachen-Entwerfer bei feinen Arbeiten fein Augenmerk richten, wenn diefelben zeitgemäß fein follen. Dem Mann der Werkfiatt und des Pinfels offenbart auch diefer Stil viele Schönheiten und er kann oft fefifiellen, daß es gar nicht fo leicht ifi, mit Wenigem etwas Gutes zu fchaffen. Der Laie aber, wenn er Druckfachen zu beachten verfieht, wird bei einiger Aufmerkfamkeit auch bei den Arbeiten, die in firenger Sachlichkeit gehalten find, den Weizen von der Spreu zu unterfcheiden vermögen.
Der perfönliche Gefchmack und die verfchiedene Auffaffung des fachlichen Stils laßen es für den gefialtenden Buchgewerbler ratfam erfcheinen, vor Angriff jeder Arbeit erfi Skizzen oder Probefeiten anzufertigen und diefe dem Kunden vorzulegen, damit die mit Mühe und Liebe hergefiellte fertige Arbeit nicht der Ablehnung verfällt. Oft wird nun allerdings vom Kunden
das urfprünglich vom Entwerfer Gefchaffene durch Hinzu- oder Wegtun anders gefialtet, fo daß von einer reinen Stilarbeit nicht mehr viel übrigbleibt. Der Dienfi am Kunden verlangt