ihres Urhebers: sie machen ihn zugleich vertraut mit der geistigen Sphäre, in der er lebt, und sie spiegeln treulich den Zustand einer litterarischen Epoche wieder.
Eine so harmonische Natur wie der rastlos schaffende Raphael war einer satirischen Be
handlung seiner Stoffe nicht fähig; hingegen fühlte der vielseitige und zwiespältige Lionardo
in sich das Bedürfnis, seine Schönheitssehnsucht durch burleske Karikaturen zu entlasten, den Gott im Busen von Zeit zu Zeit so recht den Teufel spielen zu lassen. Hier kehrt sich der Stachel ähnlich wie in der Ironie der Romantiker gegen die eigenen Schöpfungen. Fremde, wirklich grosse Werke sind den Künstlern von jeher heilig gewesen. Eine gelungene dichterische Parodie der homerischen Werke existiert nicht, so wenig das Werk Shakespeares oder Goethes Faust einmal wirklich travestiert werden konnte. Die Satire setzt nur da an, wo sie auf Werke stösst, die eine gewisse künstlerische Schwäche offenbaren, die an irgend einer Stelle, der Achillesferse, verwundbar sind. So existiert eine Karikatur der Laokoongruppe (man hielt sie früher für tizianisch und schreibt sie jetzt dem Bandinelli zu). So ergoss sich eine unab
sehbare Flut von Witz und Aberwitz über die „Äneis“, die wohl das am häufigsten parodierte Werk der Weltliteratur geworden ist.
Die Parodie ist literarische Kritik. Ihr Verfahren besteht nach Schopenhauer „darin, dass sie den Vorgängen und Worten eines ernst
haften Gedichtes oder Dramas unbedeutende niedrige Personen oder kleinliche Motive und Handlungen unterschiebt. Sie subsumiert also die von ihr dargestellten glatten Realitäten unter die im Thema gegebenen hohen Begriffe, unter welche sie nun in gewisser Hinsicht passen
müssen, während sie übrigens denselben sehr inkongruent sind; wodurch dann der Widerstreit zwischen dem Angeschauten und dem Gedachten sehr grell hervortritt.“ Gemeinsam mit der Travestie bildet sie die Gattung der Burleske. „Die Parodie behält im allgemeinen den Ton und die Form des Kunst- oder Dichtwerks bei,
welches sie verspottet, schiebt ihnen aber einen trivialen Gegenstand unter. Die Travestie ist gerade das Kehrbild der Parodie. Sie behält den erhabenen Gegenstand des Dicht- oder Kunstwerks bei, behandelt denselben aber möglichst trivial.“
Parodie und Travestie haben sich als besonders wirksame Waffen in den literarischen Kämpfen aller Zeiten und Völker erwiesen.
Gleichviel, ob es galt, einen einzelnen Dichter oder eine ganze literarische Richtung zu treffen, ob sich also die Karikatur individuell oder typisch gestaltete: es gab kein besseres Mittel, den Gegner zu vernichten, als den Schritt vom Erhabenen ins Lächerliche zu thun, zumal die Erhabenheit oft nur gemacht war und schon genug des Lächerlichen in sich trug.
In Deutschland fand diese eigenartige Form der Satire besonders reiche Verwendung. Die vielgescholtene politische Uneinigkeit unseres Vaterlandes Hess auch in der Poesie niemals eine bestimmte literarische Richtung zur Alleinherrschaft gelangen. Sie brachte grosse Künst
ler hervor, aber keine grosse Kunst. Immer wieder verhinderte der ausgeprägte Individualis
mus der Germanen den festen Zusammenschluss der geistig bedeutenden Kräfte einer Zeit. Mit der ihm eigenen schroffen und beschränkten Rücksichtslosigkeit tritt immer wieder das Genie dem ebenbürtigen, anders gearteten Geiste ent
gegen. Sie verstehen sich nicht; jeder sucht dem andern den Lorbeer von der Schläfe zu reissen. So bekämpft Gottfried von Strassburg,
der formenstrenge, farbenprächtige Meister der Erzählungskunst, den tiefsinnig grüblerischen Wolfram als einen unklaren, wirren Geist. So tritt der ideal veranlagte Walther dem derben Realismus eines Neithart von Reuenthal heftig entgegen. Der feinsinnige Wieland wird von den Stürmern und Drängern, die männliche Energie Schillers von den weiblich fühlenden Romantikern angegriffen. Goethe und Kleist, Platen und Heine, Immermann und Grill
parzer, sie alle stehen sich fremd und feindlich gegenüber. In den sogenannten literarischen Schulen wiederholt sich dieses Bild. Hier tritt nur die starke Beeinflussung, welche die deutsche Literatur abwechselnd durch die Romanen und die Engländer erfährt, ungleich stärker zu Tage. Wohl der erbitterste und langwierigste Kampf, den die deutsche Literatur kennt, ist die Fehde der Leipziger unter Gottscheds Führung gegen die Schweizer Bodmer und Breitinger (1738—56), im Grunde ein Ringen zwi
schen Regelgeist und Originalität; freilich muss man sich hüten, Gottscheds Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Literatur herab